Bild: Das Kloster Ostrog
Manchmal bedeutet erleben auch erdulden.
Auf meinen Wunden Füssen stehend erduldete ich im Kloster Ostrog heute morgen eine zwei stündige Liturgie Messe, zusammen mit ungefähr 50 weiteren Menschen, schön in einer Reihe stehend vor dem Klostereingang. Eigentlich war ich noch ziemlich weit vom Klostereingang entfernt, ich stand etwas unterhalb der Treppe auf welcher die älteren Frauen sich nach einer Stunde kaum mehr aufrecht halten konnten. Ein alter Mann vor mir, der sich nur mühsam auf seinen Stock stützend durchzuhalten versuchte, musste nach einer Stunde, sich immer und immer wieder bekreuzigend, den Rückzug antreten. Die Frau, die neben ihm stand und welche vielleicht seine Tochter war, versuchte ihn von seinem Vorhaben abzubringen und schaute ihn dermassen böse an, wobei sie ihr oberes Gebiss mit der Zunge nach vorne schob, so dass die Zähne auf einmal schräg unter der Oberlippe hervorlugten, dass es mir kalt den Rücken hinunter lief.
Ein langgezogens Metallgitter teilte den Gang in welchem wir standen und der Liturgie lauschten in zwei Hälften. Auf der einen Seite, dort wo wir alle standen und warteten, ging es ins Allerheiligste des Klosters, in die Kapelle aus dem 12. Jahrhunder in welcher die bärtigen Popen sassen und aus alten Büchern die Texte murmelten und die Gesänge sangen, welche wir nur dank eines Lautsprechers vernehmen konnten.
Am Vorabend bin ich nach Ostrog gekommen, im Wissen darum, dass man in diesem Kloster übernachten konnte. Wie sich herausstellte war ich nicht der Einzige, denn in zwei Autobussen kam eine ganze Reisegruppe aus Serbien angefahren, welche während eines zwei tägigen Ausfluges mehrere Klöster in Crna Gora abklapperten, wobei der Höhepunkt dasjenige von Ostrog war. Tatsächlich scheint Ostrog in der serbisch-orthodoxen Klosterwelt eine besondere Stellung einzunehmen, es gilt als ein besonders heiliger Ort (wobei ich mich gerade frage ob man das Adjektiv heilig steigern kann). Auch die Lage des Klosters ist einzigartig. Auf 1000 Meter über Meer gelegen wurde das Kloster im 17. jahrhundert so perfekt in die senkrecht aufsteigende Felswand hineingebaut, dass es eigentlich von Weitem nur gerade dank seiner weiss getünchten Fassade erkennbar ist, welche sich von der grau-braunen Felswand abhebt. Ostrog ist das Kloster des heiligen Vasilije welcher als Mumie in einem Sarg in der alten Kapelle aufbewahrt wird.
Die Nacht verbrachte ich mit den zahlreichen serbischen Gästen im offenen Gang des zweiten Klostergebäudes. Dort, auf einer Schaumstoffmattraze liegend, zugedeckt mit einer Unzahl von Wolldecken, welche im Kloster in rauhen Mengen vorhanden sind, liessen sich die Sterne wunderbar anschauen. Denn das Tal, welches dem Kloster zu Grunde liegt, ist spärlich bewohnt. Bevor ich mich auf mein Schlaflager legte, durfte ich mindestens drei Mal ein Nachtessen geniessen, denn von mehreren Seiten her wurde mir Nahrung angeboten, wobei der Höhepunkt bestimmt das saftige Schweinsschnitzel bildete, welches mir von einer Frau aus Novi Sad zugeschoben wurde. Sie teilte mir auch mit, dass ich am nächsten Morgen vor 6 Uhr bei ihr einen Kaffee holen könne, sie habe einen Kocher dabei und gedenke sich vor der Liturgie mit einem Kaffee zu stärken. Es war mein Glück, hat mir der Zufall heute Morgen dieses türkische Getränk zugespielt. Ohne die stärkende Brühe hätte ich mich wohl kaum die zwei Stunden auf den Beinen halten und mir das das sich immer und immer wieder wiederholende Gemurmel anhören können, von welchem ich gerade mal die Worte Christus, Tod und Kreuz verstand. Manchmal war es mir zum Lachen zu Mute, denn irgendwo in diesem Kloster (erst zum Schluss erfuhr ich, dass der Schauplatz die alte Kapelle war) sassen drei oder vier bärtige Popen in lange schwarzen Gewändern wohl um einen Tisch herum. Auf diesem Tisch stand ein Mikrofon durch welches sie mal abwechslungsweise, mal gemeinsam ihr Bestes gaben. Die Gesänge der Popen entsprachen der frühen Morgenstunde (noch war die Sonne nicht aufgegangen und dementsprechend die Stimmen manchmal noch schwach). Manchmal unterbrachen sie die Liturgie aprubt und beratschlagten vor laufendem Mikrofon, wer den nächsten Gesang anstimmen solle.
