Donnerstag, 11. Februar 2010

Bosnische Geschichte, Teil 3

„Die Geschichte lehrt uns, dass Bosnien niemals von grösseren Mächten kontrolliert oder davor bewahrt werden musste, sich selbst zu zerstören. Vielmehr trifft das Gegenteil zu: Was Bosnien stets in Gefahr brachte, waren nicht interne Spannungen, sondern der Ehrgeiz stärkerer Mächte und benachbarter Staaten.“

Noel Malcolm, Bosnia- A short history

Mit den tödlichen Schüssen auf den Thronfolger Franz Fredinand am 28. Juni 1914 begann auch der Niedergang der Österreich-Ungarischen Macht in Bosnien-Hercegowina. Gavrilo Princip, der Attentäter, ein Student aus Serbien, wurde ein paar Monate später vor Gericht gestellt und begnadigt; er erhielt lebenslängliche Gefängnisstrafe. Ein volles Auskosten derselben blieb dem Jüngling aber erspart; noch während des Krieges starb er dort in Folge schwerer Krankheit.
In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an die Aussage eines Sarajeli, welcher mir erzählte, dass er früher als junger Mann zu Zeiten Titos in Sarajevo Stadtführungen angeboten habe. In jenen Jahren galt Gavrilo Princip noch als Nationalheld dem man gebührende Ehren entgegen zu bringen hatte. Dementsprechend tadelte er dann auch vor einer Gruppe ausländischer Besucher die damals saumässig schlechten Bedingungen in den Österreichisch-Ungarischen Gefängnissen an, weswegen der Held sterben musste. Diese Aussage stiess bei den ausländischen Besuchern auf Unverständnis und der Sadtführer unterliess solches Gerede zukünftig.

Nach dem Attentat gab es schwere Vergeltungsmassnahmen gegen die serbische Bevölkerung Bosnien-Hercegowinas und deren Land wurde häufig beschlagnahmt oder die Güter zerstört. Österreich-Ungarn beschuldigte Serbien der passiven Unterstützung am Attentat. Ende Juli wurde Serbien den Krieg erklärt. Mit der Kriegserklärung begann ein kompliziertes Bündnissystem sein Wirken und im Verlaufe der nächsten vier Jahre wurden zahlreiche Länder in den Strudel des Ersten Weltkrieges gerissen.

Die männlichen bosnischen Staatsbürger kämpften vorerst an der Seite der Österreichisch-Ungarischen Armee und galten bald als einige der besten Soldaten weit und breit. Die Gastgeber-Armee tat ihr mögliches um auch während der Kriegszeiten den religiösen Bedürfnissen der Muslime gerecht zu werden. Wenn immer möglich war es ihnen erlaubt, ihre fünf täglichen Gebete auszuführen und anstelle der üblichen Militärkappen erkannte man die muslimische Streitmacht bereits von weitem am Tragen des Fez; der türkischen Kopfbedeckung.

Der Krieg endete für Österreich-Ungarn mit einer bitteren Niederlage was dazu führte, dass bereits im Oktober 1918 ein neues Nationalkomitee für Bosnien-Hercegowina aufgestellt wurde. Im selben Jahr verliessen die letzten Beamten der alten Besatzungsmacht das Land und Ende des Jahres wurde ein neues Königreich ausgerufen, welches bis zum nächsten grossen Krieg über Bosnien-Hercegowina regieren sollte; das Königreich der Serben, Kroaten und Slovenen.
Für die muslimische Bevölkerung des Landes begann eine schwierige Zeit. Sie wurden immer ärmer, ihre Ländereien wurden beschlagnahmt und ihre Rechte zurück gebunden. Die vorher blühende Hauptstadt als kulturelles und administratives Zentrum wurde zunehmends margialisiert. Ein grosser Teil der muslimischen Bevölkerung wanderte in die Türkei oder in den Sanjak aus, ein von Muslimen bewohnter Landstrich in Serbien.

Im Jahre 1921 zählte Sarajevo 66'317 Einwohner.

Das Königreich der Serben, Kroaten und Slovenen überstand den Zweiten Weltkrieg nicht.
Am 6. April 1941 bombardierten deutsche Kampfflugzeuge die Stadt Sarajevo und nur zwei Tage später flohen der König und das Jugoslawische Parlament von Belgrad nach Sarajevo, von wo aus sie wenig später nach England emmigrierten.
Die Kapitulation des Jugoslawischen Königreiches hatte eine Besetzung des Landes durch die faschistische NDH Regierung des „unabhängigen“ Kroatiens zur Folge. In der Folge kam es zu Massenvernichtungen und Deportationen der bosnischen Juden und auch der Serben. Die Ustasa, so wurde die mit den deutschen kooperierende kroatische Armee genannt, baute zahlreiche Konzentrationslager, in welchen in den folgenden Jahren zehntausende Menschen den Tod fanden. Tausende Juden wurden in Sarajevo verhaftet und in die Konzentrationslager in ganz Europa verfrachtet.

