Mittwoch, 31. März 2010

Zwischenbilanz

Bild: Unterhalb des Babin Zub mit Blick auf Sarajevo

Vor mehr als 8 Monaten habe ich Bern verlassen, mit dem Ziel, zu Fuss nach Istanbul zu gelangen. Zuerst war eine Reise von einem halben Jahr geplant, im Dezember des vergangen Jahres wollte ich ursprünglich in Istanbul ankommen. Nun, nach mehr als 8 Monaten, bin ich seit über drei Monaten in Sarajevo. Mit Nataša bin ich hier angekommen, es war Mitte November, wunderschönes Wetter und halb Sarajevo sass draussen beim bosnischen Kaffee. Inzwischen ist es Herbst und dann Winter geworden. Schnee ist gefallen und Schnee ist geschmolzen. Den ganzen Januar über war es grau hier, nebelverhangen und kalt.
Nun ist es Frühling geworden. Er ist langsam gekommen als ich einen Monat lang bei Nataša in Maribor war und beschaut man heute die steilen Hänge rund um Sarajevo herum, so ist vom Winter bereits nichts mehr übrig geblieben. In den Kaffees der Baščaršija sitzen die Menschen wieder draussen, genau wie Mitte November als wir hier angekommen sind.

Baščaršija; dieses Wort war Mitte November noch ein Rätsel für mich. Ich wusste nicht was es bedeutet und erst gar nicht wie man es schreibt. Natasa hat es mir erklärt und heute, drei Monate später, spreche ich es wohl richtig aus.

Morgen will ich die Wanderung fortsetzen. Via Jahorina in Richtung Montenegro.

Wenn ich nachts aufwache, dann denke ich mit Respekt an die kommende Zeit. Es ist dann kalt in der Wohnung und dunkel und ich werde mir bewusst, dass ich, wenn ich morgen weiter wandere, diese Kälte und Dunkelheit bald wieder als stetige Begleiter haben werde. Aber gegen Kälte kann man sich schützen und nach der Dunkelheit kommt der morgen und mit etwas Glück auch die Sonne. Ich habe es immer genossen, das Zelt morgens aufzumachen und den Kopf in die kühle Frische hinaus zu strecken. Mit Genugtuung durfte ich in den vergangenen Sommer- und Herbstmonaten immer wieder sagen; es ist ein schöner Tag zum Wandern.

Die Reise habe ich mit dan und Pintaš begonnen und auch mit Nataša, ob sie mitwanderte oder nicht. Nataša war dabei, in Gedanken oder auch in echter Begleitung. Nur wenige Abschnitte bin ich ganz alleine gewandert. In Italien über die Orobiten, von Venedig nach Triest oder ab und zu auf einer der vielen dalmatischen Inseln in Kroatien. Immer war die Begleitung und eine erneute Begegnung mit bekannten Menschen voraussehbar. Immer war die Einsamkeit absehbar und berechenbar. Trotzdem; nicht immer war sie leicht zu ertragen. Vielleicht habe ich deshalb auch gelernt auf die Menschen einzugehen, sie um Rat und Hilfe zu fragen und vorallem auch ihre Gastfreundschaft dankend entgegen zu nehmen. Dass dies etwas ist was man durchaus lernen muss, wurde mir mit einem Besuch aus der Schweiz in Sarajevo bewusst. Für mich längst schon eine wunderschöne Selbstverständlichkeit von fremden Menschen eingeladen zu werden, an ihrem Tisch mich niederzulassen oder in ihrer Nähe zu übernachten, war eben dies für meine Besucher nicht selbstverständlich. Einfach nur zu nehmen ohne zu geben ist kein Leichtes. Aber vielleicht gibt man ja auch wenn man meint dass man nichts gibt. Schliesslich war jede Begegnung ein Austausch und schliesslich kommt es auf die Dankbarkeit an, die man dem Spender entgegen bringt.

Ich habe ein Vertrauen in die Umwelt gewonnen in den letzten Monaten. In die Menschen rund um mich herum und auch ein Vertrauen gegenüber dem Unbekannten, Fremden. Dies mag daran liegen, dass niemand mir je schlecht wollte oder das ich Glück hatte, das alles wie „am Schnürchen“ lief. Man könnte nun sagen, dass dies nicht immer so weitergehen wird. Dass ich auch einmal Pech haben könnte. Beispiele, in welchen Menschen, die alleine herumzogen, Schlechtes wiederfahren ist gibt es ja genügend. Doch soll dies ein Grund dafür sein zukünftig in Angst seines Weges zu gehen?
Ich habe Respekt vor der Natur. Vielleicht war ich in den letzten Monaten nicht immer vorsichtig genug, vielleicht hatte ich wirklich manchmal Glück das mir nichts passiert ist. Im Grossen und Ganzen glaube ich aber, dass mich ein gesunder Respekt immer schon auf der Reise begleitet hat. Ich glaube meine Kräfte zu kennen und weiss, dass man diese erst kennen lernt, wenn es darauf ankommt, dass dies auch nötig ist. Ich suche keine Gefahren doch gehe ich ihnen auch nicht unnötig aus dem Wege.

Nataša und ich kamen in den italienischen Bergen einmal in ein Gewitter. Das heisst, das Gewitter kam zu uns. Denn als wir uns abend müde ins Zelt legten war der Himmel noch wolkenlos und nichts deutete darauf hin, dass einige Stunden später orkanartige Böen über unser Zelt hinweg fegen würden und Wasser kübelweise aufs Plastikdach trommeln sollte. Wir hatten Angst in dieser Nacht, alleine in den Bergen, das Zelt immer wieder erhellt von starken Blitzen, nur Bruchteile einer Sekunde später ein Donnern das die Erde erzittern liess. Vielleicht eine halbe Stunde sassen wir wach in unserem Zelt, ich hielt die Zeltstangen fest, damit diese unter dem Druck des Windes nicht brechen würden. Wir warteten, wir hofften und wir beteten. Ich kann mich noch ziemlich genau an die Gedanken erinnern, die mir in jener Nacht durch den Kopf gingen; sollten wir dieses Gewitter überstehen würde es nicht wieder sein wie vorher! Dies mag völlig übertrieben tönen, aber es entspricht meiner Wahrheit. Auch wenn uns vielleicht keine unmittelbare Gefahr gedroht hatte, fühlten wir uns doch irgendwie dem Leben sehr nahe. Irgendwann zog das Gewitter vorüber, der Regen wurde schwächer und trommelte nunmehr ruhig und gleichmässig auf unser Zelt. Darüber schliefen wir ein. Als wir am nächsten Morgen in einem nassen Zelt aufwachten, erschienen uns die Erlebnisse der vergangenen Nacht wie ein Traum. Bereits schien wieder die Sonne und das Wasser glitzerte und funkelte im Gras, vereinzelt zogen noch ein paar Wolkenschwaden über den sauber geputzten Himmel. Ein neuer Tag war angebrochen.
Was sich seit jener Nacht verändert hat kann ich nicht genau sagen. Eigentlich war alles wie zuvor und doch nicht ganz. Dies beweist ja schon, dass ich immer wieder an jene Nacht zurückdenken muss, dass ich mich ihrer erinnere; nicht mit Schrecken und Angst, sondern irgendwie mit einer Art Dankbarkeit.

Ein Abschnitt des Weges lang waren wir zu viert unterwegs. Nataša, ich, mein Freund Heinrich und Pintaš der treuherzige Hund. Wir waren ein spezielles Grüppchen und viele Menschen denen wir begegneten schienen dies auch zu merken.
Eines Tages ereigneten sich so viele glückliche Erlebnisse, eines nach dem andern, dass wir es des abends kaum für möglich gehalten haben. Es begann damit, dass wir nach einem langen Weg einfach nichts zu essen bei uns hatten, aber dringend eine Pause brauchten. So erreichten wir wie per Zufall einen Fruchthain, an einem wunderschönen Fluss gelegen, der unseren Appetit fürs erste stillen sollte. Dank Natasa haben wir uns dort nieder gelassen und das Geschenk der Natur genossen; wäre es nämlich nach den beiden Männern gegangen, wären wir noch weiter gezogen bis zum ersten kühlen Bier. Am Nachmittag erreichten wir eine kleine Stadt, gönnten uns in einer Pizzeria ein verspätetes Mittagsmahl, welches uns von der Besitzerin kurzerhand spendiert wurde, so toll fand sie das seltsame Grüppchen, welches sich bei ihr eingefunden hatte. Des nachmittags machten wir uns auf die Suche nach Brot und Wasser für den Abend, fanden aber alle Läden geschlossen. Eine arabisch aussehende Frau öffnete die Türe und ohne dass wir danach fragten, bot sie uns frisch gebackenens Fladenbrot und kühles Quellwasser an. Bei der Suche nach dem Nachtlager, schien unser Glück erschöpft zu sein; ein Gewitter war im Anmarsch und weit und breit kein Waldrand oder ein anderer versteckter Ort um unsere Zelte aufzuschlagen. Schon wollten wir uns neben der Kirchmauer nieder lassen als ein Auto anhielt und nach unserem Begehren fragte. Der Fahrer bot uns an, wir könnten bei seinem Bauernhof übernachten, wo wir auch kurze Zeit später unsere Zelte aufgestellt hatten. Kaum war dies geschehen rief man uns dazu auf, mit der Familie am Abendbrot teilzuhaben, ein Essen welches äusserst ausgiebig war. Auch zum Frühstück am nächsten Morgen sassen wir gemeinsam mit der Bauernfamilie zu Tische. Das Fladenbrot verzehrten wir schliesslich zum Mittagessen.
Einen Tag lang nur Gastfreundschaft erlebt zu haben fassten wir als ein gutes Omen für unser sonderbares Grüppchen auf und beschlossen gemeinsam bis nach Venedig weiter zu wandern. Ich, der am Anfang immer ungeduldig war, dem es nie genug rasch vorwärts ging, musste einsehen, dass alles ganz genau so verlief wie es anscheinend sollte. Es gab keinen Zeitplan und auch wenn es einen gegeben hätte, wir hätten sowieso nichts davon wissen können.