All dies ertrugen die Menschen vor dem Kloster in der kühlen Morgenluft stehend geduldig und sich immer wieder bekreuzigend. Die Geduld dieser Menschen und ihre Anteilnahme an den Worten der Popen gab mir die Kraft durchzuhalten, denn manchmal war es mir wirklich zum Schreien zu mute. Irgendwann einmal nach zwei Stunden läutete die Glocke und langsam kam Bewegung in die Kollonne, welche sich im Schneckentempo in Richtung der alten Kapelle bewegte. Da ich nicht wusste was mich dort erwarten würde dachte ich bereits ans Umkehren, aber die Neugierde war grösser. Ein junger Pope kam vorbei, legte mir Brot in die Hände wobei ich, es den Umstehenden gleich machend, ihm in diesem Moment seine Hand küsste. Endlich kam auch ich an die Reihe und ich musste mich bücken um durch das kleine Tor in die Kapelle zu gelangen. Was mich dort erwartete entlohnte ich bei Weitem für das zwei stündige Durchhalten. Ich stand auf einmal in einem von Weihrauch getränkten Raum. Die hintere Wand der Kapelle bildete die nackte Felswand des Berges. Jene Wand, welche die Kapelle gegen das Tal hin abgrenzt, war bemalt mit alten Fresken, die im Laufe der Zeit zwar Farbe und teilweise auch Form verloren hatten, die aber noch immer eine unglaubliche Schönheit auszustrahlen vermochten. In einem hinteren Teil des Raumes sah ich nun tatsächlich den gedachten Tisch und auf ihm das Buch in goldenem Einband, so gross, dass man es unmöglich alleine in den Händen hätte halten können. Am Ende des Raumes die Mumie des Vasilije, vor welcher sich die Gläubigen niederknieten um den Sarg zu küssen. Ich vermochte nicht mehr zu tun als mit einem Finger kurz das alte Holz zu berühren. Rückwärtsgehend, es erneut den anderen gleich tuend, verliess ich den Raum, in mir ein Gefühl, dass ich gerade eben einen wirklich heiligen Ort betreten habe.
Mag es auch nur daran liegen, dass in diesem Raum seit über 800 Jahren gebetet wird, dass er seit langer Zeit für heilig gehalten wird; was spielt es schon für eine Rolle. Das Glück des Gläubigen liegt wohl darin, Kraft und Vertrauen aus einem solchen Ort zu ziehen; etwas was man anschliessend mit sich auf den Weg nimmt, wenn man vom Kloster Ostrog wieder hinunter ins Tal steigt.
Hier in Montenegro gibt es eine grosse Anzahl an Klöster. Die Landschaft hier mit ihren Hügeln, Bergen und versteckten Gewässern scheint für rückzugsliebende Klosterbrüder und Schwestern gerade zu bestens geeignet zu sein.
Als ich von Plusenje in Richtung Niksic lief traf ich ebenfalls auf ein Kloster; es war dies das Piva Kloster, gelegen an der Hauptstrasse etwa 200 Meter oberhalb des Piva-Stausees. Das Kloster stand nicht immer an jenem Platz. Bevor der Piva Fluss gestaut und weite Gebiete durch den künstlichen See überflutet wurden, befand sich das ebenfalls aus dem 17. Jahrhundert stammende Kloster in malerischer Lage am Fluss gelegen. Wegen des hydrologischen Bauprojekts wurde das Kloster Stein für Stein Hunderte Meter nach oben verlagert. Jahrhunderte alte Fresken wurden entfernt um später an die erneut zusammengesetzte Mauer wieder angefügt zu werden. Nun stelle ich mir vor, das gleiche Schiksal drohe der weihrauch geschwängerten Kapelle in Ostrog. Vielleicht könnte man durch einen Umzug sogar die Fresken renovieren, die "Heiligkeit" des Raumes ginge damit aber unwiederbringlich verloren.
So sind wohl einige Dinge definitiv an Orte gebunden und verlieren durch den Verlust dieser Orte ihre wahre Bedeutung.
Die Frage wäre nun: Liesse sich echter bosnischer Kaffee auch in der Schweiz ausschenken.
