Montag, 31. Januar 2011

Rückblick

Während den letzten eineinhalb Jahren ist auf der gehcrew-Seite der ein und andere Text erschienen. Wie viel von all dem gelesen wurde kann ich nicht sagen und letztendlich spielt es ja auch nicht wirklich eine Rolle.
In den nächsten Tagen werden Natasa und ich ein Kind bekommen. Seltsam sieht dieser Satz aus, wenn er so geschrieben auf dem Bildschirm erscheint.
Wir freuen uns sehr darauf!
Viel Neues wird auf uns zukommen; Zeit Altes nochmals hervorzubringen. In etwas redigierter Form will ich in den nächsten Wochen den ein oder anderen Text aus den letzten eineinhalb Jahren nochmals abdrucken.
Und wenn das Kind einverstanden ist, dann gibts vielleicht bald einmal ein neues Mitglied der gehcrew!
Danke für die Treue!

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Bosnische Geschichte Teil 1



Mittelalter bis Osmanisches Reich

Ich denke, Geschichte lässt sich nur bruchstückhaft verstehen. Jedenfalls ging das mir in Sarajevo so und ich hatte es meiner langen Verweildauer zu verdanken, dass sich die Mosaiksteine der Geschichte immer mehr zu einer Art Bild zusammenfügten. So erinnerte ich mich im Verlauf der Zeit immer wieder an Aussagen über die Stadt und das Land, die mir meistens erst im zweiten Anlauf des Überdenkens verständlich waren.
Das Faszinierende für mich an Sarajevo und Bosnien-Hercegowina im Allgemeinen wird je längers je mehr die Überlagerung von historischen Eriegnissen und Hintergründen, die ihren Einfluss bis in die Gegenwart ausüben.

Wahrscheinlich ist Bosnien-Hercegowina in der Tat ein Sonderfall im Balkan oder sogar in ganz Europa.
Bereits vor der Osmanisierung war das Land als schwer berechenbar bekannt. Das Leben in Bosnien des ausgehenden Mittelalters bot ein buntes Bild, mitgeprägt von sächsischen Bergleuten, ragusanischen Handelsherren und italienischen Franziskanern. Die katholische Kirche wehrte sich mit aller Kraft gegen den Einfluss und das Aufkommen der Bogomilen, eine Sekte, die vorchristliche Elemente in die christliche Glaubensauffassung einbezog. Es war ein mythischer und naturnaher Glaube, der sich in Bosnien entwickelte. Die Bogomilen bauten keine Kirche oder sonstigen Denkmäler. Als heilige Orte wählten sie Kraftplätze in der Natur, wie zum Beispiel Blagaj in der Nähe von Mostar. Es mag auch an den Bogomilen gelegen haben, dass der Islam seit der Mitte des 14. Jahrhunderts in Bosnien immer mehr Fuss fassen konnte. Die Bewohner Bosniens waren in ihrer Glaubensauffassung dem Islam wohl näher als dem Katholizismus.

Die Osmanen verbreiteten damals ihren Glauben nicht mit Schwert und Feuer wie dies die katholische Kirche während den Kreuzzügen zu tun pflegte. Das Osmanische Reich hatte seine eigenen Methoden um die besten Männer für ihren Glauben zu gewinnen.
Mit der "devširme", der sogenannten "Knabenlese" begannen sie die bosnische Bevölkerung für sich zu gewinnen. Die unterworfenen Balkanstaaten mussten regelmässig ein Kontingent an jungen Burschen nach Stanbul (Istanbul) entsenden. Nach dem erzwungenen Übertritt zum Islam konnten sie, entsprechend ihrer Eignungen, eine Laufbahn im militärischen oder zivilen Bereich antreten. Viele christliche Adelsfamilien entsandten ihre Jünglinge nicht ungern nach Stanbul, war doch dieser einseitige Youth-Exchange oftmals mit Ruhm und Vermögen für die eigene Familie verbunden. Denn die Knaben kehrten nach verbrachtem Studium manchmal als Stadthalter in ihr Heimatland zurück oder zeigten sich aus der Ferne erkenntlich. In "ihrem Namen und Auftrag" wurden Brücken, Moscheen, Koranschulen und andere Bauwerke errichtet.

Berühmt und für mich dank der Lektüre des Buches " Die Brücke über die Drina" von Ivo Andrič besonders eindrücklich, ist das Beispiel von Višegrad. Der Groswesir Sokollu Mehmed Pascha, hat um 1570 herum von Stanbul aus den Auftrag zum Bau der Brücke erteilt. Als 10 Jähriger, aus einem Dorf in der Nähe von Višegrad stammend, kam er in die Knabenlese und ihm war im fernen Stanbul eine grossartige Karriere zugeschrieben worden. Das wunderschöne Bauwerk erleichterte den Karawanenzügen zwischen Stanbul - Sarajevo und Ragusa (Dubrovnik) die Reise, denn nebst der Brücke entstanden auch sogenannte Sarajs, Vorläufer der heutigen Motels.

Im Hotel in Srebrenica musste ich mit Staunen feststellen, dass selbst dieses, doch als unzerstörbar geltendes Bauwerk, nicht vor heutigen Vandalen sicher ist. In einer Zeitung habe ich dort gelesen, dass sich doch tatsächlich einige Kerle dazu erdreist hatten, einen 50 Kilogramm schweren Stein aus dem "Sofa" in der Mitte der Brücke zu stehlen. Ich habe das Glück gehabt, die Brücke einen Tag vor dem Diebstahl noch in ihrer vollen Schönheit und im ganzen osmanischen Glanz zu sehen.

Bosnische Geschichte Teil 2




Osmanische Herrschaft bis Erster Weltkrieg

„Dort, neben der alten Steinbrücke „des Seher-Cejaha“, irgend eines Bürgermeisters steht der dreieckige, maurische Prachtbau des Rathauses. Vor ihm bewegt sich zwischen Steinmauern die Miljacka wie schmelzendes, geläutertes Metall. Und alles ringsum wie aus dem Traume gerufen, wie von der Erinnerung an eine versunkene Zeit gesehen. Gleissende Kuppeln und die weissen Palmenschäfte der Minarets, hochragend über die im Gartengrün sich duckenden, flachdachigen Häuser mit rebenumsponnenen Erkern und dichtvergitterten Fenstern. Alles gedämpft, leisumschattet. Eine andere Seele spricht hier zu uns. Mag das moderne Sarajevo immerhin weiter drängen und wachsen, immer weiter hinaus ins niedere Land; dieses hier greift, das Lärmen des nichtigen Weltgetriebes fliehend, hoch hinauf an die Kämme des Felsenrundes, an dessen Riffen und Zacken das alte Festungsgemäuer hängt, gleich einem Hochzeitskranz über einem schönen Antlitz, das den Flammenschein kommender Zeiten wie eine Vision erblickt.“

Aus „Die Bosnische Staatsbahn“, 1908

Dermassen wird das um die Jahrhundertwende bereits seit 30 Jahren okkupierte Sarajevo beschrieben. In einem Buch mit alten Texten von k. u. k. Abgesandten und Bosnien-Reisenden finden sich zahlreiche solche Beschreibungen und zusammen mit den alten Fotografien versuche ich mir das damalige Bild der damaligen Stadt vor Augen zu führen. Die erwähnte „andere Seele“ dieser Stadt spricht noch heute zu uns. Auch wenn die Carsija, der türkische Markt, heute nicht mehr demjenigen gleicht, welcher die Österreichisch-Ungarischen Soldaten bei der Besetzung der Stadt 1878 vorgefunden haben, streichen in diesem Teil der Stadt noch immer die alten Geschichten über die ausgetretenen Pflastersteine.

Bis zur Okkupation galt Bosnien in Europa als ein Land, das irgendwo „hinten in der Türkei“ liegt. Der Einmarsch der fremden Armee und die in den folgenden Jahren eintretenden Reformen rückten das unbekannte Land ans bekannte Europa heran. Österreich-Ungarn veränderte das Land in einem rasend schnellen Tempo, dem die ursprünglichen Bewohner nicht gewachsen waren und die sie auch oft bewusst von sich wiesen. Beschaut man das Land in seinem heutige Zustand, so erscheint die Epoche zwischen 1878 und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges wie ein märchenhaftes Intermezzo. Die Prachtbauten, die Villen und die damals erstellten Verkehrswege sind dabei in den Wellen der Zeit zu versinken, vielleicht langsamer als sie entstanden sind, aber trotzdem unaufhaltbar.

Der „kranke Mann am Bosporus“, wie das langsam zerfallende Osmanische Reich auch genannt wurde, musste sich 1875 seines äussersten Teils entledigen. Überall in diesem riesigen Reich traten Spannungen auf und im erwähnten Jahr entluden sie sich in Unruhen, denen schliesslich der Aufstand der christlichen Bevölkerung gegen das von ihnen als drückend empfundene „osmanische Joch“ folgte. Im Juni 1878 wurde in Berlin die „Orientalische Frage“ auf einem Kongress der europäischen Mächte wie Folgt gelöst: Österreich-Ungarn erhielt das Mandat für die Okkupation Bosnien-Hercegowinas. Bis zur Vollständigen Anexion 1908 behielt aber der Sultan in Stambul formell die Oberhoheit über das Land. Eine komplizierte Situation, die nicht unblutig in die Wege geleitet werden konnte.

Mochten sich die Generäle der k.u.k Monarchie die Besetzung des Landes auch noch so leicht vorgestellt haben, die Realität sah freilich anders aus. In Sarajevo wurden sie nicht mit Blumen empfangen. Das noch rund 23.000 Mann starke türkische Heer leistete der ungenügend ausgerüsteten Armee zwar keinen erbitterten Widerstand, doch kam es zur Gegenwehr, wenn sie in ein Gefecht verwickelt wurden.

Der wahre Feind für die k.u.k. Truppen waren die aus der einheimischen Bevölkerung rekrutierten Kämpfer. In einer Art Guerillia-Krieg lieferten sie der fremden Armee erbitterten Widerstand. Vorallem in Sarajevo kam es zu heftigen Kämpfen. Bekannt sind die Geschichten von Frauen und Kindern, die, aufgehetzt von religiösen Führern, die Minarette erkletterten und von oben Steine auf die Eindringlinge warfen. Der Feldzug dauerte ganze vier Monate und erst im Oktober 1878 wehte die k.u.k Fahne auf der Burg, hoch über dem türkischen Markt Sarajevos.

Von allen Bewohnern Sarajevos, hat sich für die Muslime damals die Situation am weitgreifendsten verändert. Sie verloren ihre führende Stellung in der Gesellschaft. Die folgenden Jahre erforderten von den Österreichisch-Ungarischen Behörden ein grosses Fingerspitzengefühl um die religiösen und gesellschaftlichen Gefühle nicht zu stark zu verletzen.

Bosnien-Hercegowina befand sich nach der Okkupation in der Situation eines Entwicklungslandes. In den letzten Jahrzehnten der osmanischen Herrschaft wurden zahlreiche Reformen vernachlässigt und so machten sich die österreichisch-ungarischen Beamten emsig an die Arbeit diese Missstände auszubessern. Unter der einheimischen Bevölkerung waren diese Beamten rasch dafür bekannt, dass sie ihre Arbeiten bis ins kleinste Detail genau planten und pflichtgemäss durchführten. So machten sie sich denn auch daran, eine Hauszählung durchzuführen und gaben den Befehl heraus, dass alle Häuser mit einer Hausnummer beschriftet werden mussten. Den einheimischen Bewohner Sarajevos kam das aber äusserst suspekt vor, hatten sie doch keine Ahnung wozu eine solche Nummerierung dienen sollte. So wurden dann die Hausnummern auch kurzerhand wieder von den Hausbewohnern entfernt. Auch die Einrichtung einer obligatorischen Schulpflicht war im neu besetzten Land mit grösseren Schwierigkeiten verbunden. Vor dem Einmarsch der k.u.k. Armee beschränkte sich die Schulbildung oftmals auf das auswändig Lernen von Koran-Zitaten. Nun sollten die muslimischen Eltern ihre Kinder auf einmal in eine fränkische Schule schicken, wo sie von raubeinigen Offizieren unterrichtet wurden.

Doch der Österreichisch-Ungarischen Verwaltung gelang in Bosnien-Hercegowina ein kleines Wunder. In knapp 40 Jahren modernisierten sie das Land dermassen, dass es zu einem grossen Anziehungspunkt für Reisende wurde. Ob auf dem Dampfschiff die Neretva hoch oder in läppischen 10 Stunden in einer bequemen Pferdekutsche; von der Adria herkommend liess sich via Metkovic das schöne Städtchen Mostar gut erreichen. Kaiser Franz-Joseph liess sich diese Gelegenheit nicht entgehen und besuchte 1910, die vor zwei Jahren annektierten „Neuen Reichstheile“. Mit erhabenen Schritten überschritt er damals die mit kostbaren Teppichen ausgelegte „Stari Most“. Knapp 100 Jahre später besuchte der englische Thronfolger Prinz Charles die nach der vollständigen Zerstörung wiederaufgebaute Brücke in Mostar.

Doch der „Flammenschein kommender Zeiten“ traf 1914 in Sarajevo ein. Mit dem Attentat auf den Thronfolger Franz Ferdinand ging die Österreichisch-Ungarische Besetzung des Landes ihrem Ende entgegen.

Bosnische Geschichte Teil 3




Jugoslawien bis Kriegsende 1995


„Die Geschichte lehrt uns, dass Bosnien niemals von grösseren Mächten kontrolliert oder davor bewahrt werden musste, sich selbst zu zerstören. Vielmehr trifft das Gegenteil zu: Was Bosnien stets in Gefahr brachte, waren nicht interne Spannungen, sondern der Ehrgeiz stärkerer Mächte und benachbarter Staaten.“

Noel Malcolm, Bosnia- A short history

Mit den tödlichen Schüssen auf den Thronfolger Franz Fredinand am 28. Juni 1914 begann auch der Niedergang der Österreich-Ungarischen Macht in Bosnien-Hercegowina. Gavrilo Princip, der Attentäter, ein Student aus Serbien, wurde ein paar Monate später vor Gericht gestellt und begnadigt; er erhielt lebenslängliche Gefängnisstrafe. Ein volles Auskosten derselben blieb dem Jüngling aber erspart; noch während des Krieges starb er dort in Folge schwerer Krankheit.

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an die Aussage eines Sarajeli, welcher mir erzählte, dass er früher als junger Mann zu Zeiten Titos in Sarajevo Stadtführungen angeboten habe. In jenen Jahren galt Gavrilo Princip noch als Nationalheld dem man gebührende Ehren entgegen zu bringen hatte. Dementsprechend tadelte er dann auch vor einer Gruppe ausländischer Besucher die damals saumässig schlechten Bedingungen in den Österreichisch-Ungarischen Gefängnissen an, weswegen der Held sterben musste. Diese Aussage stiess bei den ausländischen Besuchern auf Unverständnis und der Sadtführer unterliess solches Gerede zukünftig.

Nach dem Attentat gab es schwere Vergeltungsmassnahmen gegen die serbische Bevölkerung Bosnien-Hercegowinas und deren Land wurde häufig beschlagnahmt oder die Güter zerstört. Österreich-Ungarn beschuldigte Serbien der passiven Unterstützung am Attentat. Ende Juli wurde Serbien den Krieg erklärt. Mit der Kriegserklärung begann ein kompliziertes Bündnissystem sein Wirken und im Verlaufe der nächsten vier Jahre wurden zahlreiche Länder in den Strudel des Ersten Weltkrieges gerissen.

Die männlichen bosnischen Staatsbürger kämpften vorerst an der Seite der Österreichisch-Ungarischen Armee und galten bald als einige der besten Soldaten weit und breit. Die Gastgeber-Armee tat ihr mögliches um auch während der Kriegszeiten den religiösen Bedürfnissen der Muslime gerecht zu werden. Wenn immer möglich war es ihnen erlaubt, ihre fünf täglichen Gebete auszuführen und anstelle der üblichen Militärkappen erkannte man die muslimische Streitmacht bereits von weitem am Tragen des Fez; der türkischen Kopfbedeckung.

Der Krieg endete für Österreich-Ungarn mit einer bitteren Niederlage was dazu führte, dass bereits im Oktober 1918 ein neues Nationalkomitee für Bosnien-Hercegowina aufgestellt wurde. Im selben Jahr verliessen die letzten Beamten der alten Besatzungsmacht das Land und Ende des Jahres wurde ein neues Königreich ausgerufen, welches bis zum nächsten grossen Krieg über Bosnien-Hercegowina regieren sollte; das Königreich der Serben, Kroaten und Slovenen.

Für die muslimische Bevölkerung des Landes begann eine schwierige Zeit. Sie wurden immer ärmer, ihre Ländereien wurden beschlagnahmt und ihre Rechte zurück gebunden. Die vorher blühende Hauptstadt als kulturelles und administratives Zentrum wurde zunnehmends margialisiert. Ein grosser Teil der muslimischen Bevölkerung wanderte in die Türkei oder in den Sanjak aus, ein von Muslimen bewohnter Landstrich in Serbien.

Im Jahre 1921 zählte Sarajevo 66'317 Einwohner.

Das Königreich der Serben, Kroaten und Slovenen überstand den Zweiten Weltkrieg nicht.
Am 6. April 1941 bombardierten deutsche Kampfflugzeuge die Stadt Sarajevo und nur zwei Tage später flohen der König und das Jugoslawische Parlament von Belgrad nach Sarajevo, von wo aus sie wenig später nach England emmigrierten.
Die Kapitulation des Jugoslawischen Königreiches hatte eine Besetzung des Landes durch die faschistische NDH Regierung des „unabhängigen“ Kroatiens zur Folge. In der Folge kam es zu Massenvernichtungen und Deportationen der bosnischen Juden und auch der Serben. Die Ustasa, so wurde die mit den deutschen kooperierende kroatische Armee genannt, baute zahlreiche Konzentrationslager, in welchen in den folgenden Jahren zehntausende Menschen den Tod fanden. Tausende Juden wurden in Sarajevo verhaftet und in die Konzentrationslager in ganz Europa verfrachtet.

