Montag, 18. Juni 2012

gehcrew im stehcrew Verdacht


Der letzte Kommentar hat es deutlich gezeigt, denn folgt man den äusserst spärlichen Einträgen der gehcrew könnte man meinen, die Crew sei tatsächlich stehen geblieben. Ich persönlich würde den momentanen Zustand nicht als Stillstand bezeichnen sondern eher an ein im Kreis sich drehen an verschiedenen Orten. Meine physische Präsenz pendelt zwischen Maribor, Graz und Bern hin und her. Psychisch bin ich nach wie vor unterwegs zwischen Bern und Istanbul. Die gehcrew scheint zu einem grösseren Projekt geworden zu sein als wir es gedacht hatten.
Zusammen mit Miha und dem Verein begehbar arbeite ich nach wie vor daran, in naher Zukunft Touren im Balkan auf die Beine zu stellen. Die Studienreise vor zwei Wochen nach Montenegro könnte für uns ein richtiger Schritt in die richtige Richtung gewesen sein. Wer mehr über diese Studienreise erfahren will schaut unter:
http://www.begehbar.org/
http://www.facebook.com/studyweekmontenegro
http://blogs.statravel.ch/studyweekmontenegro
Es ist für mich, Natasa und Jurij immer wieder eine Herausforderung diese Pendelbewegungen zu verkraften und die Unsicherheiten, die sie mit sich bringen, einzustecken. Auch stellt sich natürlich nach wie vor die Frage, ob wir dieses "Pendler-Leben" überhaupt noch wollen. Der Wunsch nach etwas mehr Kontinuität und Stabilität ist jedenfalls unüberhörbar. Doch wirken hier auch noch andere Kräfte. Kräfte die man als Sehnsucht oder Neugierde bezeichnen könnte und die uns immer wieder bewusst werden lassen, dass die vielen Möglichkeiten in unserem Leben auch ein tägliches Geschenk sind.
Dass es uns aber bald einmal wieder für längere Zeit in die Schweiz zieht ist absehbar. Ich vermisse meine Freunde und meine Familie sehr.
Uns allen geht es gut und wir bleiben unterwegs (und sei es auch nur in unserem vorübergehenden Garten). Die gehcrew holt Atem für neue Abenteuer.

Montag, 6. Februar 2012

zeitlose Uhr





Mein Freund dan hat mir zu meinem letzten Geburtstag ein wunderschönes Geschenk gemacht. Es war dies eine Sammlung aller Texte und Textchen, die im Rahmen von gehcrew während der letzten zwei Jahre entstanden sind. Obwohl die Texte und die dazugehörigen Bilder zwar im Internet abrufbar sind, habe ich mich vor knapp einem Jahr dermassen über das Geschenk gefreut, dass ich es immer wieder in die Hände nehmen musste. Es ist ein Ringordnerbuch, A4 Grösse, mit grünem Einband und ohne Seitenzahlen. Es müssten aber um die 200 Seiten sein, so schätze ich. Jedes Bild, jeder Text in diesem Buch war mir wohlbekannt und hat beim erneuten Lesen ein Teil jener Gefühle in mir hochgerufen, die ich empfunde haben musste, als ich diese Texte schrieb. Es sind nicht die überragende literarische Qualitäten des Geschriebenen, nicht die brisanten Ideen oder Gedankengänge weswegen mir dieses Buch so viel bedeutet, es ist nur meine persönliche Verbundenheit mit jedem einzelnen Erlebnis aus diesem Buch. Einige davon habe ich mit anderen geteilt. Sei es mit Menschen unterwegs, sei es mit Menschen, die aus irgend einem Grund, irgendeinmal einen Text gelesen oder sich ein Bild angeschaut haben. Diese Momente von knapp zwei Jahren in einem Buch gebündelt vor mir zu haben, hat mich, ich kann es nicht anders sagen, tief gerührt. Dan versprach mir eine Fortsetzung zu meinem nächsten Geburtstag und ich meinte, das ich mein Bestes dafür geben würde.
Nun, bald ein Jahr später, wäre Band zwei meines Buches, würde man es wirklich erstellen, wohl keine 20 Seiten stark. Eine Hand voll Einträge innerhalb eines Jahres, daraus lässt sich kein zweiter Band erstellen. Mehrmals habe ich während des letzten Jahres versucht mich hinzusetzen und etwas davon in Worte zu fassen, was mir auf der Zunge lag. Und zwar auf jener Zunge, die nicht zum sprechen gemacht ist. Eine Zunge, welche Gedanken erst in Sprache verwandelt, wenn man sich für sich selbst Zeit nimmt, in sich hört und so tut, als könnte man für eine kurze Weile die Welt um sich herum vergessen. Die Welt um sich herum vergessen, das gelingt einem wahrscheinlich am einfachsten, wenn man nicht zu Hause ist, wenn man unterwegs ist und sich der Umgebung und den Menschen, die sie bewohnen, nicht verpflichtet fühlt. Natürlich ist es eine falsche Annahme wenn man davon ausgeht, dass ein Mensch, ist er nicht zu Hause, sich seiner Verantwortung gegenüber der Umwelt und den Menschen entziehen kann. Aber das Gefühl auf sich selbst gestellt zu sein und weitgehend nur sich selbst Rechenschaft zu schulden, kommt bestimmt auf Reisen eher auf als im Alltag.