Manchmal bedeutet erleben auch erdulden.
Auf meinen Wunden Füssen stehend erduldete ich im Kloster Ostrog heute morgen eine zwei stündige Liturgie Messe, zusammen mit ungefähr 50 weiteren Menschen, schön in einer Reihe stehend vor dem Klostereingang. Eigentlich war ich noch ziemlich weit vom Klostereingang entfernt, ich stand etwas unterhalb der Treppe auf welcher die älteren Frauen sich nach einer Stunde kaum mehr aufrecht halten konnten. Ein alter Mann vor mir, der sich nur mühsam auf seinen Stock stützend durchzuhalten versuchte, musste nach einer Stunde, sich immer und immer wieder bekreuzigend, den Rückzug antreten. Die Frau, die neben ihm stand und welche vielleicht seine Tochter war, versuchte ihn von seinem Vorhaben abzubringen und schaute ihn dermassen böse an, wobei sie ihr oberes Gebiss mit der Zunge nach vorne schob, so dass die Zähne auf einmal schräg unter der Oberlippe hervorlugten, dass es mir kalt den Rücken hinunter lief.
Ein langgezogens Metallgitter teilte den Gang in welchem wir standen und der Liturgie lauschten in zwei Hälften. Auf der einen Seite, dort wo wir alle standen und warteten, ging es ins Allerheiligste des Klosters, in die Kapelle aus dem 12. Jahrhunder in welcher die bärtigen Popen sassen und aus alten Büchern die Texte murmelten und die Gesänge sangen, welche wir nur dank eines Lautsprechers vernehmen konnten.
Am Vorabend bin ich nach Ostrog gekommen, im Wissen darum, dass man in diesem Kloster übernachten konnte. Wie sich herausstellte war ich nicht der Einzige, denn in zwei Autobussen kam eine ganze Reisegruppe aus Serbien angefahren, welche während eines zwei tägigen Ausfluges mehrere Klöster in Crna Gora abklapperten, wobei der Höhepunkt dasjenige von Ostrog war. Tatsächlich scheint Ostrog in der serbisch-orthodoxen Klosterwelt eine besondere Stellung einzunehmen, es gilt als ein besonders heiliger Ort (wobei ich mich gerade frage ob man das Adjektiv heilig steigern kann). Auch die Lage des Klosters ist einzigartig. Auf 1000 Meter über Meer gelegen wurde das Kloster im 17. jahrhundert so perfekt in die senkrecht aufsteigende Felswand hineingebaut, dass es eigentlich von Weitem nur gerade dank seiner weiss getünchten Fassade erkennbar ist, welche sich von der grau-braunen Felswand abhebt. Ostrog ist das Kloster des heiligen Vasilije welcher als Mumie in einem Sarg in der alten Kapelle aufbewahrt wird.
Die Nacht verbrachte ich mit den zahlreichen serbischen Gästen im offenen Gang des zweiten Klostergebäudes. Dort, auf einer Schaumstoffmattraze liegend, zugedeckt mit einer Unzahl von Wolldecken, welche im Kloster in rauhen Mengen vorhanden sind, liessen sich die Sterne wunderbar anschauen. Denn das Tal, welches dem Kloster zu Grunde liegt, ist spärlich bewohnt. Bevor ich mich auf mein Schlaflager legte, durfte ich mindestens drei Mal ein Nachtessen geniessen, denn von mehreren Seiten her wurde mir Nahrung angeboten, wobei der Höhepunkt bestimmt das saftige Schweinsschnitzel bildete, welches mir von einer Frau aus Novi Sad zugeschoben wurde. Sie teilte mir auch mit, dass ich am nächsten Morgen vor 6 Uhr bei ihr einen Kaffee holen könne, sie habe einen Kocher dabei und gedenke sich vor der Liturgie mit einem Kaffee zu stärken. Es war mein Glück, hat mir der Zufall heute Morgen dieses türkische Getränk zugespielt. Ohne die stärkende Brühe hätte ich mich wohl kaum die zwei Stunden auf den Beinen halten und mir das das sich immer und immer wieder wiederholende Gemurmel anhören können, von welchem ich gerade mal die Worte Christus, Tod und Kreuz verstand. Manchmal war es mir zum Lachen zu Mute, denn irgendwo in diesem Kloster (erst zum Schluss erfuhr ich, dass der Schauplatz die alte Kapelle war) sassen drei oder vier bärtige Popen in lange schwarzen Gewändern wohl um einen Tisch herum. Auf diesem Tisch stand ein Mikrofon durch welches sie mal abwechslungsweise, mal gemeinsam ihr Bestes gaben. Die Gesänge der Popen entsprachen der frühen Morgenstunde (noch war die Sonne nicht aufgegangen und dementsprechend die Stimmen manchmal noch schwach). Manchmal unterbrachen sie die Liturgie aprubt und beratschlagten vor laufendem Mikrofon, wer den nächsten Gesang anstimmen solle.