In den letzten Monaten habe ich gelernt, dass sich nicht alles planen und organisieren lässt. Ich habe gelernt, dass es viele Dinge gibt die stärker sind als unser Wille oder unsere Wünsche.
In mir ist ein Gefühl für die Umwelt gewachsen und damit meine ich nicht was man gewöhnlich unter Umwelt versteht. Ich sehe die Menschen und auch die Natur verbundener als noch vor einigen Monaten. Denn schliesslich wird einem wenn man zu Fuss unterwegs ist bewusst, dass es keine natürlichen Grenzen gibt. Alles ist ein fliessender Übergang. Die Umwelt ist mir begehbar geworden und ich kann mein Glück nach dem Aufenthalt in Bosnien nur erahnen, welches mir zuteil geworden ist, von dieser Begehbarkeit auch gebrauch machen zu können. Die Bewohner dieses Landes stossen nämlich sehr rasch schon an die von Menschen geschaffenen Grenzen; ein Schritt reichte aus sie zu überschreiten, doch fehlt ihnen dazu das nötige Papier.

Die Welt ist mir ersichtlicher geworden in den letzten Monaten und damit ist auch meine Neugierde gewachsen. Beim Anblick von Bergen und Hügeln will ich nun die Landschaften sehen, die sich dahinter verbergen. Dass dieser Neugierde von der Natur her kaum ein Ende gesetzt werden kann bin ich mir bewusst. Ich werde diese Neugierde eines Tages in Zaum halten müssen.

Und dann ist auch dieser Wunsch in mir gewachsen die Geschichte eines Ortes zu verstehen. Dass das Zeit braucht habe ich hier in Sarajevo gelernt. Auch dass sich Geschichte aus Geschichten zusammensetzt, glaube ich nun zu wissen. Sie lässt sich nicht aus einem Buch erfahren. Geschichte kann auch durchaus widersprüchlich sein, das macht sie deshalb nicht unwahrer.
Mit einer gewissen Verlegenheit überlege ich mir dann was ich von der Geschichte meines Heimatortes weiss. Könnte ich ebenso fasziniert über einzelne Strassen, Gebäude oder Menschen dort sprechen? Dass ich das Interesse an der Geschichte nicht fallen lasse ist mir ein grosser Wunsch und dass ich mit derselben Neugierde und Aufmerksamkeit eines Tages durch Bern oder irgendwo sonst spazieren werde ein Begehren.

Dienstag, 30. März 2010

über das Helfen

Bild: "Arbeitest oder lebst du?"

Wenn man aus einem reichen Land in ein ärmeres Land kommt, dann wird man wohl unweigerlich mit der Frage konfrontiert, ob man hier irgend wem irgend etwas helfen kann. Es liegt auf der Hand, dass man immer helfen kann (um diesen Dienst zu tun muss man nicht einmal das reichere Land verlassen). Eine Eigenheit eines Landes wie Bosnien-Hercegowina und einer Stadt wie Sarajevo mag darin liegen, dass hier oftmals eine Hilfsbedürfdigkeit in den Grundbedürfnissen vorliegt; kein Holz zum Heizen, zu wenig Nahrund oder keinen Strom. Als ich im Februar in die ungeheizte Wohnung von Azra und Šefika kam und sie mir sagte, dass ihnen das Holz ausgegangen und dass bis auf weiteres kein Geld in Sicht sei um neues zu kaufen, so konnte ich gar nicht anders, als ihnen die 20 Mark zu geben. Damit konnten sie sich zwei Säcke Holz besorgen.
Seit neun Monaten lebe ich von meinen Ersparnissen aus der Schweiz; ich lebe hier und jetzt ohne hier und jetzt dafür arbeiten zu müssen. Eine Situation, welche Azra schon mehrmals Kopfzerberchen verursacht hat und die sie einfach nicht verstehen kann. Immer wieder fragt sie mich: "Aber wovon lebts du denn eigentlich?" Dass ich in der IKRK Küche freiwillig (unentgeltlich) gearbeitet habe findet sie eine Schande. Denn sie lebt und arbeitet im Glauben daran, dass jede Arbeit gemacht wird um sich das Leben und das seiner Familie besser und sicherer zu gestalten. Azra zweifelt keineswegs an der Notwendigkeit der Armenküche, aber meine Arbeit dort sollte ihrer Meinung nach bezahlt werden wie jede andere auch. Es nützt nichts, an dieser Stelle mit dem Schlagwort "Erfahrung" zu kommen (obwohl es eine Tatsache ist, dass die Arbeit in Sarajevo für mich eine prägende Erfahrung war). Den meisten Menschen in Sarajevo geht es nicht darum, noch mehr Erfahrungen in ihrem Leben zu sammeln; sie wollen ein normales Leben leben, ein Leben wie es die meisten von ihnen vor dem Ausbruch des Krieges 1992 gekannt haben.

Man will nicht immer davon sprechen, kommt aber doch nicht darum herum, ihn immer und immer wieder zu erwähnen: den Krieg.
In Bosnien-Hercegowina gibt es heutzutage die gängige Zeiteinteilung "vor und nach dem Krieg". Vor dem Krieg war Bosnien-Hercegowina, soweit ich es beurteilen kann, ein Land, welches optimistisch in die Zukunft geschaut hat. Gerade Sarajevo lebte von der grossen, multi ethnischen Kultur und verstand sich mit Stolz als ein Beispiel des friedlichen Zusammenlebens verschiedener Religionen. Noch heute fällt immer wieder der Ausdruck "little Jerusalem". Während der Zeit Jugoslawiens gab es in Bosnien-Hercegowina genügend Arbeit und wo es diese nicht gab, da ermöglichte der jugoslawische Pass den Bürgern und Bürgerinnen dieses Landes ins Ausland zu gehen um dort ihr Glück zu versuchen; eine Möglichkeit, die für die Menschen hier heutzutage unvorstellbar ist. Der jugoslawische Pass galt lange Zeit als einer der beliebtesten Pässe weltweit (vielleicht so wie heute der schweizer Pass?), denn Josip Broz Tito hat es geschafft, Allianzen rund um den Erdball zu schmieden, welche es den Jugoslawinnen und Jugoslawen erlaubten, beispielsweise ohne Visum in die UDSSR, nach Westeuropa, in die USA oder auch nach Indien zu reisen. Die Bürger von Bosnien-Hercegowina fühlten sich damals, vor dem Krieg, alles andere als Gefangene im eigenen Land.

Šefika, Azras Mutter, arbeitete in den 70er Jahren während vier Jahren in einer Kosmetikfabrik in der Nähe von Düsseldorf. Ihre drei Kinder waren damals noch klein, ihr Mann, welcher vor einem Jahr gestorben ist, sorgte für sie. Während diesen vier Jahren schnappte die heute 72 jährige Frau einige Brocken deutsch auf; so zum Beispiel das Wort "Arbeit", welches sie stets mit der folgenden Geste unterstreicht: Sie formt beide Hände zu Fäusten, wobei die eine Faust einen Nagel und die andere einen Hammer darstellt. Nun schlägt sie mit der Hammerfaust auf die Nagelfaust und spricht es aus, was sie während vier Jahren in Deutschland gemacht hat: Arbeit, Arbeit, Arbeit... Azra hat mir einmal die technische Schule gegenüber dem Nationalmuseum gezeigt, wo sie als junge Frau eine Ausbildung zur Schneiderin gemacht hat. Gearbeitet hat sie nie als Schneiderin, dafür erledigte sie aber sonst so ziemlich alle ihr aufgetragenen Arbeiten. Ihre "Ausland-Erfahrungen" beruhen in einem sechs monatigen Aufenthalt an der kroatischen Küste bei Makarska wo sie alleine die Küche eines Hotels geschmissen hat. Beide mussten wir erneut lachen, als sie mir kürzlich zum dritten Mal erzählte, wie sie damals in Makarska angekommen sei und wie man von ihr verlangte habe, sie solle nun dalmatinische Speisen zubereiten. Azra hatte noch nie zuvor einen Fisch gebraten und dabei sollte es auch bleiben. Denn sie liess den Chef wissen, dass sie nur das bosnische Küchenhandwerk verstehe, dass wenn er sie aber darin unterstütze, ihm die Kundschaft gewiss sein werde. Und so kam es dazu, dass Azra, umgeben vom Geruch gebratener Fische, standhaft ihre bosnischen Pitas zubereitete, ab und zu einen bosnischen Eintopf servierte oder auch mal den Grill anwarf um darauf einige Čevapis zu braten. Die Ašćinica Azra war ein grosser Erfolg und als Azra am Ende der Saison ihre Koffer packte und per Zug über Metkovič, Mostar nach Sarajevo zurück fahren wollte, liess sie der Chef wissen, dass er sie eigenhändig mit seinem Auto nach Sarajevo zurück fahren werde. Da hat die alte (damals noch junge) Šefika schön gestaunt, als sie ihre Tochter Azra in einem glänzenden BMW die steilen Gassen des Bistrik hochfahren sah. So was hätte es dort noch nie gegegben, versicherte mir Azra. Der Chef bedauerte es, dass Azra nicht mehr bei ihm arbeiten würde, aber für sie war es zu schwierig, von ihrer Familie und ihrer Stadt getrennt zu sein.

So hat man es damals, vor dem Krieg, irgendwie geschafft, sein Leben zu meistern. Mit etwas Einfallsreichtum und Mut war es möglich gewesen anständig Geld zu verdienen um anständig leben zu können.

Als ich vor zwei Tagen zusammen mit Fuad und den zwei Radiomacherinnen Lucia und Marina im Bistrik zu Besuch war, wurden wir vor allem mit dem Leben nach dem Krieg konfrontiert.
Das grosse Haus, welches Azras Grossvater einst gebaut hatte, wurde bereits vor Jahren verkauft. Šefika, Azra und ihr Sohn Mindele wohnen nun in einem kleinen Häuschen, direkt neben ihrem alten, ehemaligen, grossen und schönen Haus. Das ehemalige Haus hat eine weissgetünchte Fassade, ihr Haus besteht, wie fast alle Häuser in diesem Teil des Bistriks, aus nackten Ziegelsteinen. Šefika bewohnt den oberen Stock (ein Stock gleich ein Zimmer) des Hauses. Wäre ihr Zimmer die Dependance eines Luxushotels, man könnte hier ein Vermögen für eine Nacht verlangen; vom Fenster aus gleitet der Blick über die ganze Altstadt von Sarajevo. Scheint die Sonne, spiegelt sich das Licht dort unten im Talkessel in Tausenden von Fensterscheiben und man hat den Eindruck als schaue man hinaus auf einen See. Azra und ihr Sohn Mindele wohnen seit drei Jahren im unteren Stock des Hauses. Eine Unzahl von Teppichen, die sie über den blossen Erdboden gelegt haben, welcher den Fussboden des Zimmers bildet, schützt die Beiden einigermassen vor Kälte und Feuchtigkeit. Das Wasser welches bei Regen regelrecht durch ihre Wohnung fliesst und welches konstant an den Wänden nagt, ist jedoch nicht aufzuhalten.

Wir sassen alle sechs in Azras Zimmer auf einem Sofa, nur Mindele spielte draussen mit seinem neuen Fussball (danke Aljaš!). Fuad erklärte den Beiden, dass die zwei Frauen nach Sarajevo gekommen seien, damit sie hier mit Leuten sprechen könnten um in Erfahrung zu bringen, wie Menschen hier leben. "Und dann?", wollte Azra wissen. Ja, und dann... Dann wahrscheinlich nichts. Dann werde man aus dem Tonmaterial eine Radiosendung machen und diese werde eines Tages (inshalla noch diesen Herbst) im nationalen Radio in der Schweiz ausgestrahlt werden. Viele Menschen aus der Schweiz würden dadurch hoffentlich mehr über das Leben der Menschen in Bosnien-Hercegowina und in Sarajevo erfahren. "Und wird uns jemand helfen? Wie erfahren sie von uns, wenn sie uns helfen wollen?", wollte Azra weiter wissen. Ihre Mutter Šefika konnte ihr erklären, dass es nicht um eine konkrete Hilfeleistung gehe, sondern viel mehr darum, den Menschen im Ausland zu zeigen, wie schwierig das Leben hier in Sarajevo sein kann. Nichts Konkretes also...

Und doch konnten wir an diesem Tag noch konkret etwas helfen. Azra kam während des Gespräches auf ihren neuen Holzofen zu sprechen, welcher seit einem Tag am alten Ofenrohr angeschlossen in ihrem Zimmer stand. Der alte Ofen sei unerträglich geworden, denn ständig sei der Rauch aus allen Ritzen ins Zimmer gestiegen. Nun hätte ihr eine Bekannte diesen neuen Holzofen gegeben, für nur 40 Mark. In der Baščaršija, wo diese metallenen Öfen in Handarbeit hergestellt werden, bezahle man dafür 200 Mark (wie ich gesehen habe sind es 250 Mark). Nun habe sie aber auch die nötigen 40 Mark nicht um diesen Ofen zu kaufen und müsse ihn wohl deshalb bald schon bald der Bekannten zurück geben.
Es waren genau 10 Mark (5 Euro), die jeder und jede von uns hinlegte, damit Azra den Holzofen behalten konnte, welcher bereits am Ofenrohr angeschlossen wärmend in ihrem Zimmer stand. Fuad bestand darauf, Azra auch 10 Mark zu geben, obwohl er als Kellner gerade mal 300 Mark monatlich verdient. Später sagte er mir, dass er ihr gerne noch mehr gegeben hätte, dass er es tun werde, wenn er einmal mehr Geld habe. Das sei normal hier (oder zumindest für ihn), meinte er. Wenn man kann, dann hilft man. Denn schliesslich nehme man am Tag des Abschieds aus dieser Welt nichts mit auf den Weg; nicht das Geld, nicht das Haus und auch nicht die schönen Kleider, die man trägt. Was sind denn schon 10 Mark im Hinblick darauf, dass alles vergänglich ist...

Nachtrag:

Gestern wurde ich eingeladen, der Einweihung des neuen Kühlraumes für die Rot-Kreuz Küche in Vogošča beizuwohnen. Um das tägliche Essen für mehr als 1600 Menschen zuzubereiten, bedarf es einer grossen Menge an Lebensmitteln (auch Frischprodukte), welche bisher nur schwerlich in diesen Mengen gelagert werden konnten. Dank einer grosszügigen Spende des Sankt Johannes Ordens aus der Schweiz konnte nun in Vogošča (eine Gemeinde etwas ausserhalb von Sarajevo) innerhalb von nur zwei Monaten ein grosser Kühlraum fertig gestellt werden, welcher die Logistik der Küche in Zukunft sehr vereinfachen wird.

Bevor ich im Februar nach Maribor gefahren bin, schrieb ich als freiwilliger Helfer der IKRK Küche im Namen des Roten Kreuzes einen Bericht über die Arbeit der Küche. Dieser Bericht wurde zusammen mit einigen Bildern zuhanden des Sankt Johannes Ordens in die Schweiz geschickt. Das Geld wurde gesprochen (was bestimmt auch ohne meinen Bericht wäre getan worden) und gestern fand nun also die Einweihung des neuen Kühlraumes statt.
Vertreter des kantonalen und nationalen Roten Kreuzes fanden sich ein, politische Vertreter der Gemeinde Vogošča und des Kantons Sarajevo und für die Küche der 82 jährige Refik Kravič und ich. Erwartet hätte ich die ganze Küchenmannschaft, jene Leute welche täglich acht Stunden dort arbeiten, jene welche mich anfang Januar mit ihrer ganzen Gastfreundschaft und ihrem unebzahlbaren Humor empfangen haben.
Vor dem Festessen erhielt der Vertreter des Sankt Johannes Ordens, welcher zu diesem Zweck nach Sarajevo gereist war und welcher selber jahrelang fürs Rote Kreuz gearbeitet hat, zahlreiche Ehrungen und Zertifikate von kantonaler und nationaler Stelle. Und dann wurde auch ich nach vorne gerufen. Fikret, der Sekretär des Roten Kreuzes, überreichte mir eine Bescheinigung, von Herrn Kravič persönlich ausgestellt, welche meine freiwillige Arbeit in der Küche lobt und schätzt. Es wurde applaudiert und ich durfte mit meinem Zertifikat vor einer Pressekamera possieren.

Ich bin glücklich darüber, dass man meine Arbeit dermassen lobt und schätzt, aber ich stelle mir auch die Frage, was ich denn eigentlich gemacht habe. Wem habe ich geholfen? Was konnte ich durch meine Arbeit zum besseren verändern?

Ich verliess Vogošča mit jenem fast unbeschreiblichen Gefühl, dass ich von den Menschen der Rot-Kreuz Küche viel mehr erhalten habe, als ich ihnen zu geben vermocht habe.


Sonntag, 28. März 2010

zurück zu Šefika


Als wäre es erst gestern gewesen, kam es mir heute vor, als wir zusammen mit Šefika, Azra und Mindele auf der Mauer oberhalb ihres Häuschens sassen und die Stadt unter uns sahen. Wie damals im November war es auch jetzt wunderschönes Wetter. Šefika war schon lange nicht mehr an ihrem Lieblingsplätzchen gewesen, da wo ich ihr damals zum ersten Mal begenet bin. In ihrem Haus wurden Fuad, ich, und die zwei Radiomacherinnen Lucia und Marina bei bosnischem Kaffee herzlich empfangen. Azra erzählte aus ihrem Leben und durch die Übersetzung von Fuad erfuhr ich das ein oder andere endlich mal etwas genauer. Es ist eine eindrückliche Geschichte, die sie uns erzählte...
Später auf einem Spaziergang zur Bobbahn unterhalb des Trebević, fand ich die Wiesen bereits blumenübersät. Wäre ich nicht etwas krank zur Zeit, meine Abreise wäre am Dienstag eine abgemachte Sache. So muss ich nun zuerst einmal schauen, welche Wunder Šefikas Tee vollbringen kann und mich richtig auskurieren.

Freitag, 26. März 2010

Gedanken eines Schlendrians

Manchmal weiss ich wirklich nicht, wo ich mit erzählen anfangen soll. Manchmal erscheint mir hier alles wieder so neu und unglaublich anders, dass ich es kaum glauben kann.

Es ist wahr; ich warte, ich warte auf den Tag des Weitergehens, ich habe wenig bis nichts zu tun, ich schlendere stundenlang durch die Strassen oder setze mich, wie auch jetzt, in eine bosnische Kaffeestube. Eben wählte ich die Tunel Kafana, eines meiner liebsten Häuser. Die roten Tische und Stühle reichen beinahe bis zum Sebilj Brunnen auf der Mitte des Platzes hinaus. Im Schatten des hohen Brunnens liegt ein schwarzer Hund. Er schaut auf die Tauben, die in Hundertscharen gurrend um die drei Pappeln herumhüpfen. Lichterketten hängen in den Pappeln, wer weiss zu welchem Zwecke sie dort aufgehängt wurden, wer weiss wie lange sie noch dort hängen werden und wen kümmern denn schon solche Fragen...
Ich trinke einen bosnischen Kaffee, denn ich wusste nichts anderes zu bestellen. Jetzt wüsste ich es, denn der Mann welcher mit mir den Tisch teilt (er sieht aus wie Uwe Schönbeck als Museumswärter, nur ohne Zähne) hat für sich eine Limonade bestellt und erhielt ein Glas Wasser mit dem Saft einer frischen Zitrone und einigen Prisen Zucker; das wird es sein, was ich mir nächstes Mal bestellen werde. Doch muss ich dazu flink sein, denn der junge Kellner kennt mich bereits und ich muss meine Bestellung bei ihm gar nicht mehr aufgeben.

Meine Zeit hier in Sarajevo ist bald zu Ende. Es würde so nicht viel länger gehen. Mich drängt der bevorstehende Weg nach vorne, ich glaube mich von Sarajevo verabschieden zu können.

Heute Vormittag war ich in der Küche, wo ich im Januar und Februar gearbeitet habe. Beim Kaffee fragte ich Ismed was es denn Neues gäbe. "Nema ništa, nichts neues, wie denn auch. Alles ist gleich, Tag für Tag", und alle lachten. Mit Haris verabredete ich mich für den Samstag Abend zum Fussballspiel seiner Lieblingsmannschaft Želijo im Stadion Grbavica. Der Chef Refik Kravič wollte nochmals meine Adresse haben, denn wenn er die Arbeit eines Tages an den Nagel hängen sollte, er ist jetzt 82 Jahre alt, will er mich in der Schweiz besuchen kommen.

Später war ich auf der montenegrinischen Botschaft. Ich wollte mich nach Möglichkeiten über den Nationalpark Durmitor an der bosnisch-montenegrinischen Grenze erkundigen. Mit dem Botschafter sprach ich auf französisch. Er machte mir klar, dass ich mich mit einem Schengen-Visum nur genau sieben Tage in Montenegro aufhalten könne. Ich erklärte ihm, dass ich gedenke durch das Land zu wandern und dass mich dies weit mehr als nur sieben Tage in Anspruch nehmen würde. Doch er blieb dabei. Aber gilt denn eigentlich mein Schweizer Pass wie ein Schengenvisum? Ich will es gar nicht wissen (und glaube sogar, dass ich es gar nicht wissen muss, was mein unbezahlbares Glück ist) und verliess die montenegrinische Botschaft bald darauf mit einem Prospekt über die wunderschöne Küste rund um Kotor (in montenegrinischer Sprache). Bevor ich das Haus verliess, gab mir ein Mann, welcher im Eingang auf einem Sofa sass und so ganz montenegrinisch aussah, mit einer meisterhaften Bewegung zu verstehen, was mich im Nationalpark Durmitor erwarten würde: Er hob den linken Arm, winkelte ihn an, zog ihn so rasch bis auf die Höhe seiner Brust hinunter und rief: Yes!

Donnerstag, 25. März 2010

Bewegungsfreiheit

Kaum hat die erste Frühlingssonne den Wettkampf mit den Wolken gewonnen, scheint die Stadt aus allen Nähten zu platzen. Auf einmal sind alle Gassen voll von Menschen, die spazierend sich Sonnenbrillen aufsetzen und den Pulli über die Schultern geworfen haben. In der ganzen Stadt wimmelt es nun von fliegenden Verkäufern; einige klappern mit den ersten erblühten Haselsträuchern die Kaffestuben ab, deren Kellner nun alle Hände voll zu tun haben, da fast überall Tische und Stühle auf die Gassen rausgestellt wurden. Ich beginne zu erahnen, wie diese Stadt sich im Sommer anfühlen kann, welcher Lebenspuls hier herrschen muss.

Fuad profitiert im Moment kaum von der Frühlingssonne, arbeitet er doch nach wie vor in einer Kaffebar, welche, halb in den Keller versenkt, kaum Tageslicht kennt.

Im Moment sind zwei Frauen aus Bern, welche fürs Radio eine Sendung über Bosnien vorbereiten, zu Besuch in Sarajevo. Ich konnte ihnen Fuad als Übersetzer vermitteln und so sind wir gestern abend zu viert zur Bijela Tablja hochgestiegen um dort bei guter bosnischer Speise über die anstehende Radiosendung zu sprechen. Im Gespräch über Bosnien, über dessen Geschichte und Kultur, ist mir einmal mehr aufgefallen, wie wenig ich von diesem Land wusste, bevor es mich hier hin verschlagen hat. Dies allein auf die spärlichen Informationen abzuschieben, welche man anscheinend in den schweizerischen Tagesmedien über dieses Land erfährt, wäre verfehlt. Kann man sich doch immer auch auf anderen Wegen informieren, wenn man das wirklich will. Nein, ich denke es liegt schlicht und einfach daran, dass mir der Bezug zu Bosnien gefehlt hatte. So wie mir heute zum Beispiel noch immer der Bezug zu Belgien fehlt, ich demnach wenig bis nichts von Belgien weiss, auch wenn das Land so nahe liegt.

In der Radiosendung wird es ums Thema "Bewegungsfreiheit" gehen. Im Zuge der Südosterweiterung der EU und der damit einhergehenden "Personenfreizügigkeit" ( eigentlich ein äusserst schreckliches Wort!) ist die Wahl des Themas bestimmt gut. Denn die "Bewegungsfreiheit" im Südosten Europas scheint uns direkt zu betreffen, so befürchten zumindest viele Menschen. Ich habe die zwei Frauen aus der Schweiz gefragt, was sie denn von der bevorstehenden Aufhebung der Visumspflicht für Bosnier und Bosnierinnen in den Medien gehört hätten. Nichts hätte man gehört, jedenfalls nichts konkretes. Hier in Bosnien hört man zwar diesbezüglich auch nichts konkretes, dafür hört man aber sehr viel. Azra zum Beispiel erzählte mir bereits im Dezember begeistert davon, dass spätestens Ende März die Visumspflicht aufgehoben würde. Andere nennen als Stichtag den Dezember dieses Jahres, wieder andere sprechen davon, dass sich für die nächsten paar Jahre überhaupt nichts ändern würde.

Welches sind denn genau die Bedingungen für die Aufhebung der Visumspflicht? Geht es um "good government"? Wenn ja, dann wird sich die Sache wahrscheinlich wirklich noch auf Jahre hinaus zögern, denn die politische Ausgangslage in diesem Land ist nicht gerade eine Basis für "good government".

Würde sich für Azra, Mindele und Šefika etwas in ihrem Leben verändern, wenn sie ohne Visum in die EU einreisen könnten? Höchstwahrscheinlich nicht, genau so wenig wie es für die Mehrheit der anderen Bosnier und Bosnierinnen etwas konkretes verändern würde. Aber es wäre wohl für viele Menschen psychologisch wichtig, dass sie zumindest in dieser Freiheit gleich behandelt würden wie die Bürger aller anderen europäischen Staaten (ausser den Albanerinnen und Albanern). Das Wissen darum, dass man nicht eingesperrt ist wäre für viele Menschen bestimmt eine Erleichterung.

Falls Fuad, Nataša und ich eines Tages eine bosnische Ašćinica in Bern eröffnen wollen, dann brauchen wir eine der besten bosnischen Köchinnen, die uns für einige Zeit auf die Finger schaut, uns berädt und es der bosnischen Küche vielleicht ermöglichen könnte, den Kulturschock zu überstehen, welcher ihr bei der Ankunft in der Schweiz bestimmt anhaften würde. Mit Azra habe ich genau diese Köchin gefunden und im Gegenzug zu einem Sommeraufenthalt in der Schweiz wäre sie zu dieser Hilfeleistung gerne bereit; Bern würde es ihr verdanken!

Ich werde Bosnien wohl bald verlassen, einen grossen Teil der Erinnerungen an diese Reise werde ich diesem Land und seinen Menschen zu verdanken haben. Es sind Menschen, welche das Wort "Bewegungsfreiheit" für sich zu deuten wissen und beim Aufkommen der ersten Frühlingssonne gemeinsam durch ihre Stadt spazieren, als würden sie dafür bezahlt.

Tram fahren in Sarajevo

Es ist immer wieder eine unklare Angelegenheit wie man in Sarajevo Tram fährt. Vor allem was den Kauf der Tickets anbelangt. Eine Tramfahrt in Sarajevo ist mit 1.80 Mark (90 Eurocent) verhältnismässig teuer. Dafür kann man sich bereits anständig den Magen füllen oder auch ein Bier in einem Restaurant trinken. Deshalb kaufen längst nicht alle Tramfahrende ein Ticket. Kontrollen gibt es aber immer öfters. Die sehen dann meistens folgendermassen aus: Es steigen mindestens vier Männer ins Tram, zwei in Polizeiuniformen, einer in Zivil und einer in einem massgeschneiderten Anzug und Krawatte. Der Letztere steht in Folge lässig im Fahrzeug und beschaut die Arbeit der drei anderen. Der Mann in Zivil kontrolliert die Tickets und die zwei Polizisten erledigen, wenn nötig den Rest der Arbeit. Diese kann beinhalten: a.) Leute ohne Tickets darauf aufmerksam machen, dass sie das Tram bei der nächsten Station verlassen sollen b.) Adressen der Schwarzfahrer notieren c.) die Schwarzfahrer auf die Möglichkeit aufmerksam machen, dass sie beim Fahrer ein Ticket erstehen können.
Da verwundert es mich nicht, dass sich das Mädchen entschieden hat, zukünftig ihr eigenes Abteil zu beziehen.

Mittwoch, 24. März 2010

Alpašino Polje

Alpašino Polje, das Wohnviertel in welchem Fuad zur Zeit wohnt (und wo ich ein Zimmer bekommen konnte) wird manchmal auch als Al Pacino Polje bezeichnet. Es gilt nicht als ungefährlich, wenn man auf die Aussagen einiger Bewohner hört.
Es ist ein anderes Leben hier als in der Baščaršija. Es ist eine Wohngegend, funktional und unspektakulär. Hundert Meter von unserem Wohnblock entfernt, befindet sich eine der 18 Verteilstellen, an welchem das Essen aus der IKRK Küche ausgegeben wird.

Das letzte Stück

Bald ist er fertig gestellt der "Trg Bosnia-Hercegowina" (Platz von Bosnien und Hercegowina). Er umfasst ein weitläufiges Gelände dessen Zentrum das vor Neuheit glänzende Parlamentsgebäude bildet. Wie ich heute gesehen habe, wurde im letzen Monat hier emsig gearbeitet. Dem modernen Kunstwerk auf dem mit Granitplatten bedeckten Platz fehlt nur noch ein letztes Stück, bevor es den Bewohnern übergeben werden kann.

Aber leider ist es mit Marmorplatten und grün getönten Glasfenstern noch nicht getan; die Ideen, Gedanken und Visionen, welche aus dem Parlamentsgebäude ins Land hinaus getragen werden, können das Leben der Menschen hier verändern und nicht das fertiggestellte Kunstwerk.

Dienstag, 23. März 2010

Hajde Mladen!


Bild: Irgendwo in Bosnien ist mir die Schwester von Pintaš über die Schiene gelaufen, passiert ist ihr nichts...