Und was gibts Neues bei uns?

Jurij; an erster Stelle steht bestimmt unser Sohn Jurij. In etwas mehr als zwei Wochen wird er seinen ersten Geburtstag hier in Maribor feiern. Am 18. Februar 2012 wird er den 365. Tag hier bei uns beginnen. Dankbar sind Natasa und ich für die Tatsache, dass wir alle in diesem ersten Jahr viel Zeit miteinander verbringen konnten. Kurz vor Jurijs Geburt begann ich eine Arbeit als Deutschlehrer bei der Sprachschule Berlitz. Im Verlauf des letzten Jahres hatte ich selten mehr als 10 Stunden Arbeit pro Woche. Doch gemeinsam mit dem Geld für Natasas Mutterschaftsurlaub schafften wir es finanziell einigermassen über die Runden zu kommen. Dankbar war ich aber jedes Mal, wenn mich der Gemüsebauer wieder nach Golaten rief, weil ihm die Petruschkas oder der Blaukabis buchstäblich bis zum Hals standen. Dort verdiente ich den Gastarbeiter-Lohn, jenes Geld, das seinen echten Wert erst dann entfaltet, wenn man es ins Ausland exportiert. Zum Beispiel nach Slowenien. Dass die Arbeit auf dem Gemüsebetrieb mir nicht nur Geld sondern auch ein Haufen lehrreiche Momente beschert hat, habe ich bereits mehrmals erwähnt.

Als Deutschlehrer für dir Sprachschule Berlitz komme ich viel in der Umgebung herum. Ich unterrichte Gruppen und Privatschüler in Maribor und fahre auch immer wieder zu Firmen. Gerade diese Firmenbesuche sind für mich fantastisch. Dadurch erhalte ich einen interessanten Einblick in die slowenische Arbeitswelt. Sei es bei der Toilettenpapier Fabrik Paloma, beim Hydraulik-König Bijol oder in der IT-Abteilung eines Haushaltgeräte Herstellers. Dass ich mir langsam wie eine Audio-Kassette vorkomme kann ich dank diesen Erfahrungen guten Mutes zur Seite schieben.