Im Nationalmuseum in Banja Luka, Hauptstadt der Republika Srpska in Bosnien-Hercegowina, besuchte ich eine Ausstellung über die Zeit während dem Zweiten Weltkrieg. Schwerpunkt der Ausstellung war die Massenvernichtung der serbischen Bevölkerung durch die kroatische Ustasa. Beim Besuch dieser Ausstellung wurde mir bewusst, welche tiefen Wunden diese Zeit ins „Gedächtnis“ der serbischen Bevölkerung Jugoslawiens gerissen hatte. Genau diese Wunden brachen 1991 wieder auf, als der Krieg zwischen Serbien und Kroatien losbrach. Viele serbische Soldaten sahen darin wohl auch eine Vergeltung der erlittenen Übel zwischen 1941 und 1945.
Interessant fand ich, dass im Nationalmuseum in Banja Luka aber kein einziges Wort über den Krieg verloren wurde welcher zwischen 1992 und 1996 im Land herrschte.
Ist es noch zu wenig lang her? Ist es noch nicht Geschichte?

Am 6. April, genau vier Jahre nach der Bombardierung Sarajevos befreite die Partisanenarmee unter der Führung des Generals Tito die Stadt Sarajevo. Zu Ehren dieses Tages wurde das Ewige Feuer im Zentrum Sarajevos errichtet, eine Flamme die danach ständig brannte bis zur abermaligen Besetzung der Stadt durch serbische Truppen; dem Ewigen Feuer ging das Gas aus.

Im Jahre 1955 zählte Sarajevo bereits 167'000 Einwohner und bereits sechs Jahre später waren es über 213'000. Die Stadt erhielt ihre frühere Bedeutung zurück, nun im Staatenbund der Jugoslwischen Republiken.
In den 60er und 70er Jahren entstanden in Sarajevo zahlreiche Wohngegegnden, es wurden Hotels und Spitäler gebaut und die Infrastruktur der Stadt wurde modernisiert.

Die 14. Olympischen Winterspiele wurden 1984 in Sarajevo ausgetragen, eine Stadt welche damals bereits mehr als 400'000 Einwohner zählte. Mit diesem grossen Ereignis rückte Sarajevo in den Fokus der Weltgemeinschaft und wurde bekannt als Stadt des Friedens, der Liebe und der Prosperität. Die Bürger und Bürgerinnen dieser Stadt durften sich zu den glücklichen Bewohner einer blühenden Metropole Europas zählen. Der Zukunft schaute man voller Optimisimus entgegen.

Ich habe mit einem Mann, welcher heute fürs Rote Kreuz arbeitet, über jene zeit gesprochen. Er besass damals ein grosse Gasfirma kurz Hassan-Gas genannt. Er beschäftigte über 100 Arbeiter und seine Firma machte dermassen hohe Gewinne, dass er mit seiner Familie regelmässig in der Welt herum gereist ist. In die Schweiz kam er zum Ski fahren, die Türkei besuchte er wenn er sich am Meer ausspannen wollte. Dann kam der Krieg. Hassan verlor alles! Seine Firma wurde buchstäblich dem Erdboden gleich gemacht, er rechnet mit einem Verlus von 5 Millionen Euro. Aber Hassan klagt nicht. Für ihn und seine Familie sei der Krieg glücklich vorüber gegangen, niemand musste in ihm sein Leben lassen.
Heute arbeitet Hassan fürs Rote Kreuz und dank Wohnungen die er vermietet ist es ihm wieder gelungen Ersparnisse anzulegen. Als ich mit ihm im Auto war hielt er bei einem Wohnblock kurz an, stieg aus und drückte einer alten Frau, welche gebückt im Hauseingang gestanden hatte, eine Geldnote in die Hand. Zurück im Wagen sagte er mir, dass er dieser Frau, welche seit dem Krieg ganz alleine in der Welt stehe, regelmässig Geld gebe. Heute seien es 50 Mark gewesen, zu viel hätte die Frau gesagt, aber Hassan hat ihr nur die schwache Hand über der Geldnote geschlossen.