Es ist interessant und schön zu sehen, wie sich das Innenleben eines Zuges verändert, wenn man als dessen Passagier die gesamte Strecke fährt, während die Mehrheit der Passagiere irgendwo zwischen Abfahrt und Ankunft aus- oder einsteigen.
Mit der Eisenbahn bin ich am Montag von Maribor nach Sarajevo gefahren; eine Fahrt von 13 Stunden (mit dem Auto ca. 6 Stunden). Da gab es zuerst den Intercity zwischen Maribor und Ljubljana, mit Reservationspflicht. Dieser Zug unterscheidet sich im Aussehen nur unwesentlich von den ICE Zügen in der Schweiz. Der einzige Unterschied liegt wohl darin, dass das Tempo des slowenischen ICE Zuges und die Haltefrequenz demjenigen eines schweizerischen Bummlers gleich kommt. In Sanski Most, ein Ort zwischen Zagreb und Ljubljana welchem das gleiche Schiksal zukommt wie dem schweizerischen Olten, stieg ich auf einen Regionalzug nach Zagreb um. Dort angekommen musste ich mich beeilen, denn der Regio hatte Verspätung; so blieben mir fünf Minuten Zeit um mir die Beine zu vertreten und den Zug zu besteigen, welcher mich nun für die nächsten 9 Stunden beherbergen würde.
Zwei Waggons, einer mit serbischer und einer mit kroatischer Aufschrift, gezogen von einer Diesel betriebenen Lokomotive. Die Züge in Kroatien und Bosnien haben nach wie vor Zugabteile und Schiebefenster, welche es einem ermöglichen, sich während der Fahrt den Kopf zu kühlen. Auch der Gang, durch welchen ich mich, schwerbeladen wie ich war, wie durch einen Stollen hindurch zwängen musste, darf bei solchen Zügen nicht fehlen. Die Schiebefenster im Gang erlauben es einem bereits in Kroatien, am offenen Fenster zu rauchen. Spätestens ab der kroatisch-bosnischen Grenze (Grenzen bringen ja immer auch einen Personalwechsel mit sich), sind diese Gangfenster dann überflüssig, denn ab dort wird auch im Abteil geraucht; Rauchverbot hin oder her. Ein junger Mann fragte aber eine Mitfahrerin, ob es sie störe wenn er rauche. Sie antwortete: Wie denn auch, ich bin doch keine Ausländerin (natürlich musste ich da einwerfen, dass es mich als Ausländer auch nicht störe).
Ab dem bosnischen Doboj leistete mir der junge Mladen Gesellschaft. Aufgrund seines Facebook-Profils wurde eine Casting Agention auf ihn aufmerksam und Mladen wurde zur Teilnahme an der Ausscheidung zu einer Bigbrother ähnlichen Show fürs bosnische Staatsfernsehen eingeladen. So liess er denn sein Informatikstudium vorläufig links liegen und bereitete sich auf die Tests zur Show vor. Bereits zwei Mal war er derenthalben in Sarajevo, musste vor einer Jury singen, tanzen und reden und hat es geschafft, 950 Konkurrenten hinter sich zu lassen. Heute nun geht es um die Wurst und sollte Mladen auch diesen Test bestehen, so wird er für die nächsten drei Monate nicht zurück nach Doboj fahren (denn so lange dauert die Show, welche im bosnischen Fernsehen gezeigt wird) und ich kann mich dann glücklich schätzen, einen Fernsehprominenten vor seinem Aufstieg im Zug nach Sarajevo kennen gelernt zu haben.

Deshalb: Hajde Mladen, go for it!

Sarajevo

Bild: Dieser Mann bessert seine Pension auf, indem er in Alpašino Polje Pantoffeln verkauft. Mit seinem Rad ist er bereits mehrmals nach Belgrad und zurück gefahren, ein richtiger Viajero!

Zurück in Sarajevo. Alle sind noch da; die Freunde, die unbekannten Bekannten, die Autos, die Moscheen und die Kirchen, die Hügel und die Hunde; die letzteren liegen nun frühlingsreif auf den Gehsteigen und besteigen sich vor den Augen der Passanten. Der Winter ist vorbei; das jedenfalls scheinen die Hunde zu wissen.
Ich wohne bei Fuad, in der Neustadt, eine gute Tramfahrt vom Zentrum entfernt. Hier lebt es sich etwas anders als in der unmittelbaren Nähe der Baščaršja.
Es ist warm, es ist regnerisch und versmogt. Der Smog ist für mich nach dem Aufenthalt in Maribor nun augenfällig.
Ich nehme mir einige Tage Zeit Freunde zu besuchen und mich auf die weitere Reise vorzubereiten. Doch viel planen kann ich eigentlich nicht. Nur den Tag des Weitergehens gilt es festzulegen.

Sonntag, 21. März 2010

Wegzeichen

Leicht läuft es sich da wo Wegzeichen dir den Weg zeigen.
Ihnen zu folgen gibt Sicherheit und Vertrauen.
Ich will versuchen sie zu sehen, auch dort wo sie unsichtbar sind oder versteckt unter dem Laub und dem Moos, unter den Steinen oder hinter den Hügeln.
Und mit dem gleichen Vertrauen den Weg gehen, auf welchem es anscheinend keine Wegzeichen mehr gibt.

Nasvidenje Maribor

Bild: Maribor und die schöne Drava

Der offizielle Frühlingsbeginn hier in Maribor ist vielversprechend. Der Schnee ist bis in die Hänge des Pohorije hinein geschmolzen, aus allen Erdstücken drücken sich Blumenköpfe aus dem nassen Boden.
Morgen werde ich nach Sarajevo zurück fahren. Die Zeit in Maribor bei Nataša, Pintaš und den vielen guten Freunden kommt zu einem vorläufigen Ende. Es war eine tolle Zeit hier und dieser Monat in Slowenien ist wie im Flug vorbei gezogen. Bei Slowenien verhält es sich bei mir ähnlich wie mit Ungarn; ich war schon öfters hier, habe aber doch nur weniges gesehen. Aber dieses Wenige hier in Slowenien kenne ich ziemlich gut und ich werde gerne hier hin zurück kommen.
Vorerst einmal hoffe ich aber, dass der Frühling hält was er verspricht, dass auch in Sarajevo und auf den Karawanenstrassen in den Süden der Schnee am schmelzen ist und die Sonne den Boden langsam trocknen wird. Von Sarajevo aus gedenke ich in etwa einer Woche in Richtung Montenegro weiter zu gehen.

Bild: Pintaš und die schöne Nataša

Mittwoch, 17. März 2010

Etwas Neues


Vor einigen Tagen habe ich das Buch "Wesire und Konsuln" (auch bekannt unter dem Titel "Travniker Chroniken") zu Ende gelesen. Ivo Andric beschreibt in diesem Buch das Schiksal seiner bosnischen Heimatstadt Travnik im frühen 19. Jahrhundert, als neben dem türkischen Wesir zwei Konsuln der österreichischen und französischen Grossmächte ihre Einflüsse auszuüben versuchen.
Was ich an diesem Buch, und überhaupt an dem was ich bisher von Andric gelesen habe mag, ist seine detailhaftigkeit und die Fähigkeit eine Erzählung des Weltgeschehens auf einzelne Schiksale runterzubrechen. Er braucht den Leser nicht an tausend Schauplätze zu geleiten um ihm weltpolitische Ereignisse vor Augen zu führen.
Immer wieder kommen in seinen Büchern alte Menschen zu Wort. Menschen die oftmals lange Zeit schweigen bevor sie den Mund aufmachen und ihre Meinung sagen. Mit dem Resultat, dass dann alle Anwesenden ihnen zuhören. Meistens bleiben ihre Aussagen unerwidert und im Buch "Wesire und Konsuln" bringen die Worte des alten Hamid-Beg die Geschichte zu einem vorläufigen Ende, auf jeden Fall stehen sie am Ende des Romans.

"Sieben Jahre", sagte Hamid-Beg versonnen, jede Silbe dehnend, "sieben Jahre! Und erinnert ihr euch, was für Trubel und Aufregung wegen diesen Konsuln herrschte und wegen jenes... jenes... Bunaparte? Bunaparte hier, Bunaparte dort. Und dies wird er tun, dies unterlassen. Die Welt war ihm zu eng geworden, für seine Kraft gab es kein Mass und nichts Gleichwertiges. Und unser einheimisches Ungläubigenpack erhop sein Haupt wie ein tauber Weizenhalm. Die einen klammerten sich dem französischen, die anderen dem österreichischen Kosuln an die Rockschösse, und die dritten warteten auf den moskowitschen. Die Rajah verlor richtig den Verstand und wurde geradezu toll. Und sieh da, auch das ging vorbei. Die Kaiser erhoben sich und zerbrachen den Bunaparte . Die Konsuln werden sich aus Travnik davonmachen. Ein paar Jahre wird man sie noch erwähnen. Die Kinder werden am Ufer Konsul und Kawass spielen, auf hölzernen Stangen reiten, aber auch sie werden die Konsuln vergessen, als hätte es sie nie gegeben. Alles wird wieder so sein, wie es nach Gottes Willen von jeher war."
Hamid-Beg stockt in seiner Rede, denn der Atem verlässt ihn. Die anderen schweigen. Sie warten, was der Greis noch zu sagen hat, und schmauchend geniessen alle die behagliche, sieghafte Stille.
Als wir im letzten Monate daran waren den Laden zu renovieren, als wir geschliffen, gehämmert und gemalt haben, sind immer wieder Leute am Geschäft vorbei spaziert und manche haben neugierig durch die offene Türe geschielt und manchmal auch gefragt was wir hier machen. Die Idee eines Fair Trade Ladens fanden die meisten genial und viele haben ihren zukünftigen Besuch versprochen. Einige Passanten erkundigten sich auch ob sie die Holzresten vor der Türe zu eigenen Bastelarbeiten verwenden dürften.

Heute, kurz vor Feierabend, machte ein alter Mann vor dem Laden Halt. Als die Bohrmaschine ihre Arbeit kurz unterbrach meinte er mit leiser Stimme: "Etwas Neues". Das war alles und noch kaum hatte er diesen knappen Satz zu Ende gemurmelt ging er auch schon weiter seines Weges.

bona

Ich tue mich schwer mit dem Erlernen der slowenischen Sprache. Ich mache so ziemlich keine Fortschritte. Dies mag daran liegen, dass ich mich mit fast allen Leuten hier auf englisch unterhalten kann. Mir gefällt das Slowenische sehr gut aber noch heute, fast einen Monat bin ich nun bereits in Maribor, rutscht mir im Laden noch immer das bosnische „doviđenja“ heraus wenn ich mich verabschieden will. Einige Wörter sind auf bosnisch wie auch auf slowenisch gleich. Den Ausdruck „bona“ gibt es aber auf slowenisch wahrscheinlich nicht.
Als Fuad einmal in unserer Wohnung mit seiner Mutter telefonierte, hörte ich anscheinend zum ersten Mal das schöne bosnische Wort „bona“. Noch heute weiss ich nicht genau was es bedeutet, bisher konnte niemand mir das wirklich erklären. Es ist aber bestimmt ein ähnlich schmeichelnd sympathischer Ausdruck wie das Wort„duša“, was soviel bedeutet wie „Seele“. Mag man jemanden gerne, so spricht man in Bosnien diese Person manchmal mit „duša moja“ – „meine Seele“ an.
Interessant finde ich in diesem Zusammenhang auch, dass ich das Wort „bona“ seit ich es in unserer Wohnung zum ersten Mal bewusst vernommen habe, später mehrmals pro Tag hörte; im Bus, auf der Arbeit und auch Sefika sprach ihre Tochter Azra mit „bona“ an, wenn sie sie darum bat, die Djesva für den Kaffee aufs Feuer zu stellen.

Uns so geht es uns wohl auch mit vielen anderen Sachen in unserem Leben; einmal bewusst wahrgenommen, merken wir dann oft erst später wie präsent sie schon immer waren.

Besuch aus Bern


Wir haben uns an einem Geburtstagsfest an der Fährstrasse in Bern kennen gelernt. Damals, vor knapp einem Jahr, stellten wir fest, dass wir ähnliche Pläne für eine Reise zu Fuss haben.

Simeon und Arina sind diesen März von der Schweiz aus gestartet um zu Fuss, per Anhalter oder mit dem öffentlichen Verkehr ans Schwarze Meer zu reisen. Ihr Weg führte sie hierbei über Maribor. Auf einer hiesigen Stadttour durfte natürlich ein Besuch im "Sarajevo" nicht fehlen; denn wie bereits gesagt, die Čevapis hier sind gut aber man muss die slowenischen zuerst gekostet haben um dann später in Sarajevo den Unterschied festzustellen...

Montag, 15. März 2010

Strasse der Jugend


Wie bereits erwähnt gibt es in Maribor unzählige, aus Austro-Ungarischer Zeit stammende Häuser. Viele sind verfallen, oder dem Verfall nahe. Doch die meisten sind noch bewohnt und von innen wohlbehaltener als die Fassade den Eindruck macht.
Dieses Haus steht an der "Strasse der Jugend", gleich einem Opa, welcher spielenden Kindern zuschaut.

Samstag, 13. März 2010

Fair Trade

Bild: Markteingang in Zagreb

Fair Trade ist in Slowenien noch immer eine Neuheit. Es gibt zwar seit zwei Jahren einen Laden in Ljubljana welcher sogenannte Fair Trade Produkte verkauft, alles in allem handelt es sich aber um ein kleines Geschäft. Bereits etwas besser etabliert ist der Verkauf von biologischen Lebensmitteln.
Marko und Varja, gute Freunde Natašas, die als Bauern auf dem Berg Pohorje leben, kommen jeden Freitag Vormittag mit ihren Produkten auf den Biomarkt in Maribor, zusammen mit ungefähr 10 weiteren Produzenten. Marko erzählte mir vom Versuch, das Warenkorb System, welches kleinen Produzenten erlaubt ihre Produkte zu einem fairen Preis zu verkaufen, nun auch in Slowenien einzuführen. Der Konsument kann eine wöchentliche Bestellung bei einer Bauerngemeinschaft aufgeben und seine Produkte dann an einem Ort in der Stadt beziehen. Es gibt keinen Zwischenhandel über ein Geschäft, der Handel wird direkt zwischen dem Produzenten und dem Konsumenten abgeschlossen.

Heute morgen war ich auf dem offenen Markt im Zentrum Maribors, wenige Schritte von Natasas Wohnung entfernt. Es ist ein schöner Markt, welcher in grosszügiger Form vor einem Jahr neu gestaltet wurde. Die Marktstände erinnerten mich stark an den Samstagsmarkt auf dem Bundesplatz in Bern. Alles wird ordentlich präsentiert, alles ist sauber und es herscht nicht jene Art Hektik, wie sie zum Beispiel auf dem Markt in Sarajevo anzutreffen ist. Kein Verkäufer versucht dir seine Waren aufzudrängen, keine lauten Rufe schallen zwischen den Marktständen hindurch. Das Einkaufen auf einem solchen Markt ist fast schon eine beruhigende Angelegenheit.

Auf dem Markt in Maribor gibt es einen Milchautomaten, wie in dem Dorf in der Nähe von Bern aus welchem ich komme. Solche Automaten, bei welchen man sich wann immer man will frische, unbehandelte Kuhmilch besorgen kann, gibt es nun immer wie mehr in Slowenien. Heute erzählte mir ein Freund von der Eröffnungszeremonie des ersten Milchautomaten in Ljubljana. Damals gab es festliche Ansprachen und zahlreiche Besucher strömten herbei um das Milchwunder zu sehen.

In Bosnien gibt es keinen Fair Trade Laden und es gibt, soweit ich informiert bin, auch nur ganz wenige, als biologisch deklarierte Lebensmittel. Aber was es in Bosnien nach wie vor gibt, sind zahlreiche kleine und kleinst Produzenten, welche mit zwei Kilogramm Kartoffeln oder einer Kiste voller Äpfel am Strassenrand stehen und ihre Produkte dort verkaufen. Wahrscheinlich gibt es ein Gesetz, welches vorschreibt, wann und unter welchen Bedingungen man Sachen verkaufen darf; die Realität ist aber, dass ein jeder das verkauft, was er verkaufen kann. Für uns EU Bürger eine äusserst exotische Angelegenheit oder eben eine typisch orientalische Erscheinungsform.

Damit man sich für Fair Trade Produkte aus Dritt Welt Ländern interessieren kann, braucht es wahrscheinlich einen gewissen Wohlstand. Slowenien liegt zur Zeit anscheinend ziemlich genau auf der Schwelle jener Länder, die daran sind, den Schritt in Richtung dieses Wohlstandes zu machen. Bosnien ist noch weit von der Fair Trade Schwelle entfernt.
In Bosnien sind die Menschen, natürlich vor allem in weniger urbanen Gegenden, nach wie vor stark auf den Eigenanbau von Lebensmitteln angewiesen. Wohl kaum jemand stellt sich hier bei der Bestellung des Gartens die Frage, ob seine Produkte schliesslich bio oder nicht bio sind. Wahrscheinlich geht der Wunsch nach biologischen Lebensmitteln einher mit dem Aufkommen von grossen Supermärkten oder anders gesagt, mit dem Verschwinden von klein und kleinst Produzenten.

Die grossen Supermärkte die im EU Raum zur Zeit wie Pilze aus dem Boden schiessen versprechen uns ein vielseitiges Angebot, welches für jeden Kunden das passende bereit halte. Aber wenn ich nicht einmal über die Menge dessen selber bestimmen kann was ich einkaufen will, da alles längst abgepackt und verschweisst ist, denke ich, dass es mit der Wahlfreiheit nicht allzu weit her ist.

Freitag, 12. März 2010

Eurocrème

Gestern beim Mittagessen mit Mitarbeitern aus dem Laden kam es wieder zu einem Gespräch über Jugoslawien. Bereits von verschiedenen Seiten habe ich hier die Aussage gehört, dass Slowenien im nahen Ausland, vor allem in Österreich, noch immer als das ex-jugoslawische Land angeschaut wird, welches noch weit entfernt von Europa ist. Dass Slowenien seit Jahren Teil der Europäischen Union ist mindert diese Beurteilung nicht.
Und jetzt? Ist es etwas abwertendes ein ex-jugoslawisches Land zu sein? Muss man sich rechtfertigen?

Eine junge Frau, die auch im Laden arbeitet, warf die Frage auf, ob Slowenien Teil des Balkans sei. Natürlich, meinte eine andere Frau, und hoffentlich eine dritte. Sie jedenfalls wünsche sich eher dem Balkan zugeordnet zu werden als zuerst einmal als Teil der Europäischen Union verstanden zu werden, ergänzte die erste.

Die Europäische Union; seit nun bald 6 Jahren ist Slowenien ein Mitglied der grossen europäischen Familie und noch immer (oder immer wie mehr?) streiten sich hier die Geister darüber wo die Vor- und Nachteile der EU-Mitgliedschaft denn liegen. Der Beitritt hätte eine Art Nationalismus, welcher auch in Slowenien stärker vertreten gewesen sein, dämpfen können. Es gälte nun nicht mehr das Prinzip des Staates über allem. Für junge Menschen und vor allem für Studenten gäbe es nun ernsthafte Möglichkeiten im Ausland zu studieren oder sogar zu arbeiten.

Wir kamen auf Bosnien zu sprechen, nebst Albanien das einzige Land Südosteuropas, welches noch nicht von der Bewegungsfreiheit innerhalb der EU profitieren kann. Auch sonst ist das Land noch ziemlich wenig von der EU normisiert worden; eine Tasache die man wiederum sowohl als vorteil- oder nachteilhaft betrachten kann. Aus eigener Erfahrung konnte ich einen Vorteil selber benennen; in Sarajevo und wohl in jeder anderen bosnischen Stadt kann man heute einen Nagel oder Malerklebeband nach wie vor im Stadtzentrum kaufen, währenddem man in Maribor dafür mit dem Auto in den Baumarkt fahren muss.
Im Gespräch an diesem Mittag zeigte sich einmal mehr, dass eine Reise nach Bosnien für viele Menschen aus den ehemaligen jugoslawischen Republiken eine Art Reise in die Verganenheit darstellt.
In jeder Bäckerei in Sarajevo gibt es noch die Croissants mit der Eurocrème Füllung; eine Schokoladenmischung, die es seit Jahrzehnten gibt und welche jedes Kind in Jugoslawien kannte und liebte. Es ist zu befürchten, dass mit einem Beitritt zur EU auch die Eurocrème aus den Ablagen der Bäckereien verschwinden wird. Doch das Verschwinden der Eurocrème wird natürlich nicht der entscheidende Faktor sein, wenn über einen Beitritt zur EU debatiert wird. Denn höchstwahrscheinlich kann es für viele Menschen in Bosnien zur Zeit nur besser werden. Man wird es verkraften könen, in Zukunft den Nagel im Baumarkt besorgen zu müssen, vorausgesetzt man hat das Geld für den Kauf des Nagels.

Donnerstag, 11. März 2010

Auge in Auge

Letztes Wochenende war die Familie von Natasa auf Besuch in Maribor. Natasas Schwester Alenka und ihr Mann Istok haben zwei Kinder, Gaja und Alijaz. Gemeinsam besuchten wir alle am Nachmittag das Aquarium und Vivarium im Stadtpark von Maribor. Ich, der eine unglaubliche Angst vor Schlangen besitze, habe noch nie in meinem Leben so viele und so grosse Schlangen aus nächster Nähe gesehen. Da sonnten sich hinter einer Glasscheibe beispielsweise fünf Python Schlangen im täglich gleichen künstlichen Licht. Oder da waren die zwei Krokodile, die sich gemeinsam mit einigen Langhalsschildkröten ein kleines Terrarium teilen mussten. Ihre Augenlieder öffneten sich nur gerade im Zeitlupen Tempo.