Seit Januar 2012 arbeite ich auch zwei Tage in der Woche in einem Kinderdorf in Graz. Hier bin ich als Sozialpädagoge angestellt und kümmere mich um alles was im meist hitzigen Verlauf eines Tages so anfällt: Hausaufgaben durchpauken, Mittag- und Abendessen herrichten, Fussball spielen, Windeln wechseln, Kinder zu den Eltern fahren, Streite schlichten und den Fernseher leiser stellen... Ich lerne, dass ein „fesches Dirndl“ kein Schimpfwort ist, sondern ein braves, steirische Mädchen meint. Ich muss einsehen, dass eine „gleitende Jause“ in einem hektischen Alltag vielleicht die geeignetere Form des Mittagessens ist und dass auch halb gefrorenes Toastbrot essbar ist. Zudem weiss ich nun, dass tiefgefrorene „Hendl“, direkt in die heisse Bratpfanne geworfen, bereits nach 15 Minuten serviert werden können. Ich lerne einen Haufen wunderbarer Menschen kennen und werde in jeder Stunde, die ich im Kinderdorf verbringe um viele Erfahrungen (und der ersten weissen Haare) reicher.

Mit ganz herzlichen Grüssen aus dem tief verschneiten Maribor!








Dienstag, 25. Oktober 2011

Wertschröpfung



Mein kurzer Einsatz als Gastarbeiter auf dem Gemüsehof von Michu Hurni ist nun auch bereits wieder zu Ende. Heute hatte ich meinen letzten Arbeitstag und wir haben uns nochmals so richtig ins Zeug gelegt. Die nachmittägliche Ernte von rund 10 Tonnen Kohl lässt sich sehen... Michael, mein Gastarbeiter Kollege und sein Chef werden nun auf jeden Fall während den nächsten Regentagen genügend Arbeit im Rüstraum haben.

Es war einmal mehr eine sehr lehrreiche Zeit für mich. Mit einer grossen Bewunderung schaue ich auf Michus unermüdliche Einsatz auf dem Gemüsebetrieb. Täglich ist der junge Bauer rund 12 Stunden auf den Beinen um die vielen anstehenden Arbeiten zu erledigen, die es eben braucht, bis das Gemüse verpackt in der Ablage von Migros oder Coop dem Kunden präsentiert wird. Erschreckend wenig schaut dabei für den Bauer selbst heraus; aus der finanziellen Perspektive betrachtet. Mit Verkaufsmarchen von manchmal mehreren hundert Prozent könnte man meinen, dass sein Teil der Arbeit nur ein kleiner sei. Dass dem nicht so ist habe ich nun mal wieder feststellen können. Eine Feld der raren Peterliwurz, auf welchem wir gut und gerne eine Woche beschäftigt waren um all die Rüben von Hand aus der Erde zu ziehen, bringt ihm nur einen Bruchteil dessen ein, was schliesslich der Verkauf der Ware im Detailhandel ausmacht. Das Geld geht also nicht zu jenen Menschen, die die Ware anpflanzen, pflegen und ernten als viel mehr zu jenen, die sie nur gerade verkaufen. Da läuft was Grundlegendes falsch. Dass dies nicht nur im "Gemüse Business" so läuft ist mir natürlich bewusst.


Übrigens: Die Kürbisse zur Produktion des Golatener Kürbiskernöl sind erntereif. Nun werden in den nächsten Tagen die Kerne entnommen und diese dann in die Presse gebracht. Auf das Resultat warten wir alle gespannt. Dass "daraus nix wird" würde ich demnach nicht behaupten!



Mittwoch, 19. Oktober 2011

Feldarbeit




Zwei arme Bauern arbeiten gemeinsam auf einem Acker als mit ohrenbetäubendem Getöse ein Kampfjet über ihren Köpfen vorbei donnert.
„Hast du gesehen, das Flugzeug ist mit Raketen bestückt“, meint der eine Bauer zum anderen. „Wie viel wohl nur eine solche Rakete kosten mag?“, fragte ihn der zweite Bauer. „Bestimmt mehrere zehn Tausend Euro“, weiss jener. Darauf erhebt der erste Bauer seine Hände trichterförmig zum Himmel und schreit: „Oh Gott, hab Erbarmen mit uns und wirf uns eine solche Bombe zu Füssen!“

Michael, der Saisonarbeiter aus der Slovakei, mit dem ich zur Zeit in Golaten arbeite, weiss viele solche Witze zu erzählen. Es ist seine Art von Humor und ich komme ganz gut zu Recht damit. Michael, der mit seinen 62 Jahren nun schon das vierte Jahr als Saisonarbeiter in der Schweiz verbringt scheint grundsätzlich dem Leben mit viel Humor entgegen zu treten. Doch dass da mehr als nur Witze Klopfen dahinter steckt habe ich schon längst gemerkt. Seine Persönlichkeit strahlt eine kindliche Verspieltheit und ein unerschrockener Optimismus aus, der hier auf den Felder von Golaten bestimmt seines Gleichen sucht.

Es kommt immer mal wieder vor, dass wir gemeinsam während mehreren Stunden Tonnen von Kabis rüsten, diesen in Kisten verpacken und feinsäuberlich auf Holzpalletten stapeln. Eine Arbeit die eigentlich eintöniger nicht sein könnte, denn die Bewegungsabläufe sind dermassen gleichmässig, dass ich mir bereits am ersten Tag eine Sehnenendzündung geholt habe, die auch nach Tagen noch nicht abgeklungen ist. Doch geflucht wird bei Michael über Arbeit nie: „Arbeit ist Arbeit“, pflegt er zu sagen und meint damit in etwa so viel wie, dass es schlechte und gute Arbeit nicht gibt. Arbeit muss erledigt werden und da fällt automatisch diese Einteilung weg.

Ich arbeite hier in der Schweiz täglich zehn Stunden pro Tag. Das ist viel, sogar für Schweizer Verhältnisse. Mein Chef bringt es gut und gerne auf zwölf Stunden pro Tag. Der Lohn fällt einem hier nicht in den Schoss, pflegt er zu sagen und meint damit wohl, dass man Geld bestimmt anderswo leichter verdienen könnte. Michael arbeitet acht Monate im Jahr als Saisonarbeiter in Golaten, den Rest des Jahres verbringt er mit seiner Frau und dem Kind in der Ukraine. Die Ukraine sei am Arsch, hat er mir heute gesagt, aber trotzdem ein herrlicher Ort zum Leben.
Solche Aussagen machen uns Schweizer stutzig und wir würden das gerne genauer erklärt haben, doch haben wir nicht die Geduld uns das bei Alkohol, Zigaretten und vielen Umschweifungen erklären zu lassen.

Samstag, 15. Oktober 2011

das Gemüse steht uns bis zum Hals

Bild: Unterwegs in die Schweiz


Seit zwei Tagen bin ich in der Schweiz. Bei meinem bald schon langjährigen Arbeitgeber in Golaten habe ich erneut eine temporäre Anstellung auf dem Gemüsebetrieb bekommen. Im Moment steht uns die Arbeit bis zum Hals, denn noch stecken weiss nicht wie viele Tonnen Kabis im Boden und auch die Petruschkas, die Peterliwurz, muss noch geerntet werden. Für mich ist es immer wieder erschreckend anzusehen, wie viel Gemüse weggeworfen, beziehungsweise den Kühen verfüttert wird (ok, die müssen auch was fressen, aber nicht unbedingt das, was ursprünglich für Menschen angebaut wurde..). Eben hat der Bauer 20 Tonnen Kartoffeln vom Prüfer zurückbekommen. Die Kartoffeln weisen Schlagschäden auf. Dadurch sind sie zwar noch lange nicht ungeniessbar, aber wie Konsumenten wollen ja nur das Beste. Die ehemalige Bäuerin des Betriebs nennt dies immer wieder eine Sünde. "Ist es nicht eine Sünde, so viele Lebensmittel wegzuwerfen?"

Ich selber kann mit dem Wort Sünde wenig anfangen. Bestimmt aber ist etwas in unserem Versorgungssystem völlig falsch gelaufen!

Freitag, 7. Oktober 2011

Ökologen ohne Grenzen

Bild: Im Sommer 2008 machte ich mit Teo eine Fahrradtour durch Rumänien. Im Süden des Landes trafen wir auf einen Wochenmarkt der seines Gleichen sucht. Schuhe und Kleider gab es dort im Zentner zu erwerben.



Die Ökologen ohne Grenzen sind in Slowenien seit ihrer äusserst erfolgreichen Kampagne "cleaning Slovenija in one day" in aller Munde. Der Verein beschäftigt im Moment elf Vollzeitangestellte und immer noch geht den Aktivisten die Arbeit nicht aus.

Diese Tage arbeitet Natasa zusammen mit den Ökologen ohne Grenzen. Gemeinsam haben sie eine Kleidertausch-Börse im Zentrum Maribos auf die Beine gestellt. Die Idee ist: Bringe Kleider die du nicht mehr brauchst und tausche sie gegen solche die du tragen möchtest. Doch hinter dieser ganz simplen Idee versteckt sich ein echtes Problem, welches die Aktivisten von Ökologen ohne Grenzen nun angehen möchten.

In Slowenien exisitiert nach wie vor kaum eine Kleidersammelstelle, es gibt demnach auch keine recyclage von Textilien wie das etwa in der Schweiz der Fall ist. Nun mag man denken: Textilien sind ja wohl das kleinste Problem in der grossen Abfallflut. Die Recherche von Barbara, eine der Aktivistinnen, zeigte aber ganz andere Resultate:

Alleine im Jahr 2006 wurden 18'000 Tonnen Textilien nach Slowenien importiert. Das entspricht 9 Kilogramm pro Kopf. Im gleichen Jahr wurden nur gerade 1,114 Tonnen Textilien in Sammelstellen zusammen getragen. Das entspricht knapp einem halben Kilogramm pro Kopf. Die Schlussfolgerung: Alleine im Jahr 2006 sind pro Kopf in Slowenien 8,5 Kilogramm Textilien irgendwo untergekommen. Die Frage ist nur, wo? Im Kleiderschrank? Im Abfall?

In Slowenien gibt es nach wie vor unzählige illegaler Abfallsammelstellen. Diesen haben die Ökologen ohne Grenzen nun den Kampf angesagt. Auf einer Internetplattform können diese Abfalldeponien gemeldet werden. Anschliessend werden Freiwillige gesucht (und auch gefunden) die diese Sammelstellen reinigen und den Abfall getrennt dem Staat übergeben. Eine Kehrichtverbrennungsanlage gibt es in Slowenien nicht. Alles was nicht recycliert werden kann geht unter die Erde, nach wie vor.

In Slowenien steht man bezüglich Recycling bestimmt an einer ganz anderen Stelle als in der Schweiz. Das Bewusstsein der Menschen gegenüber dem Abfall der automatisch Tag für Tag anfällt muss erst noch geschaffen werden. Diese Aufgabe übernimmt hier in Slowenien nicht der Staat sondern es sind unzählige private Initiativen, die versuchen das Verhalten der Menschen zu beeinflussen. Doch so lange der Staat nicht eine Infrastruktur zur Verfügung stellt, die gute Intentionen unterstützt, werde Versuche, umweltbewusster zu leben, leise im Sand versickern.

Dienstag, 4. Oktober 2011

Figge Müli

Auf Sloweniens Grossbaustellen wird noch immer zu einem grossen Teil in der vormals jugoslawischen Landessprache gesprochen. Viele Bauarbeiter kommen aus Bosnien-Hercegowina.

