Freitag, 26. November 2010

Oh, Heimat


Im Herbst dieses Jahres arbeitete ich während einem Monat auf einem Gemüsebetrieb im schweizerischen Seeland. Der Mann meiner Cousine hat vor einigen Jahren diesen Hof von seinem Vater übernommen. Seither bestimmt er die Geschicke des Betriebes. Er entscheidet was wann und wo angebaut wird und in welchen Rahmenbedingungen dies geschehen soll.
Die Saison ging ihrem Ende entgegen. Gerade einmal zwei Gemüsesorten lagen noch in der Erde, als ich mich als Gemüsebauer-Gehilfe versuchte. Die ersten zwei Wochen beschäftigten wir uns vor allem damit die Petruschkas aus dem Boden zu ziehen. Während dieser Arbeit lernte ich auch meinen Mitarbeiter aus der Slowakei kennen. Tagelang knieten wir nebeneinander auf dem Boden, zogen die Rüben aus der Erde und sprachen über manch interessante Sachen. Mein Mitarbeiter aus der Slowakei verbrachte nun seine vierte Saison als Gastarbeiter in der Schweiz. Durch seine Hände ging gar manches Gemüse, welches wir später feinsäuberlich verschweisst mit der Aufschrift „Aus der Region, für die Region“ versehen im Migros kaufen können.
Der Einsatz und die Ausdauer des Gemüsebauers betrachte ich heute mit einem ungeheuren Respekt. Nicht selten steht dieser junge Mann zehn bis zwölf Stunden auf den Beinen um das Gemüse rechtzeitig und einwandfrei den Käufern abzuliefern. Er ist mit Leib und Seele bei der Arbeit, in einem anderen Zustand wäre diese Arbeit untragbar. Ein grosser Respekt bringe ich aber auch den zahlreichen ausländischen Arbeitskräften entgegen, die jeweils vom frühen Frühjahr bis zum späten Herbst sich auf den seeländischen Feldern abrackern um „aus der Region, für die Region“ zu säen und zu ernten. Mein slowakischer Mitarbeiter hat in seiner Heimat die Ausbildung zum Lehrer absolviert, hat als Vertreter einer Handelsfirma hundert tausende Kilometer im Auto zurück gelegt, zwei Familien mit-gegründet und sich im Alter von 58 Jahren nochmals „neuorientiert“. Im Nachhinein gleicht sein momentanes Leben in meinen Augen den philippinischen Matrosen, die ich auf dem Frachtschiff, welches mich damals von Barcelona nach Buenos Aires brachte, kennen gelernt habe. Das Dasein wird aufgeteilt in Arbeit und Leben. In möglichst kurzer Zeit versucht man möglichst viel Arbeit zu leisten um möglichst viel Gewinn zu erzielen um dann in der Heimat möglichst lange, möglichst sorgenfrei zu leben. Dies wiederum ermöglicht uns Konsumenten und Konsumentinnen in der Schweiz, die Waren zu einem möglichst günstigen Preis zu kaufen. Eine win-win Situation könnte man es nennen, oder auch Ausbeutung.
Ich hatte das Glück, dass ich während den Stunden des Petruschka erntens den Menschen hinter dem Gastarbeiter kennen lernen konnte. Von ihm habe ich so einiges gelernt. Nicht zuletzt ist mir nach einigen Wochen die Tragweite des Ausspruchs „Arbeit ist Arbeit“ bewusst geworden. Denn für meinen slowakischen Mitarbeiter spielt es irgendwie keine Rolle mehr, welcher Arbeit er nun nachgehen wird. Solange er davon ausgeht, dass eine Arbeit gemacht werden muss, weil das Resultat derselben Sinn macht, solange gibt es keine gute und schlechte Arbeit. „Arbeit ist Arbeit“; man sagts und beugt sich wieder mit schmerzendem Rücken über die Petruschkas und zieht eine nach der anderen aus der Erde.

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