Im Terrarium in Maribor wurde ich irgendwie zurück in meine Kindheit versetzt. Nebst dem Tiergeruch, der wohl in allen solchen Anstalten ein ähnlicher sein wird, erschien mir die Einrichtung an sich, wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten.
Hier sind Tiere noch ein reines Anschauungsobjekt. Sie werden wie Bilder in einem Museum den Besuchern vorgeführt. Ihre Rolle spielen sie dabei ausgezeichnet, habe ich doch keines dieser Viecher gesehen, wie es eine ruckartige Bewegung ausgeführt hat. Alles verläuft wie in Zeitlupe.
Vielleicht ist das Terrarium in Maribor mit unserem alten Bärengraben zu vergleichen. Dort waren die Mutzen auch den ewigen Blicken der Besucher ausgestellt. Ihr Lebenszweck war ein sich zur Schau stellen. Ich habe den neuen Bärenpark noch nicht gesehen, aber ich kann mir vorstellen, dass die Bären dort einiges an versteckten Plätzen finden werden. Das ist auch gut so.

Im Lehrerseminar haben wir in einer Schulstunde einmal über einen australischen Philosophen gesprochen, dessen Name ich nun leider vergessen habe. Er war ein radikaler Vegetarier und verzichtete demenstprechend auch auf das Tragen jeglichen Leders. Seine Aussage war unter anderem folgende: Als man gegen Ende des 18. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten die Sklaverei abszuschaffen begann, gab es dort noch zahlreiche Menschen, welche genau diese Sklaverei als eine natürliche und unabänderliche Sache angesehen haben. Heute wird es kaum mehr einen Menschen geben, der sich öffentlich für die damalige Form der Sklaverei aussprechen würde. Der Philosoph war weiter der Auffassung, dass sich unsere heutige Beziehung zu Tieren in den nächsten Jahrzehnten radikal ändern werde. Zeigte man demnach einen Menschen in Hundert Jahren Bilder aus dem Terrarium in Maribor, so werde man dann kaum glauben können, wie miserabel man vor langer Zeit Tiere in Käfige und Aquarien eingesperrt habe.
Inwiefern der Bärenpark in Bern, aus den Augen dieses australischen Philosophen betrachtet, ein besseres Verdikt hervorrufen würde, kann ich nicht sagen.

So sende ich dem Dälhölzli Tierpark die besten Wünsche und Grüsse aus den Terrarien und Aquarien zu Maribor.










Mittwoch, 10. März 2010

Wände

Seit ich täglich viele Stunden am Wände malen bin, komme ich nicht darum herum, kritische Blicke über diese und jene Mauern in der Stand wandern zu lassen. Da gäbe es so viel auszubessern...
Aber eigentlich mag ich ja genau diese unperfekten Orte in den Städten. Diese heruntergekommenen Fassaden unter welchen sich alte Schriftzüge verstecken, diese längst nicht mehr funktionierende Leuchtreklamen
oder diese ausgewaschenen Pastellfarben, welche früher einmal in glänzenden Farben der Stadt als Zierde dienten.
Schön wäre vielleicht eine Mischung aus dem Wunsch, alte Gebäude aufzumotzen und unperfekte Stellen sichtbar zu lassen. Nicht alles muss perfekt sein, aber ebenso wenig sollte nicht alles den Anschein machen, als warte es nur auf den Moment des totalen Zusammenbruchs.
So wie dan unterwegs immer wieder kaputte Brunnen reapiert hat, könnte ich mich nun daran machen hie und da eine alte Wand auszubessern.

Recycling

Nun wird die Gelegenheit beim Schopf gepackt und mit den Farbresten aus dem Fair Trade Laden wird die Wohnung von Natasa gleich mit gepinselt; das ist Recycling

Montag, 8. März 2010

Maribor

Hier in Slovenien und wahrscheinlich in allen ehemalig jugoslawischen Republiken ist der 8. März, der Tag der Frauen, ein wichtiger Feiertag. Man geht zwar zur Arbeit aber man nimmt sich auch Zeit zum Feiern und um auf das Wohl der Frauen anzustossen. Überall auf der Strasse sieht man Männer mit Rosen in den Händen, welche noch auf ihre Bestimmung warten und solche in den Händen von Frauen, welche ihr Ziel bereits gefunden haben.

Natasa konnte am 8. März endliche in ihre Wohnung in der Altstadt von Maribor einziehen. Sie wohnt nun oberhalb des „Goldenen Löwen“, knapp hundert Meter von der Drava entfernt und direkt am Markt gelegen. Nach vielen nomadischen Monaten tut es gut seine Sachen in einem zu Hause in Ruhe auszupacken.

Samstag, 6. März 2010

Schraufenzieger

Bild: Heute ist dan's Geburtstag, oder besser gesagt malo morgen
Ich nähere mich wieder dem deutschen Sprachraum an. Das wird mir hier in Maribor beinahe jeden Tag bewusst. Während der Arbeit im Laden wird täglich mehrmals nach dem Schraufenzieger verlangt und so reiche ich ihn dann selbstsicher rüber, diesen Schraubenzieher.
Die Werbung für das Stadtcasino in Maribor ist zweisprachig verfasst worden, schliesslich ist es von Maribor aus ja nur eine knappe Stunde Autofahrt bis nach Graz.
"Heute ist ihr Tag!" - "Malo morgen" oder wenn nicht morgen, dann halt vielleicht gar nie, ist ja nicht so wichtig.

Donnerstag, 4. März 2010

Alles eine Frage des Inventars

Bild: Pfarrkirche in Pécs
Pécs, diese kleine Studentenstadt im Südwesten Ungarns, ist dieses Jahr zusammen mit Istanbul Kulturhauptstadt Europas. Ich habe Pécs einige Tage vor der grossen Eröffnungszermonie am 31. Dezember einen zwei tägigen Besuch abgestattet. Denke ich heute an Pécs zurück, so kommt mir immer wieder die Pfarrkirche auf dem Széchenyi, dem Hauptplatz der Stadt in den Sinn. Sie hat eine wahrhaft sonderbare Geschichte und beim Lesen des Buches „Wesire und Konsuln“ von Ivo Andrić werde ich erneut an das Schicksal dieser Kirche erinnert, auch wenn sie im Buch nirgends erwähnt wird.

Wenn Sie wieder einmal durch die Čaršija gehen, verweilen Sie ein wenig an der Jeni-Moschee. Eine hohe Mauer umgibt das ganze Grundstück. Darin befinden sich unter gewaltigen Bäumen Gräber, von denen niemand mehr weiss, wer in ihnen ruht.

Die Geschichte dieses Ortes geht weit in der Zeit zurück, als das Christentum noch als eine Sekte verfolgt und vom Römischen Reich, welches sich damals über das Gebiet des heutigen Ungarn erstreckte, unterdrückt wurde. So wurde in nächster Nähe der heutigen Pfarrkirche die heute von der UNESCO geschützte Nekropolis Sophiae des nachts im Geheimen ausgehoben. Heutzutage kann man diese unterirdische Gräberwelt besichtigen. Im hermetisch abgeschlossenen Untergrund blieben die Wandmalereien im Laufe der letzten 1700 Jahre so gut erhalten, dass auch heute noch kleine Details sichtbar sind.

Von der Moschee weiss man im Volk, dass sie ehedem, bevor die Türken kamen, die Kirche der heiligen Katharina war. Und das Volk glaubt, es befinde sich noch heute in einer Ecke die Sakristei, die niemand, selbst wenn er es mit Gewalt versuchte, öffnen könne. Wenn Sie sich die Steine, der altertümlichen Mauer etwas genauer besehen, werden Sie erkennen, dass sie von römischen Ruinen und Grabdenkmälern stammen.

Als das Christentum schliesslich vom Römischen Reich als Staatsreligion anerkannt wurde, geriet die Nekropolis völlig in Vergessenheit, doch auf dem Széchenyi Platz, dem Handelszentrum der prosperierenden Stadt, wurde um die Mitte des 13. Jahrhunderts die Bartholomäus Kirche erbaut. Als die Kirche um die Mitte des 14. Jahrhunderts niederbrannte, zögerte man keine Sekunde damit, sie schöner und grösser wieder aufzubauen, denn längst war Pécs eine berühmte Universitätsstadt geworden. Im Frühjahr 1456 strömten riesige Menschenmengen nach Pécs um die leidenschaftlichen Predigten von Johannes Kapistran zu hören, der auf Grund der anbrechenden Türkengefahr der Beginn eines Kreuzzuges verkündigte. Doch alle Reden halfen nichts, denn am 22. Juli 1543 geriet Pecs in türkische Hand.

(...) Und tief darunter, in den unsichtbaren Fundamenten, liegen riesige Blöcke roten Granits, Überreste eines noch viel älteren Kults, eines ehemaligen Heiligtums des Gottes Mithras. (...) Und wer weiss was sich noch in der Tiefe verbirgt, unter den Fundamenten dort. Wer weiss, wessen Anstrengungen dort begraben und welche Spuren für immer verwischt sind. Und das alles liegt – in diesem weltabgelegenen Städtchen – auf einem winzigen Flecken Erde. (...)

Auf den Befehl des Sultans Suleiman hat man auf der Kirchtumspitze kurzerhand den Halbmond gesetzt und die ganze Kirche wurde zu einem mohamedanischen Tempel umgewandelt. Es war nur eine Frage der Zeit bis der Pascha Gasi Kasim, Statthalter von Pécs, die Bartholomäus Kirche abtragen liess und an deren Stelle den Bau einer prachtvollen Djamija anordnete. Die ganze Djamija war mit einem breiten Hof umgeben, der auf den Grundmauern der abgerissenen mittelalterlichen Kirche gebaut wurde.
Doch es kam wie es kommen musste und am 14. Oktober 1686 wurde Pécs nach eineinhalb Jahrhunderten Türkenherrschaft befreit. Die vom Angriff stark zerstörte Djamija wurde den Jesuiten geschenkt und deren Pater Ignaz Kék liess das türkische Heiligtum ausräumen und in der provisorisch eingerichteten Kirche einen Dankesgottestdienst abhalten. Der Halbmond auf dem Dach der mächtigen Kuppel wurde wohl als einer der ersten Sanierungsakte durch ein metallenes Kreuz ersetzt, welches noch heute dort steht, allen Stürmen zum trotz. Im Laufe der nächsten Jahrzehnten wurde die Kirche immer wieder unmgestaltet und ausgebaut, die typische Form der Djamija sowie zahlreiche Relikte und Verzierungen aus der Zeit als die Kirche noch eine Moschee war, wurden jedoch beibehalten. So findet man beim Besuch der Kirche noch heute einige verwaschene türkische Aufschriften an den Kirchenwänden. Auch die reich verzierte Mihrab Nische, welche den Muslimen die Richtung nach Mekka anzeigt, ist bis heute unbeschädigt erhalten geblieben. Nur dass in dieser Nische nun nicht mehr auf den Boden gekniet werden kann, denn dort steht heute ein Taufbecken.