Sie hantierte mit den Putzeimern im Erdgeschoss des Bürogebäudes in welchem auch die Berlitz Schule untergebracht ist. Es war acht Uhr abends und ich hatte eben meine wenigen Deutschstunden an diesem Tag beendet. Ich kannte sie bereits. Wir hatten einige Male zuvor miteinander gesprochen. Ich wusste dass sie deutsch sprach, denn vor zwei Wochen hat sie mich gefragt, ob der Begriff Wachfrau auf deutsch existiere. Dies sei nämlich eigentlich ihr Beruf. Ich wusste damals keine Antwort. Wachmann war mir ein Begriff. Aber Wachfrau? Erst zwei Tage später, als ich sie im Bürogebäude wiedertraf, sagte ich ihr, dass sie wahrscheinlich mit Wachpersonal am besten durchkomme. Wachpersonal also, okay, vielen Dank.
Sie ist eine Frau vielleicht Mitte Vierzig. Eigentlich habe sie zwei Berufe meinte sie gestern zu mir: Lebensmittelingenieurin und seit wenigen Monaten eben Wachpersonal. Für den letzteren Beruf habe sie eine Ausbildung besucht, die sie Tausend Euro gekostet habe. Dort lernte man Sicherheistanlagen zu bedienen, Alarmanlagen aus und einzuschalten. Ich stelle mir vor, dass dieser Berruf etwas Ähnliches ist wie bei uns in der Schweiz die Securitas. Doch irgendwie habe ich so ein ganz anderes Bild der Securitas vor mir. Ich sehe einen älteren, hochgewachsenen Herrn mit grossem Schnurrbart vor mir, der mit Tausend Schlüsseln und einer übergrossen Taschenlampe bestückt, die er im Notfall auch als Schlagstock einsetzen kann, nächtlich durch leere Bürogebäude wandelt. Aber ob es das hier in Slowenien auch gibt? Als Wachpersonal hat die Frau, die nun eben als Putzfrau arbeitet, keine Arbeit gefunden. Der Gedanke plagt sie, ob sie nicht vielleicht die Tausend Euro in den Sand gesteckt hat. Doch jeden Abend schalte sie zu Hause den Computer ein und suche nach Arbeitsstellen. Für Dutzende habe sie sich bereits beworben.
Als ich im letzten Februar hier in Maribor endlich eine Arbeit gefunden hatte, war ich darob überglücklich. Es schien fast wie ein kleines Wunder, sprach ich doch damals noch viel weniger slowenisch als heute. Doch ehrlich gesagt machte sich bald darauf auch etwas Ernüchterung breit. Denn mit den acht Euro, die ich pro Lektion verdiene, schaffte ich es monatlich auf Durchschnittlich 400 bis 500 Euro. Zudem verbrachte ich in den ersten Monaten pro Woche rund fünf Stunden im Auto um zu meinen Studenten zu fahren. Die Fahrkosten konnte ich zwar in Rechnung stellen, die Zeit jedoch nicht. Bald werde ich wohl ein anständiges Pensum kriegen und so vielleicht an die dreissig Stunden pro Woche arbeiten können. Ich werde dann knapp Tausend Euro pro Monat verdienen und damit einen überdurschnittlich hohes Gehalt haben!
Die Putzfrau im Bürogebäude, in welchem auch die Sprachschule Berlitz untergebracht ist, verdient netto 700 Euro. Ob sie alleine mit diesem Monatslohn durchkommen muss weiss ich nicht. Ich weiss aber, dass in Slowenien sehr viele Menschen von Monatslöhnen unter Tausend Euro leben müssen und leben können. Bedenkt man, dass eine durchschnittliche Wohnung gut und gerne 300 bis 400 Euro kostet und dass die Lebensmittel im Supermarkt in etwa gleich teuer sind wie diejenigen in der Schweiz, so gleicht dies einem kleinen Wunder. Dies bestätigte mir auch ein Sozialarbeiter aus der Stadt Ruse, mit welchem ich kürzlich ein längeres Gespräch geführt habe. Für ihn ist es ein Wunder, wie Menschen hier in Slowenien mit diesen kleinen Monatslöhnen durchkommen.
Eines ist sicher: Sparen liegt unter diesen Umständen nicht drin. Das Wachpersonal, das Lebensmitteltechnik studiert hat und nun als Putzmannschaft in Bürogebäuden arbeitet, hat am Ende des Monats bestimmt nichts auf der Seite. Man lebt, man überlebt bestimmt sehr gut, aber viel mehr auch nicht.
Sparen. Das ist etwas was den Menschen in der Schweiz irgendwie in die Wiege gelegt wurde. Das Sparen ermöglicht uns erst Dinge zu tun, die über den gängigen Alltag hinaus gehen. Sparen ermöglicht uns erst zu Reisen, neue Länder, Menschen und Kulturen kennen zu lernen; all diese Dinge zu tun die für mich persönlich einen sehr hohen Stellenwert haben. Mit meinem Gehalt hier in Slowenien werde ich bestimmt nicht sparen können. Dafür muss ich immer mal wieder in die Schweiz reisen um dort zu arbeiten. Im Müli Spiel nennt man diese Situation doch „Figge-Müli“, nicht?