Im Nationalmuseum in Banja Luka, Hauptstadt der Republika Srpska in Bosnien-Hercegowina, besuchte ich eine Ausstellung über die Zeit während dem Zweiten Weltkrieg. Schwerpunkt der Ausstellung war die Massenvernichtung der serbischen Bevölkerung durch die kroatische Ustasa. Beim Besuch dieser Ausstellung wurde mir bewusst, welche tiefen Wunden diese Zeit ins „Gedächtnis“ der serbischen Bevölkerung Jugoslawiens gerissen hatte. Genau diese Wunden brachen 1991 wieder auf, als der Krieg zwischen Serbien und Kroatien losbrach. Viele serbische Soldaten sahen darin wohl auch eine Vergeltung der erlittenen Übel zwischen 1941 und 1945.
Interessant fand ich, dass im Nationalmuseum in Banja Luka aber kein einziges Wort über den Krieg verloren wurde welcher zwischen 1992 und 1996 im Land herrschte.

Ist es noch zu wenig lang her? Ist es noch nicht Geschichte?

Am 6. April, genau vier Jahre nach der Bombardierung Sarajevos befreite die Partisanenarmee unter der Führung des Generals Tito die Stadt Sarajevo. Diesem Tag zu Ehren wurde das Ewige Feuer im Zentrum Sarajevos errichtet, eine Flamme die danach ständig brannte bis zur abermaligen Besetzung der Stadt durch serbische Truppen; dem Ewigen Feuer ging damals das Gas aus.
Im Jahre 1955 zählte Sarajevo bereits 167'000 Einwohner und bereits sechs Jahre später waren es über 213'000. Die Stadt erhielt ihre frühere Bedeutung zurück, nun im Staatenbund der Jugoslwischen Republiken.
In den 60er und 70er Jahren entstanden in Sarajevo zahlreiche Wohngegegnden, es wurden Hotels und Spitäler gebaut und die Infrastruktur der Stadt wurde modernisiert.

Die 14. Olympischen Winterspiele wurden 1984 in Sarajevo ausgetragen, eine Stadt welche damals bereits mehr als 400'000 Einwohner zählte. Mit diesem grossen Ereignis rückte Sarajevo in den Fokus der Weltgemeinschaft und wurde bekannt als Stadt des Friedens, der Liebe und der Prosperität. Die Bürger und Bürgerinnen dieser Stadt durften sich zu den glücklichen Bewohner einer blühenden Metropole Europas zählen. Der Zukunft schaute man voller Optimisimus entgegen.

Ich habe mit einem Mann, welcher heute fürs Rote Kreuz arbeitet, über jene Zeit gesprochen. Er besass damals ein grosse Gasfirma kurz "Hassan-Gas" genannt. Er beschäftigte über 100 Arbeiter und seine Firma machte dermassen hohe Gewinne, dass er mit seiner Familie regelmässig in der Welt herum gereist ist. In die Schweiz kam er zum Ski fahren, die Türkei besuchte er wenn er sich am Meer ausspannen wollte. Dann kam der Krieg. Hassan verlor alles! Seine Firma wurde buchstäblich dem Erdboden gleich gemacht, er rechnet mit einem Verlust von 5 Millionen Euro. Aber Hassan klagt nicht. Für ihn und seine Familie sei der Krieg glücklich vorüber gegangen, niemand musste in ihm sein Leben lassen.
Heute arbeitet Hassan fürs Rote Kreuz und dank Wohnungen die er vermietet ist es ihm wieder gelungen Ersparnisse anzulegen. Als ich mit ihm im Auto war hielt er bei einem Wohnblock kurz an, stieg aus und drückte einer alten Frau, welche gebückt im Hauseingang gestanden hatte, eine Geldnote in die Hand. Zurück im Wagen sagte er mir, dass er dieser Frau, welche seit dem Krieg ganz alleine in der Welt stehe, regelmässig Geld gebe. Heute seien es 50 Mark gewesen, zu viel hätte die Frau gesagt, aber Hassan hat ihr nur die schwache Hand über der Geldnote geschlossen.

Als der Krieg losbrach konnten die meisten Bewohner dieser Stadt nicht glauben, dass er lange dauern sollte. War es doch schlicht unmöglich, dass die Weltgemeinschaft, welche acht Jahre zuvor nur lobende und zukunftsträchtige Worte für Sarajevo übrig hatte, die Stadt und deren Bewohner im Stich lassen würde. Es würde etwas geschehen, es würde geholfen werden, man würde Sarajevo nicht einfach ihrem Schicksal überlassen.
Vier Jahre lang wurde Sarajevo von der serbischen Armee eingekesselt und ausgeblutet. Während dieser ganzen Zeit hatte die UNO eine Schutztruppe in Sarajevo stationiert. Doch es stellte sich bald heraus, dass diese ihrer Aufgabe nicht gewachsen war. Unter dem Auge der UNPROFOR Soldaten wurden täglich Zivilisten von Granaten oder Heckenschützen umgebracht. Während den vier Jahren war jeder Tag im Leben eines Sarajeli ein Überlebenskampf.
Nachdem im August 1995 eine Granate auf dem Marktplatz im Stadtzentrum 37 Menschen getötet hatte, schien es einmal mehr soweit, als hätte alles Reden und Verhandeln keinen Sinn gehabt. Die Bewohner der Stadt hatten es unterdessen längst schon aufgegeben, den Verhandlungen irgend eine Bedeutung beizumessen. Und doch; am 14. Dezember 1995 wurde in Dayton das Abkommen unterzeichnet, welches die Kämpfe endlich einstellte.




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen