Montag, 12. April 2010

Klostergeschichten aus Cetinje

Bild: Das Kloster in Cetinje

Am Samstag betrat ich, ohne es zu wissen, das "headquarter" der serbisch-orthodoxen Kirche; das Kloster in Cetinje. Der Begriff "headquarter" stammt nicht von mir, sondern von Bojan, einem Besucher aus Serbien mit welchem ich im schönen Innenhof des Klosters einen kurzen aber nicht unbedingt unbedeutenden Schwatz über die Bedürftigkeit des Glaubens, seinen Anhängern Beweise für die Existenz Gottes vorzuführen abhielt.

Ich wollte wieder im Kloster übernachten, der Himmel verkündete anbrechenden Regen und der Zustand meiner Beine (noch habe ich diese undefinierbaren Schmerzen unterhalb der Kniescheiben) erlaubten es mir nicht, mich mit meinem Gepäck in die umliegenden Hügel aufzumachen um dort einen Schlafplatz für die Nacht zu suchen.

Beim Empfang des Klosters wurde ich gebeten zu warten, denn man müsse erst einmal mit dem Hausherrn besprechen, ob noch Schlafplätze verfügbar seien. So wartete ich dann, unter einem steinernen Bogen auf einer Bank sitzend, wo sich im selben Moment auch Bojan und drei weitere Besucher aufhielten. Rasch kam ich mit Bojan ins Gespräch (wenn er sprach, so senkte er die Augenlieder derart, dass nur noch kleine Spälte zu sehen waren, aus welchen eine grosses Vergnügen und eine Bereitschaft zum Gespräch zu erkennen waren). Er wollte von mir wissen, was mich in diese Gegend führe, ob es das Interesse an der serbisch-orthodoxen Kirche sei. Als er von mir erfuhr, dass ich mich drei Monate in Sarajevo aufgehalten habe, erwähnte er sofort, dass auch ganz Bosnien ursprünglich serbisch-orthodox gewesen sei, dass das Eintreffen der Türken und die damit einhergehende Islamisierung den wahren Glauben verdrängt habe; das müsse ich wissen, wenn ich in dieser Gegend herumziehe. Wolle ich den wahren Geist dieser Region erfahren (wie weit auch immer Bojan den Begriff Region ausdehnt) so müsse ich mich für die serbisch-orthodoxe Kirche interessieren, den einzigen wahren Glauben. Ich wagte einzuwänden, dass es für mich eben gerade interessant sei, mich dieser Region von verschiedenen Blickwinkeln her anzunähern. So hätte ich mich denn in Bosnien auch sehr für die islamische Kultur interessiert und die Erfahrungen dort seien für mich eine grosse Bereicherung gewesen. Darauf ging Bojan nicht ein. Stattdessen meinte er weiter, ich müsse wissen, dass die serbisch-orthodoxe Kirche die einzige Kirche sei, die Beweise für die Existenz Gottes geben könne. Wow, was das denn für Beweise seien, wollte ich nun natürlich wissen. Oh, davon gäbe es viele... Zum Beispiel derjenige, dass Wasser, welches von einem serbisch-orthodoxen Priester gesegnet worden sei, bis ans Ende aller Tage trinkbar bliebe. Ein Wunder welches auch die heutige Wissenschaft nicht erklären könne. Und tatsächlich wird hierzulande in den Klöster solches Wasser verkauft, abgefüllt in kleine Flaschen, als Mitbringsel oder für den Eigengebrauch. Er wolle mir noch ein weiteres Beispiel nennen, meinte Bojan immer mehr in Eifer kommend. Nun zückte er sein Handy und zeigte mir ein Bild, welches er mit seinem Handy geschossen hatte. Bei bestem Willen konnte ich nicht erkennen was auf dem Bild zu sehen sein sollte; am ehesten glich es einer alten, eitrigen Wnde. Dies sei ein letztjähriges Oster-Ei, meinte nun Boris. Ein gekochtes Ei, welches vor einem Jahr ebenfalls von einem Priester gesegnet worden sei. Vor einigen Tagen, an Ostern, habe er es geöffnet und, oh Wunder, das gekochte Ei war noch unversehrt. Es stank nicht, es sah noch genau so aus, als wäre es erst vor einigen Tagen und nicht vor einem Jahr gekocht worden (Ich wollte ihn noch fragen, ob er dieses Ei auch gegessen habe, liess es dann aber sein..). In diesem Moment trat ein Priester des Klosters auf uns zu und meinte, dass "es" nun bereit sei. Schon dachte ich, er meine damit mein Nachtlager, als sich Bojan, seine Gefährten und der Priester in Richtung Kapelle auf den Weg machten. Mit einem Handwink gab mir Bojan zu verstehen, dass ich mitkommen solle und meinte im Gehen, dass ich nun noch einen weiteren Beweis für die Existenz Gottes sehen werde. Gespannt betrat ich die kleine, schummrige Kapelle, an deren Ende ein geöffneter Sarg zu sehen war. "In diesem liegt der Märtyrer Ivan Petrovič, seit über hundert Jahren tot und doch ist sein Körper nicht der Verwesung ausgesetzt." Als ich mich über den Sarg beugte, welcher mit einer Glasplatte zugedeckt war, erkannte ich zuerst einmal gar nichts. Ich sah nur gerade ein schön besticktes Damasttuch, unter welchem man die Formen eines menschlichen Körpers erahnen konnte. Erst als Bojan auf einen kleinen Kasten zeigte, der mit einer weiteren Glasplatte bedeckt war, erkannte ich darin eine Hand. Sie war dunkelbraun und ausgetrocknet, aber tatsächlich waren noch Haut und Nägel erkennbar. "Das ist die Hand von Johannes dem Täufer, seit 2000 Jahren unversehrt, ein Wunder, ein Beweis für die Existenz Gottes!", sagte Bojan. Neben der Hand seien noch weitere Reliquien erkennbar, so ein Stück Holz aus dem Kreuz, an welchem Christus gestorben sei sowie einige Haare des Heilands. Bojan und seine Gefährten knieten mehrmals vor dem Sarg nieder, neben welchem der bärtige Priester wie ein stummer Wächter stand, und küssten anschliessend die Glasplatte.

Nachdem der Sarg wieder verschlossen wurde, bat Bojan den Priester, ob er mir nicht ein gesegntes Osterei geben könne, damit ich im nächsten Jahr mit eigenen Augen die Existenz Gottes sähe. Während der Priester in der Kapelle nach einem Ei suchte, fragte er Bojan, welcher Religion ich denn angehöre. Den Protestanten meinte Bojan und gemeinsam kamen sie überein, dass dies die Schlimmsten seien; nur Philosophie, keine Verpflichtungen. Ich blieb stumm. Schliesslich drückte mir der Priester ein bereits etwas angeschlagenes Osterei in die Hand, Bojan lächelte selig. Auch er habe noch ein Geschenk für mich und gab mir eine Fotografie einer weinenden Ikone. Diese Fotgrafie habe er selber gemacht. Ein weiterer Beweis Gottes, denn wie können aus einem Stück Holz Tränen rinnen... Ich müsse wissen, es handle sich nicht um Wasser sondern um Tränenplasma, nur ohne die roten Blutkörperchen...

Wenig später stand ich allein gelassen im Innenhof des "headquarters", in der einen Hand ein gesegnetes Osterei, in der anderen die schlechte Fotografie einer weinenden Marien-Ikone. Das Nachtlager im Kloster habe ich schliesslich nicht bekommen und irgendwie war es mir auch gerade recht so. Das Osteri lag dann noch eine Nacht lang neben meinem Bett in der Pension auf dem Nachttisch (später versteckte ich es in einem Busch, auf dass jemand anderes darin sein Wunder fände).

Für mich gibt es auch sonst Wunder genug und irgendwie sträube ich mich gegen den Bedarf, die Existenz Gottes beweisen zu müssen.

Nachtrag:
In Sarajevo bin ich, auf Jobsuche, einmal in eine Art muslimischen Jugendtreff geraten. Leider habe ich mich dort beim Vorsteher etwas zu genau nach dem Programm erkundigt. Der Vorsteher witterte in mir einen Spion und es begann eine Art Verhör, welchem ich und eine Freundin aber nach kurzer Zeit entkamen.

In der Art wie dieser muslimische Jugendarbeiter mit mir gesprochen hat und in der Art wie Bojan versuchte mich auf den rechten Glauben hinzuweisen, sehe ich viele Aehnlichkeiten. Beide verkörpern sie für mich diese erschreckende Ausschliesslichkeit, die mich an abgestandene Luft und Kopfschmerzen erinnert.

So erlebe ich denn hier für mich persönlich wunderschöne und gut tuende Konfrontationen mit der Religion und eben auch die anderen...

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