Montag, 3. Oktober 2011

Bildgalerie aktualisiert



Die lange Zeit vernachlässigte Bildgalerie der gehcrew wurde endlich mal wieder aktualisiert. Zu sehen sind einige Fotos vom Frühjahr bis zum Spätsommer dieses Jahres. Bilder aus Slowenien, Kroatien, Ungarn und der Schweiz. Und natürlich gibts den Jurij zu sehen....

Sonntag, 2. Oktober 2011

Logarska Dolina




Kurz bevor die Strasse in Richtung Wanderparadies Logarska Dolina immer enger und enger wird und sich schliesslich beinahe nahtlos an das kristallklare Wasser der Savinja, die in eben diesem Wanderparadies ihren Ursprung hat anschliesst, passieren wir eine Tankstelle am Strassenrand. „Erinnerst du dich an dieses Signet?“, fragt Sascha, die das Auto fährt Boris, der neben ihr sitzt. „Ja natürlich, diese Schilder gab es früher überall, das war unsere Tankstelle“, meint Boris. Sascha ist Slowenin und kommt aus der Region Dolenska. Boris kommt aus Bosnien-Hercegowina, aus Banja Luka. Beide lebten bis 1991 im gleichen Land und beiden kennen noch heute das Signet der vormals jugoslawischen „Petrol“ Tankstelle auswendig. Da steht es am Strassenrand; gross, schwer, fest und bestimmt in den letzten Jahren immer wieder neu gestrichen, denn von Rost keine Spur. Jemand scheint dieses Signet hier zu pflegen.
Mit Boris, Sascha und Pintas besteigen wir später den Kamensko Sedlo, den steinernen Sattel. Auf rund 1900 Meter gelegen, haben wir von dort oben einen fantastischen Ausblick auf die Bergkette, die sich wie ein Halbkreis rund um das Logarska Dolina, das Logarska Tal, zieht. Man kriegt Lust höher hinauf zu steigen, auf den Brana oder sogar auf den Planjava, der mit seinen beinahe 2400 Meter stolz in der fantastischen Landschaft steht. Boris und ich schmieden Pläne, wie wir nächstes Jahr uns dieser Berge annehmen werden während Sascha zum Abstieg mahnt. Unten in Logarska Dolina angekommen schmerzen uns die Beine und wir sind froh, haben wir den oftmals kritischen Abstieg sicher überstanden.
Eigentlich wollten wir ja zuerst den Triglav besteigen an diesem Wochenende. Vielleicht üben wir uns vorher doch noch einige Male an anderen Bergen...


Mittwoch, 28. September 2011

Moj market


Bild: Nicht der erwähnte moj market sondern ein seit längerer Zeit geschlossener Laden an der Ruska Cesta. Diese Strasse ist bekannt dafür, dass hier viele Roma leben. Anscheinend werden sie nicht von allen sehr geschätzt...