Sie verstehen. Alles ist ineinandergefügt, miteinander verflochten und scheint nur auf den ersten Blick verloren und vergessen, planlos und verstreut. Alles strebt, auch ohne es zu ahnen, einem Ziel zu wie konvergente Strahlen auf einen fernen, unbekannten Brennpunkt.

Die Pfarrkirche von Pécs scheint mir ein schönes Beispiel der Wandelhaftigkeit von Gebäuden und irgendwie halte ich sie auch für ein Symbol dafür, dass Religionen so verschieden vielleicht gar nicht sind; ist es doch nur eine Frage des Inventars.

Wir dürfen nicht vergessen, dass es im Koran ausdrücklich heisst: „Vielleicht wird Gott eines Tages euch und eure Gegner aussöhnen und Freundschaft zwischen euch herstellen. Er ist mächtig, milde und barmherzig.“ Also besteht Hoffnung, und wo Hoffnung besteht... Sie verstehen?

Aus „Wesire und Konsuln“, Ivo Andrić


Bild: Pfarrkirche in Pécs

Geschichtsstunde beim Malen

Zur Zeit wohnen Nataša und ich im Haus von Edita, am Stadtrand von Maribor. Das Haus liegt an einer viel befahrenen Kreuzung. Von hier aus führt die Hauptstrasse ins Zentrum und einige Meter vom Haus entfernt gelangt man auf die Autobahn in Richtung Zagreb oder Budapest. Rund ums Haus herum erstreckt sich ein grosser Garten bis an den Strassenrand. Die einäugige Katze G’nmar erklettert abends, wenn ich manchmal mit ihr im Garten stehe, behende die Apfelbäume, als zwitscherten dort oben noch immer die Vögel.

Die Umbauarbeiten schreiten gut voran. Gestern konnten wir mit Malen beginnen, was bedeutet, dass die Musik endlich nicht mehr vom Geräusch der Schleifmaschine übertönt wird.
Mit Rene, er ist verantwortlich für die Umbauarbeiten, sprach ich gestern während des Malens lange über Jugoslawien. Interessant fand ich die Aussage bezüglich der Privatisierung, welche in Slovenien ab 1991 eingesetzt hat. Damals, also gleich nach Erhalt der Unabhängigkeit, haben die führenden Politiker unter Ministerpräsident Drnovšek, damit angefangen alle ehemaligen Staatsbetriebe und Staatsbesitze zu privatisieren. Aber sowie ich verstanden habe ist die Aussage falsch, dass es sich bei den zahlreichen Firmen, die diesen Privatisierungswellen zum opfer fielen, um Staatsbetriebe gehandelt hatte. Denn die Arbeiter galten in Jugoslawien als deren Mitbesitzer und waren die entscheidende Kraft in der Gestaltung derselben Betriebe. Es wurde also nicht nur staatliches Eigentum privatisiert sondern auch in grossem Ausmass der Besitz der damaligen Arbeiter.
Nach 1991 wurden vormalige Besitzverhältnisse wieder hergestellt, was zum Beispiel zur Folge hatte, dass ein grosser Teil des slovenischen Waldes an die Kirche zurückgegeben wurde. Diese sei aber mit dessen Pflege heutzutage schlicht überforder und es würde wohl schwierig werden, die diesjährige Borkenkäfer Pflage in den Griff zu bekommen.
In Maribors Umgebung gibt es zahlreiche prunkvolle Häuser und kleine Schlösser, die dem Verfall nahe, romantisch verlotternd in der Gegend stehen. Auch hier hat man versucht, diese Gebäude den ehemaligen Besitzern, welche vor 1945 auf diese Häuser registriert waren, zurückzugeben. Nun sind diese nun aber häufig verstreut auf mehreren Erdteilen wohnhaft, was die Rückgabe nicht gerade erleichtert. Und wer kann sich heutzutage noch den Unterhalt eines Schlosses leisten?

So erfahre ich während des Malens das ein oder andere über dieses Jugoslawien und merke, dass es diese erwähnte Nostalgie wohl tatsächlich gibt. Denn schliesslich gibt es Gründe genug, sich im guten Sinne an diese Zeit zurück zu erinnern.



Bild: Garten beim Haus von Edita

Dienstag, 2. März 2010

Maribors Strassenschilder


Bild: Laden in der Baščaršija in Sarajevo

In Maribor habe man die jugoslawischen Strassennamen beim Erhalt der Unabhängigkeit nicht verändert. Genau dies geschah anscheinend in zahlreichen anderen Städten des Landes. So gibt es denn hier in Maribor nach wie vor die die Titova Cesta und die Ulica Partisanska , an deren Ende gute Freunde von Nataša wohnen. Beim Spazieren durch Maribor schaue ich mir in letzter Zeit oft die rot-weissen Strassenschilder an, im Wissen darum, dass diese Namen viel über die Geschichte des Landes erzählen (dies vor allem in jenen Länder, deren führende Staatsmenschen sich zum Ziel gesetzt haben, ein besonders grosses Kapitel in der Geschichte des Landes schreiben zu wollen). Mir ist aufgefallen, dass es zwei verschiedene Strassenschilder gibt; solche mit einem kleinen Stern am oberen Rand und eben solche ohne diesen Stern. Als ich das heute einem Mann aus Maribor sagte, war er sichtlich erstaunt, dass es in Maribor die jugoslawischen Schilder noch gibt. Es sind nicht viele, aber einige davon gibt es noch.

Ich bin beim Schreiben dieses Textes wieder im „Sarajevo“. Man führte es heute auf meine Jugo-Nostalgie zurück, dass ich immer wieder auf Sarajevo und Bosnien zu sprechen komme. Ich glaube aber nicht, dass ich dieser Art von Nostalgie verfallen bin, wie könnte ich auch, kenne ich doch dieses Jugoslawien genau so wenig wie dieses Ostfriesland. Nein, es ist wahrlich etwas anderes was mich heute wieder ins „Sarajevo“ führte, aber darum geht es gar nicht.

Das Stichwort Jugo-Nostalgie ist bereits gestern abend gefallen, da aber in einem ganz anderen Zusammenhang. Nataša und ihre Freundin Polona organisieren einen Austausch zwischen zwei Jugend Theatergruppen, wobei die eine Gruppe aus Slowenien kommt und die andere aus Mazedonien. Gestern trafen nun die zwei mazedonischen Lagerleiter in Maribor ein um mit Natasa un Polona sowie Mitgliedern der slowenischen Theatergruppe den Ablauf des einwöchigen Austausches zu besprechen.
Man traf sich im Cafe Astoria, in einem der ältesten Kaffeehäuser im Zentrum Maribors. Ich konnte den Gesprächen problemlos folgen, denn sie wurden auf englisch geführt und dies nicht nur mir zuliebe. Denn schliesslich müssen Slowenen und Mazedonier zur Kommunikation eine gemeinsame dritte Sprache finden, wobei sich herausstellte, dass die beste Lösung hierbei nicht unbedingt serbo-kroatisch, kroato-serbisch, montenegrinisch oder bosnisch ist. Für die heutige slowenische und mazedonische Jugend wird diese Sprache immer mehr zu einer Fremdsprache, welche zwar dank dem Fernseher und dem Sommeraufenthalt an der kroatischen Küste nach wie vor praktiziert wird, welche ihnen aber nicht mehr dermassen geläufig ist, wie es noch für eine Generation vorher der Fall war. Mazedonisch und slovenisch mögen zwar dem serbo-kroatischen verwandt sein, die Abweichungen dazu sind aber dermassen gross, dass man schon beinahe von eigenständigen Sprachen sprechen könnte (sofern das Schweizerdeutsch auch beinahe als eine solche bezeichnet werden kann). So äusserten sich denn die slowenischen Jugendlichen auf englisch zu ihren Wünschen bezüglich des Austausches und zur Wahl des Themas des Theaterabends. Man wolle Jugoslawien zum Thema machen, erklärte der 16 jährige Matey, genauer gesagt das Zusammenleben in Jugoslawien. Denn schliesslich lebten damals Mazedonier und Slowenen unter dem Dach des gleichen Staates. Und bald würden sie vielleicht wieder ein gemeinsames Gebäude bewohnen; das der Europäischen Union. Unter diesen Gesichtspunkten erschien den Jugendlichen der Versuch interessant, herauszufinden wie das Zusammenleben in Jugoslawien funktioniert hatte.
Matey wurde im Jahr Vier der Unabhängigkeit Sloweniens geboren. Alles was er von Jugoslawien weiss, erfuhr er von älteren Mitmenschen, für ihn ist es Geschichte, anscheinend wichtige Geschichte. Der mazedonische Jugendarbeiter erwähnte hier das Stichwort „Jugo-Nostalgie“.

Wann kann man denn eigentlich von Nostalgie sprechen? Richtet sie sich nicht immer auf eine Vergangenheit, die aus dem heutigen Blickwinkel betrachtet, in ein besseres Licht gerückt wird als sie vielleicht in Wirklchkeit war? Verfälscht die Nostalgie deshalb zwangsläufig die Tatsachen und die reale Geschichte? Wenn ja, dann müsste man sich aber die Frage stellen, was denn reale Geschichte ist und vielleicht könnte man hier mit dem Leben der Eltern, des heute 16 jährigen Matey beginnen.

Montag, 1. März 2010

Umbau


Seit einer Woche helfe ich, das ehmalige Geschäft eines Juweliers in einen Fair Trade Laden umzubauen. Da wird täglich viel geschliffen, gehämmert und bald gehts ans Malen. Als Entgeld gibts Kaffee und serbische Würste. Zur Eröffnung des Ladens am 21. März werde ich aber wohl nicht mehr anwesend sein.