Dienstag, 13. April 2010

über das Passieren von Grenzen

Bild: bosnisch-montenegrinische Grenze in Šepan Polje, über dem Fluss Tara

Wir Europäer verlieren immer mehr das Bewustsein, was es bedeutet, Grenzen zu überschreiten. Es ist dies nichts Schlechtes, denn mit dem Wegfall der starren Grenzen einbezüglich der permanenten Kontrolle von Ausweis und Reisegrund lebt es sich durchwegs einfacher. Und es hat auch etwas Schönes an sich, dieses Gefühl der Nicht-Existenz von Landesgrenzen, etwas friedfertiges, zukunftsweisendes.

Schon immer überkam mich eine eigentümliche Furcht, wenn ich mich, in welcher Art auch immer, einer bewachten Grenze näherte. Es ist dies etwas Absurdes, ich weiss, denn gerade ich mit meinen roten Ausweispapieren hatte doch wirklich noch nie etwas zu befürchten. Aber es hilft mir nichts. Jedes Mal, sobald der Grenzwärter langsamen Schrittes auf mich zu kommt (und er kommt immer langsamen Schrittes auf einen zu) steigt in mir der Gedanke hoch, ob ich nicht doch vielleicht irgend etwas beim Passieren dieser Grenze zu bedenken unterlassen habe...

Als ich vor zwei Tagen mit dem Bus von Podgorica nach Sarajevo gefahren bin, habe ich beim Einsteigen komplett vergessen, dass ich auf dieser Fahrt eine Landesgrenze überschreiten würde, mich dementsprechend ausweisen musste. So liess ich auch meinen Pass im Gepäck, welches zuhinterst im Laderaum des Buses verstaut wurde. Als sich unser vollbesetzter Bus der montenegrinisch-bosnischen Grenze in Šepan Polje näherte (jene Grenze welche ich vor 10 Tagen zu Fuss überschritten habe), überkam mich die altbekannte Furcht in doppelter Hinsicht. Zwar trug ich meine Identitätskarte auf mir, doch Montenegro durfte man nur mit einem Reisepass betreten. An der Grenze stieg der montenegrinische Beamte in den Bus ein und begann damit, alle Dokumente der Reisenden einzusammeln. Er tat dies mit jener berühmten Langsamkeit, die erstens allen Grenzwärtern inne ist und welche zweitens bei Montenegrinern noch ins unermessliche potenziert wird. Ohne ein Wort zu sagen, betrachtete er jedes Dokument für einige Sekunden und schaute darauf dem Passagieren oder der Passagierin einen Moment in die Augen. Ich sass ganz hinten im Bus und war bereits völlig verschwitzt, als der Beamte auch meine Identitätskarte komentarlos entgegennahm. Auch mir schaute er kurz in die Augen (es erschien mir wie eine Ewigkeit), mit einem trüben und müden Blick. Der Beamte behielt alle Dokumente bei sich, verliess den Bus und begab sich, langsamen Schrittes, ins Zollhaus, wo er die Papiere anscheinend auf ihre Echtheit überprüfte. Eine ganze Weile blieben wir so alleingelassen im Bus zurück, ein Haufen Sans-Papiers an einer unbedeutenden Grenze irgendwo zwischen Bosnien und Montenegro.

Irgend einmal kam er zurück, der Grenzwärter. Er machte sich jedoch nicht die Mühe, die Ausweispapiere wieder persönlich auszuteilen, sondern übergab sie, durchs Fenster hindurch, dem Fahrer unseres Buses. Jener wiederum drehte sich knapp auf seinem Stuhl sitzend um und reichte den Stapel Dokumente an die erstbeste Person weiter, mit der Bitte, sie möge die Papiere verteilen. Die Auserwählte war eine junge, sympathische Frau. Der Fahrer startete bereits den Motor und der Bus bewegte sich in Richtung der bosnischen Grenze (welche in diesem Teil Bosniens mit einer Flagge der Republika Srpska markiert wird), als sich die junge Frau in die Mitte des Buses stellte und damit begann, die Namen laut auszurufen und die Dokumente den jeweiligen Personen auszuteilen. Was nun geschah, war für mich gleichzeitig seltsam und wunderschön, denn auf einmal wurde die unsinnige Furcht die ich und vielleicht auch andere noch eben erst verspürt hatten in ihr Gegenteil gekehrt. So wie die junge Frau mitten im Bus stand, mal flüssig, mal etwas holprig die Namen aufsagte, mit einem Lachen in die Runde schaute um den Menschen zu finden, der diesen Namen trägt, stieg in uns Passagieren eine kindliche Nervosität auf. Ich wusste, irgend einmal würde auch mein eigener Name aufgerufen werden, alle Köpfe würden sich dann nach mir umdrehen (genau so wie sich alle Köpfe nach jedermann und jederfrau umdrehten) und ich würde sagen "ja" oder "tu sam" oder auch "ovdje", Hauptsache dass die Frau auf mich aufmerksam würde und mir mein Dokument wieder austeilte. Die ganze Prozedur hatte etwas dermassen warmes, menschliches an sich, dass man hätte meinen können wir seien bereits seit einer Woche und nicht erst seit zwei Stunden gemeinsam unterwegs. Auf einmal wollte man wissen, wer sich hinter diesem oder jenem Namen verbarg, wir waren nicht länger anonyme, namenlose Wesen.

Ich kann mich nur an einen Namen erinnern. Es war dies ein Mann namens Mahmud, er sass bereits während der ganzen Fahrt neben mir. Bis zur montenegrinischen Grenze haben wir kein Wort gesprochen. Er war gross und schwer, brauchte mehr Platz als ihm sein Sitz zugestand und ich musste mich stärker gegen das Fenster drücken als mir lieb war. Später kamen wir miteinander ins Gespräch. Es war nicht viel was wir sprachen, aber immerhin. Als wir in Sarajevo angekommen waren, verabschiedeten wir uns, indem wir uns die Hand gaben. Ich nannte ihn beim Namen; "Doviđenja Mahmud". Er hatte sich meinen nicht merken können, lachte aber als er mir die Hand reichte.

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