Er war nicht moj market – mein Supermarkt. Aber es war ein Laden, welcher zu Fuss in wenigen Minuten von unserer Wohnung aus erreichbar war. Es war ein Supermarkt der besonderen Art. Einer jener Vertreter, bei welchen man den Untergang fühlt, gleich nachdem man den ersten Schritt in den Laden hinter sich hat. Gross in der Fläche war das Angebot dermassen klein, dass man das ganze Sortiment problemlos auf die grösse eines mittleren Kiosk hätte reduizieren können. Deshalb standen dann die Orangensäfte, von welchen es eine einizige Sorte gab, in meterlangen Reihen auf den Gestellen und füllten mit ihrer Präsenz eine ganze Wand aus. Nahm man einen Saft aus dem Regal, dann klaffte an dieser Stelle wo eben noch der Saft gestanden hatte, eine Lücke im Gestell, die an eine Zahnlücke im Gebiss eines Menschen erinnerte. Moj market war dem Untergang geweiht, man wusste es.
Ein Freund aus Maribor hat mir erzählt, dass er mehrere solche Supermärkte kennt. Läden die unmöglich funktionieren können, die zu 100% den Gesetzen des erfolgreichen Marktes wiedersprächen. Läden in welchen Produkte verkauft würden, die niemand kaufen wolle und in welchen die Deckenbeleuchtung dermassen auf Sparflamme gehalten würde, als wolle man so wenig Kosten wie nur möglich mit diesem Laden generieren. Die Frage kommt auf, ob diese Läden bewusst so gehalten werden. Die Frage kommt auf, ob es vielleicht nicht Sinn und Zweck dieser Läden sei, Produkte zu verkaufen sondern viel mehr als Laden zu existieren. Freilich, Sinn macht das Ganze nicht. So wenig Sinn wie der Laden als Laden selbst.

Doch da gibt es auch noch die andere Geschichte von moj market. Es ist die Geschichte eines Mannes, den ich jedes einzelne Mal beim erneuten Versuch vielleicht doch etwas Sinnvolles in eben diesem Supermarkt zu finden, vor dem Geschäft angetroffen habe. Dort stand er vor der Glaswand des Supermarktes, in der einen Hand eine Flasche Bier, in der anderen eine Zigarette. Sein Fahrrad lehnte an der Wand, direkt neben dem Bankomaten der KBM, der sich bei moj market eingemietet hatte. Dort stand er dann, trank sein Bier, rauchte seine Zigarette und schaute einem zu, wenn man den Laden betrat. Der Mann hatte langes, ziemlich ungepflegtes Haar und sein ganzes Äusseres sprach davon, dass er bestimmt mehr Zeit hier vor dem Laden verbrachte als zu Hause im Badezimmer.

Vor einigen Tagen habe ich festgestellt, dass moj market seine Regale geräumt hatte. Zu meinem erstaunen stand der Mann noch immer vor dem geschlossenen Supermarkt und sein Fahrrad stand neben dem Bankomaten der KBM. In der einen Hand eine Flasche Bier, in der anderen eine Zigarette.
Doch unterdessen ist der Mann verschwunden. In den letzten Tagen habe ich ihn dort nicht mehr gesehen.

Nun gibt es zum 2000 Quadratmeter grossen Einkaufszentrum Q’Landia nur noch eine Alternative für uns, die auch zu Fuss bequem erreichbar ist. Es ist dies ein etwas grösserer Kiosk, in welchem eine alte Frau wahrscheinlich seit Jahren Waren verkauft. Wollte man sich ausschliesslich von diesem Kiosk ernähren, dann gäbe es ausser Teigwaren und Reis kaum was zu futtern. Doch es gibt gute Gründe für mich, immer wieder in diesem Kiosk etwas einzukaufen. Die Verkäuferin kennt mich und Jurij bereits und letztes Mal hat mein Sohn, welcher bereits ein kleiner Charmeur ist, eine Banane geschenkt gekriegt. Einkaufen am Kiosk ist jedes Mal auch eine persönliche Begegnung die nicht durch das Piepsen der Scannermaschine gestört wird. Diese kleinen Einkaufsgeschichten sind es mir wert, dass ich anstelle der Bio-Vollmilch auch immer mal wieder eine langlebige UHT Milch vom Kiosk erstehe; einen Kühlschrank gibt es dort nämlich nicht.