All dies ertrugen die Menschen vor dem Kloster in der kühlen Morgenluft stehend geduldig und sich immer wieder bekreuzigend. Die Geduld dieser Menschen und ihre Anteilnahme an den Worten der Popen gab mir die Kraft durchzuhalten, denn manchmal war es mir wirklich zum Schreien zu mute. Irgendwann einmal nach zwei Stunden läutete die Glocke und langsam kam Bewegung in die Kollonne, welche sich im Schneckentempo in Richtung der alten Kapelle bewegte. Da ich nicht wusste was mich dort erwarten würde dachte ich bereits ans Umkehren, aber die Neugierde war grösser. Ein junger Pope kam vorbei, legte mir Brot in die Hände wobei ich, es den Umstehenden gleich machend, ihm in diesem Moment seine Hand küsste. Endlich kam auch ich an die Reihe und ich musste mich bücken um durch das kleine Tor in die Kapelle zu gelangen. Was mich dort erwartete entlohnte ich bei Weitem für das zwei stündige Durchhalten. Ich stand auf einmal in einem von Weihrauch getränkten Raum. Die hintere Wand der Kapelle bildete die nackte Felswand des Berges. Jene Wand, welche die Kapelle gegen das Tal hin abgrenzt, war bemalt mit alten Fresken, die im Laufe der Zeit zwar Farbe und teilweise auch Form verloren hatten, die aber noch immer eine unglaubliche Schönheit auszustrahlen vermochten. In einem hinteren Teil des Raumes sah ich nun tatsächlich den gedachten Tisch und auf ihm das Buch in goldenem Einband, so gross, dass man es unmöglich alleine in den Händen hätte halten können. Am Ende des Raumes die Mumie des Vasilije, vor welcher sich die Gläubigen niederknieten um den Sarg zu küssen. Ich vermochte nicht mehr zu tun als mit einem Finger kurz das alte Holz zu berühren. Rückwärtsgehend, es erneut den anderen gleich tuend, verliess ich den Raum, in mir ein Gefühl, dass ich gerade eben einen wirklich heiligen Ort betreten habe.
Mag es auch nur daran liegen, dass in diesem Raum seit über 800 Jahren gebetet wird, dass er seit langer Zeit für heilig gehalten wird; was spielt es schon für eine Rolle. Das Glück des Gläubigen liegt wohl darin, Kraft und Vertrauen aus einem solchen Ort zu ziehen; etwas was man anschliessend mit sich auf den Weg nimmt, wenn man vom Kloster Ostrog wieder hinunter ins Tal steigt.
Hier in Montenegro gibt es eine grosse Anzahl an Klöster. Die Landschaft hier mit ihren Hügeln, Bergen und versteckten Gewässern scheint für rückzugsliebende Klosterbrüder und Schwestern gerade zu bestens geeignet zu sein.
Als ich von Plusenje in Richtung Niksic lief traf ich ebenfalls auf ein Kloster; es war dies das Piva Kloster, gelegen an der Hauptstrasse etwa 200 Meter oberhalb des Piva-Stausees. Das Kloster stand nicht immer an jenem Platz. Bevor der Piva Fluss gestaut und weite Gebiete durch den künstlichen See überflutet wurden, befand sich das ebenfalls aus dem 17. Jahrhundert stammende Kloster in malerischer Lage am Fluss gelegen. Wegen des hydrologischen Bauprojekts wurde das Kloster Stein für Stein Hunderte Meter nach oben verlagert. Jahrhunderte alte Fresken wurden entfernt um später an die erneut zusammengesetzte Mauer wieder angefügt zu werden. Nun stelle ich mir vor, das gleiche Schiksal drohe der weihrauch geschwängerten Kapelle in Ostrog. Vielleicht könnte man durch einen Umzug sogar die Fresken renovieren, die "Heiligkeit" des Raumes ginge damit aber unwiederbringlich verloren.
So sind wohl einige Dinge definitiv an Orte gebunden und verlieren durch den Verlust dieser Orte ihre wahre Bedeutung.
Die Frage wäre nun: Liesse sich echter bosnischer Kaffee auch in der Schweiz ausschenken.
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