Als der Krieg losbrach konnten die meisten Bewohner dieser Stadt nicht glauben, dass er lange dauern sollte. War es doch schlicht unmöglich, dass die Weltgemeinschaft, welche acht Jahre zuvor nur lobende und zukunftsträchtige Worte für Sarajevo übrig hatte, die Stadt und deren Bewohner im Stich lassen würde. Es würde etwas geschehen, es würde geholfen werden, man würde Sarajevo nicht einfach ihrem Schicksal überlassen.
Vier Jahre lang wurde Sarajevo von der serbischen Armee eingekesselt und ausgeblutet. Während dieser ganzen Zeit hatte die UNO eine Schutztruppe in Sarajevo stationiert. Doch es stellte sich bald heraus, dass diese ihrer Aufgabe nicht gewachsen war. Unter dem Auge der UNPROFOR Soldaten wurden täglich Zivilisten von Granaten oder Heckenschützen umgebracht. Während den vier Jahren war jeder Tag im Leben eines Sarajeli ein Überlebenskampf.

Nachdem im August 1995 eine Granate auf dem Marktplatz im Stadtzentrum 37 Menschen getötet hatte, schien es einmal mehr soweit, als hätte alles Reden und Verhandeln keinen Sinn gehabt. Die Bewohner der Satdt hatten es unterdessen längst schon aufgegeben, den Verhandlungen irgend eine Bedeutung beizumessen. Und doch; am 14. Dezember 1995 wurde in Dayton das Abkommen unterzeichnet, welches die Kämpfe endlich einstellte.

Freitag, 28. Januar 2011

begehbar

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Und wir laufen weiter...

Donnerstag, 27. Januar 2011

Echo der Zeit

Meistens gehe ich früh morgens mit unserem Hund Pintas auf einen Spaziergang. Ich mag diese Stimmung draussen, wenn die Luft noch eisig kalt ist, die aufsteigende Sonne aber schon die Ahnung von Wärme auf die gefrorenen Grashalme sendet. Ich habe mir während diesen Spaziergängen angewöhnt, die Nachrichtensendung "Echo der Zeit" des letzten Tages anzuhören. Zu diesem Zweck speichere ich vorgängig die wenigen Megabytes auf den MP3 Player, stecke mir die Stöpsel in die Ohren und spaziere los. Saublöd, werden nun die ein oder anderen denken. Vermiest der sich doch tatsächlich den frühen Morgen mit Nachrichten des letzten Tages.
Ihr habt recht, kann ich denen die "saublöd" denken nur sagen. Eigentlich ist es saublöd. Aber ich mache es trotzdem und erfahre so jeweils am Morgen, was am letzten Abend Thema war. Im Moment vor allem Strassenschlachten und erfolgte oder geplante Stürze von undemokratisch gewählten Präsidenten oder demokratisch zur Macht gekommenen Diktatoren. Über Menschen die sich via Facebook und Twitter organisieren und dann zu zigtausenden auf die Strasse gehen, sich in die Arme der mit Tränengas und Schlagstöcken bewaffneten Polizeit werfen.
Fast immer nehme ich den gleichen Spaziergang, wenn ich früh morgens mit Pintas hinaus gehe. Fast immer kann ich im Nachhinein gewisse Meldungen mit bestimmten Örtlichkeiten auf meinem Weg in Verbindung setzen. Das Interview mit Irene Meyer, der Nahostkorrespondentin, auf dem Feldweg am Bach, bei der alten Weide, dort wo die Enten sich im Wasser putzen. Die Aufstände in der albanischen Hauptstadt Tirana, beim Waldrand, dort wo der Kiesweg weiter in Richtung Fussball Platz führen würde. Denke ich dann zu Hause angekommen an Tirana zurück, so erinnere ich mich auch an den Waldrand; unsinnig zwar, aber unvermeidlich.
Das Besondere an der Tatsache, die Nachrichten des letzten Tages während eines Spazierganges zu hören ist, dass ich mich voll und ganz auf die Nachrichten konzentrieren kann. Ich höre wirklich zu und gerade weil ich wirklich zu höre, kann ich manchmal kaum glauben was da so alles gesagt wird. Es ist mehrmals vorgekommen, dass ich einige Sekunden zurück gehen musste, nicht auf meinem Spazierweg sondern in der Nachrichtensendung "Echo der Zeit", um mich nochmals zu vergewissern, wirklich richtig gehört zu haben. Nachrichten sind dermassen absurd, wenn man ihnen richtig zuhört.
Einen Satz wie: "Die Märkte reagierten gereizt auf die Ankündigung des US-Präsidenten", vermögen mich immer wieder in Erstaunen zu setzen. Der Markt wird zur Person, zum Inidividuum erhoben, welcher gereizt, zufrieden oder verängstigt auf gewisse Faktoren reagiert. Oder ich höre den Chef der Schweizerischen Handelsniederlassung in der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate, in Riat, wie er das Königreich als fortschtittlich, innovativ und sicher lobt. Ein Land, in welchem das Gesetz den Frauen nach wie vor verbietet Auto zu fahren. Das Öl fliesst reichlich, das Geld ebenfalls, die anderen Faktoren sind zweitrangig.
Manchmal, wenn ich früh morgens mit Pintas auf einen Spaziergang gehe, dann beneide ich diesen Hund. Er weiss von all dem nichts und markiert nur munter drauf los. Und wenn ich mich, zu Hause angekommen, noch immer an die ein oder andere Nachricht erinnere und mich frage ob ich wirklich richtig gehört habe, legt sich Pintas eine Weile schlafen.

Montag, 24. Januar 2011

Kürbiskernöl


Böse Zungen würden es Betriebsspionage nennen, was wir heute Nachmittag in Gornja Bistrica betrieben haben. Der Gemüsebauer Michu aus dem bernischen Seeland hat sich, als harmloser Tourist verkleidet, zusammen mit seiner Frau und zwei waschechten Slowenen in die Kürbiskernöl Presse von Gornja Bistrica eingeschlichen. Bald werden die Beiden den Zug in Ljubljana mit Reiseziel Zürich besteigen; im Gepäck viele Eindrücke aus Slowenien, den Geschmack frisch gepressten Öls und einen Sack voller Hochleistungszucht Kürbiskernen. Der Gemüsebauer aus dem Seeland will als einer der ersten Kürbiskernöl Produzenten der Schweiz in die Bücher eingehen.
Warum auch nicht? Klimatisch gesehen spricht in der Schweiz nichts gegen die Produktion von Kürbiskernöl. Alle Freunde von uns aus der Schweiz, die hier in Slowenien auf Besuch kommen, sind von diesem Kürbiskernöl begeistert und nehmen meistens mehrere Liter davon wieder mit nach Hause. Die Produktion ist nicht wahnsinnig kompliziert, vorausgesetzt man verfügt über die nötigen Maschinen.
Kürbiskernöl hat hier in Slowenien, wie übrigens auch im benachbarten Österreich, eine grosse Tradition. Ganze Felder werden deshalb nur des Öls wegen mit den grossen, orangen Ungetümen bepflanzt, welche im Herbst wie vom Himmel gefallene Meteoriten die Felder der Stajerska zieren. Das Öl ist sehr schmackhaft und stellt eine gesunde, einheimische Alternative zum Olivenöl dar. Einheimisch in dem Sinne, als dass Kürbisse auch bei uns eine immer grösseren Beliebtheit kennen.
Der Besitzer der Kürbisölpresse in Gornja Bistrica zeigte uns nach der Betriebsbesichtigung eine alte Fotografie an der Wand. Zu sehen war ein schwimmendes Häuschen, welches durch Pfähle und dank eine Steges, der das Haus mit dem Festland verband, dem Strom des Flusses Mura trotzte. Dies sei die alte Mühle seines Vaters gewesen, meinte der Mann nicht ohne stolz. Hier hätten seine Vorfahren mit Hilfe des Flusses, das Getreide zu Mehl verarbeitet und einmal im Jahr eben auch das Kürbiskernöl hergestellt. Vor vielen Jahren schon habe man die Mühle vom Fluss landeinwärts verlegt. Heute erledigt die Elektrizität die Kraftarbeit und man spezialisiert sich ausschliesslich auf die Herstellung von Öl. Früher konnte man im Herbst ein halbes Dorf damit beschäftigen, die getrockneten Kürbiskerne zu schälen. Die heutigen Zuchtsorten tragen nun Kerne ohne Schalen, was eben die Arbeit des halben Dorfes einspart.
Wer noch nie Kürbiskernöl probiert hat, soll sich bitte nächstes Jahr gegen Ende November beim Gemüsebauer Michu aus Golaten melden. Vielleicht kann der dann weiterhelfen.

Samstag, 22. Januar 2011

Via Egnatia und der Zauberer von Oz


Vor kurzem habe ich mir den Film „Der Zauberer von Oz“ aus dem Jahre 1934 angeschaut. In dieser feinen Geschichte gerät das Mädchen Dorothy mit ihrem Hund Toto auf einmal in die Welt des Zauberers von Oz. Nachdem sie die böse Hexe des Ostens beseitigt hat wird sie von der guten Hexe des Nordens auf die Suche nach dem Zauberer von Oz geschickt. Das kleine Mädchen hat aber keine Ahnung von der Geographie des fremden Landes und bittet die gute Hexe deshalb um eine Wegbeschreibung. Die gute Hexe des Nordens muss ob der Frage des Mädchens lachen, denn es gibt doch nur gerade eine Strasse die zum Zauberer von Oz führt. Das Mädchen muss nichts weiteres tun, als dem mit gelben Steinen ausgelegten Weg zu folgen. Und tatsächlich spielt sich die nächste Stunde des alten Spielfilmes auch alles auf dem Parkett eben dieses gelben Weges ab.

Ganz so einfach ist es in der wirklichen Welt natürlich nicht. Zum Glück auch führen immer mehrere Strassen ans gewünschte Ziel. Mir scheint es jedoch, dass die Vielfalt an Strassen und Wegen es uns nicht selten erschwert, uns mit guter Überzeugung für einen Weg zu entscheiden.

Als ich zu Fuss unterwegs gewesen bin, habe ich mir nicht selten einen Weg, eine Strasse gewünscht, welcher ich einfach hätte folgen können. Einen Weg wie derjenige des Mädchens Dorothy im Land des Zauberers von Oz. Einen Weg voller Abenteuer und Überraschungen zwar, aber dennoch vorgezeichnet. Einen solchen Weg habe ich damals nicht gefunden.

Seit meiner langen Wanderung interessiere ich mich sehr für die Geschichte alter Wege und Strassen und ich hoffe, dass ich noch so einige von diesen Pfaden werde begehen können. Denke ich an meine Wanderung zurück, so bleibt mir ein Weg besonders eindrücklich in Erinnerung. Es war eine Strasse in Norditalien, kurz vor dem Gardasee. Sie wurde während des 1. Weltkrieges von italienischen Truppen gebaut und diente der Versorgung der Grenztruppen mit militärischem Material. Demenstprechend war sie auch mit grossen, schweren Steinen ausgebaut worden. Nach dem Krieg verlor dieser Weg aber seine Bedeutung und begann langsam zu zerfallen, zusammen mit den zahlreichen Forts und Bunker, welche den Wegrand säumten. Auf diesem Weg fühlte ich mich in eine andere Zeit, fast in eine fremde Welt entrückt und es hätte mich damals wohl kaum erstaunt, hinter einer Kurve den Zauberer von Oz anzutreffen (den ich damals übrigens noch nicht kannte).

Von Sarajevo aus hätte ich gerne eine der alten Verbindungs- und Handelsstrassen in Richtung Bosporus einschlagen wollen. Doch diese alten Strassen gibt es nicht mehr, jedenfalls nicht mehr so wie ich sie mir vorstelle. Heute liegen sie begraben unter den asphaltierten Fernstrassen und sind Teil des Europäischen Fernverkehrs-Systems geworden. Denn die Routen haben sich nicht verändert und die Berge haben sich nicht abgeflacht.

Wenn ich mich nächstes Mal auf den Weg nach Istanbul mache, dann werde ich vielleicht die Via Egnatia einschlagen. Als östliche Fortsetzung der Via Appia war sie der direkte Weg zwischen Rom und Konstantinopel, den beiden großen Metropolen des spätantiken römischen Reichs. Die Via Egnatia führt von Durres im heutigen Albanien über den Ohrid See nach Thesaloniki und weiter durch Griechenland bis an den Bosporus. Teile der alten Heeresstrasse seien noch zu sehen, der grösste Teil jedoch liegt heute vergraben unter dem Asphalt von Autobahnen und Fernstrassen.

Freitag, 21. Januar 2011

Ein Hauch der weiten Welt


Wenn wir bei der Ausfahrt Lendava, im äussersten Osten Sloweniens, zur Tankstelle fahren, dann stehen dort immer zahlreiche Lastwagen, deren Fahrer gerade dabei sind eine kleine Ruhepause zu machen. Einige sitzen in ihren Kabinen und schauen sich einen Film an, andere scheinen zu schlafen, denn die grosse Frontscheibe wird von einer Art Vorhang bedeckt. Viele dieser Lastwagen-Fahrer haben, wenn sie bei der Tankstelle in Lendava rasten, bereits eine weite Reise hinter sich. Sie kommen von westen und wollen nach osten oder sie kommen von osten und wollen nach westen. Denn durch Slowenien führt die wohl wichtigste Verbindungsstrasse von der Küste des atlantischen Ozeans bis in die endlosen Weiten Russlands hinein. Wer von Spanien herkommend in die Ukraine unterwegs ist fährt durch Lendava, wer von Rumänien nach Frankreich will fährt durch Lendava. Englisch scheint sich bei den Lastwagen-Fahrern zum Glück noch nicht durchgesetzt zu haben. Bei der Infotafel auf der Tanksäule ist eine schier babylonische Sammlung von Sprachen anzutreffen, welche ein Hauch der weiten Welt am Strassenrand zurück lässt.