„Dort, neben der alten Steinbrücke „des Seher-Cejaha“, irgend eines Bürgermeisters steht der dreieckige, maurische Prachtbau des Rathauses. Vor ihm bewegt sich zwischen Steinmauern die Miljacka wie schmelzendes, geläutertes Metall. Und alles ringsum wie aus dem Traume gerufen, wie von der Erinnerung an eine versunkene Zeit gesehen. Gleissende Kuppeln und die weissen Palmenschäfte der Minarets, hochragend über die im Gartengrün sich duckenden, flachdachigen Häuser mit rebenumsponnenen Erkern und dichtvergitterten Fenstern. Alles gedämpft, leisumschattet. Eine andere Seele spricht hier zu uns. Mag das moderne Sarajevo immerhin weiter drängen und wachsen, immer weiter hinaus ins niedere Land; dieses hier greift, das Lärmen des nichtigen Weltgetriebes fliehend, hoch hinauf an die Kämme des Felsenrundes, an dessen Riffen und Zacken das alte Festungsgemäuer hängt, gleich einem Hochzeitskranz über einem schönen Antlitz, das den Flammenschein kommender Zeiten wie eine Vision erblickt.“
Aus „Die Bosnische Staatsbahn“, 1908
Ich staune mit welch wunderschöner Sprache um die Jahrhundertwende das bereits seit 30 Jahren okkupierte Sarajevo beschrieben wird. In einem Buch mit alten Texten von k.u.k. Abgesandten und Bosnien-Reisenden finden sich zahlreiche solche Beschreibungen und zusammen mit den alten Fotografien versuche ich mir das damalige Bild der Stadt vor Augen zu führen. Die erwähnte „andere Seele“ dieser Stadt spricht noch heute zu uns. Auch wenn die Carsija, der türkische Markt, heute nicht mehr demjenigen gleicht, welcher die Österreichisch-Ungarischen Soldaten bei der Besetzung der Stadt 1878 vorgefunden haben, streichen in diesem Teil der Stadt noch immer die alten Geschichten über die ausgetretenen Pflastersteine.
Bis zur Okkupation galt Bosnien in Europa als ein Land, das irgendwo „hinten in der Türkei“ liegt. Der Einmarsch der zweiten fremden Armee und die in den folgenden Jahren eintretenden Reformen rückten das unbekannte Land ans bekannte Europa heran. Österreich-Ungarn veränderte das Land in einem rasend schnellen Tempo, dem die ursprünglichen Bewohner nicht gewachsen waren und die sie auch oft bewusst von sich wiesen. Beschaut man das Land in seinem heutige Zustand, so erscheint die Epoche zwischen 1878 und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges wie ein märchenhaftes Intermezzo. Die Prachtbauten, die Villen und die damals erstellten Verkehrswege sind dabei in den Wellen der Zeit zu versinken, vielleicht langsamer als sie entstanden sind, aber trotzdem unaufhaltbar.
Der „kranke Mann am Bosporus“, wie das langsam zerfallende Osmanische Reich auch genannt wurde, musste sich 1875 seines äussersten Teils entledigen. Überall in diesem riesigen Reich traten Spannungen auf und im erwähnten Jahr entluden sie sich in Unruhen, denen schliesslich der Aufstand der christlichen Bevölkerung gegen das von ihnen als drückend empfundene „osmanische Joch“ folgte. Im Juni 1878 wurde in Berlin die „Orientalische Frage“ auf einem Kongress der europäischen Mächte wie Folgt gelöst: Österreich-Ungarn erhielt das Mandat für die Okkupation Bosnien-Hercegowinas. Bis zur Vollständigen Anexion 1908 behielt aber der Sultan in Stambul formell die Oberhoheit über das Land. Eine komplizierte Situation, die nicht unblutig in die Wege geleitet werden konnte.
Mochten sich die Generäle der k.u.k Monarchie die Besetzung des Landes auch noch so leicht vorgestellt haben, die Realität sah freilich anders aus. In Sarajevo wurden sie nicht mit Blumen empfangen. Das noch rund 90.000 Mann starke türkische Heer leistete der ungenügend ausgerüsteten Armee zwar keinen erbitterten Widerstand, doch kam es zur Gegenwehr, wenn sie in ein Gefecht verwickelt wurden.
Der wahre Feind für die k.u.k. Truppen waren die aus der einheimischen Bevölkerung rekrutierten Kämpfer. In einer Art Guerillia-Krieg lieferten sie der fremden Armme erbitterten Widerstand. Vorallem in Sarajevo kam es zu heftigen Kämpfen. Eine Handvoll intellektueller und religiöser Führer gründeten kurz vor dem Einmarsch der feindlichen Truppen ein neues Nationales Komitee. Sie versuchten einen Widerstand zu organisieren, der jedoch bald einmal an der Übermacht der 300'000 Mann starken k.u.k Truppe zerbrach.
Aus „Die Bosnische Staatsbahn“, 1908
Ich staune mit welch wunderschöner Sprache um die Jahrhundertwende das bereits seit 30 Jahren okkupierte Sarajevo beschrieben wird. In einem Buch mit alten Texten von k.u.k. Abgesandten und Bosnien-Reisenden finden sich zahlreiche solche Beschreibungen und zusammen mit den alten Fotografien versuche ich mir das damalige Bild der Stadt vor Augen zu führen. Die erwähnte „andere Seele“ dieser Stadt spricht noch heute zu uns. Auch wenn die Carsija, der türkische Markt, heute nicht mehr demjenigen gleicht, welcher die Österreichisch-Ungarischen Soldaten bei der Besetzung der Stadt 1878 vorgefunden haben, streichen in diesem Teil der Stadt noch immer die alten Geschichten über die ausgetretenen Pflastersteine.
Bis zur Okkupation galt Bosnien in Europa als ein Land, das irgendwo „hinten in der Türkei“ liegt. Der Einmarsch der zweiten fremden Armee und die in den folgenden Jahren eintretenden Reformen rückten das unbekannte Land ans bekannte Europa heran. Österreich-Ungarn veränderte das Land in einem rasend schnellen Tempo, dem die ursprünglichen Bewohner nicht gewachsen waren und die sie auch oft bewusst von sich wiesen. Beschaut man das Land in seinem heutige Zustand, so erscheint die Epoche zwischen 1878 und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges wie ein märchenhaftes Intermezzo. Die Prachtbauten, die Villen und die damals erstellten Verkehrswege sind dabei in den Wellen der Zeit zu versinken, vielleicht langsamer als sie entstanden sind, aber trotzdem unaufhaltbar.
Der „kranke Mann am Bosporus“, wie das langsam zerfallende Osmanische Reich auch genannt wurde, musste sich 1875 seines äussersten Teils entledigen. Überall in diesem riesigen Reich traten Spannungen auf und im erwähnten Jahr entluden sie sich in Unruhen, denen schliesslich der Aufstand der christlichen Bevölkerung gegen das von ihnen als drückend empfundene „osmanische Joch“ folgte. Im Juni 1878 wurde in Berlin die „Orientalische Frage“ auf einem Kongress der europäischen Mächte wie Folgt gelöst: Österreich-Ungarn erhielt das Mandat für die Okkupation Bosnien-Hercegowinas. Bis zur Vollständigen Anexion 1908 behielt aber der Sultan in Stambul formell die Oberhoheit über das Land. Eine komplizierte Situation, die nicht unblutig in die Wege geleitet werden konnte.
Mochten sich die Generäle der k.u.k Monarchie die Besetzung des Landes auch noch so leicht vorgestellt haben, die Realität sah freilich anders aus. In Sarajevo wurden sie nicht mit Blumen empfangen. Das noch rund 90.000 Mann starke türkische Heer leistete der ungenügend ausgerüsteten Armee zwar keinen erbitterten Widerstand, doch kam es zur Gegenwehr, wenn sie in ein Gefecht verwickelt wurden.
Der wahre Feind für die k.u.k. Truppen waren die aus der einheimischen Bevölkerung rekrutierten Kämpfer. In einer Art Guerillia-Krieg lieferten sie der fremden Armme erbitterten Widerstand. Vorallem in Sarajevo kam es zu heftigen Kämpfen. Eine Handvoll intellektueller und religiöser Führer gründeten kurz vor dem Einmarsch der feindlichen Truppen ein neues Nationales Komitee. Sie versuchten einen Widerstand zu organisieren, der jedoch bald einmal an der Übermacht der 300'000 Mann starken k.u.k Truppe zerbrach.
Bekannt sind die Geschichten von Frauen und Kindern, die, aufgehetzt von religiösen Führern, die Minarette erkletterten und von oben Steine auf die Eindringlinge warfen. Der Feldzug dauerte ganze vier Monate und erst im Oktober 1878 wehte die k.u.k Fahne auf der Burg, hoch über dem türkischen Markt Sarajevos.
Von allen Bewohnern Sarajevos, hat sich für die Muslime damals die Situation am weitgreifendsten verändert. Sie verloren ihre führende Stellung in der Gesellschaft. Die folgenden Jahre erforderten von den Österreichisch-Ungarischen Behörden ein grosses Fingerspitzengefühl um die religiösen und gesellschaftlichen Gefühle nicht zu stark zu verletzen.
Bosnien-Hercegowina befand sich nach der Okkupation in der Situation eines Entwicklungslandes. In den letzten Jahrzehnten der osmanischen Herrschaft wurden zahlreiche Reformen vernachlässigt und so machten sich die österreichisch-ungarischen Beamten emsig an die Arbeit diese Missstände auszubessern. Unter der einheimischen Bevölkerung waren diese Beamten rasch dafür bekannt, dass sie ihre Arbeiten bis ins kleinste Detail genau planten und pflichtgemäss durchführten. So machten sie sich denn auch daran, eine Hauszählung durchzuführen und gaben den Befehl heraus, dass alle Häuser mit einer Hausnummer beschriftet werden mussten. Den einheimischen Bewohner Sarajevos kam das aber äusserst suspekt vor, hatten sie doch keine Ahnung wozu eine solche Nummerierung dienen sollte. So wurden dann die Hausnummern auch kurzerhand wieder von den Hausbewohnern entfernt. Ein Akt des passiven Widerstandes, der ebenfalls in anderen Orten des Landes praktiziert wurde. Zum Beispiel in Visegrad, wie es Ivo Andric im Buch "Die Brücke über die Drina" beschreibt. Auch die Einrichtung einer obligatorischen Schulpflicht war im neu besetzten Land mit grösseren Schwierigkeiten verbunden. Vor dem Einmarsch der k.u.k. Armee beschränkte sich die Schulbildung oftmals auf das auswändig Lernen von Koran-Zitaten. Nun sollten die muslimischen Eltern ihre Kinder auf einmal in eine fränkische Schule schicken, wo sie von raubeinigen Offizieren unterrichtet wurden.
Doch der Österreichisch-Ungarischen Verwaltung gelang in Bosnien-Hercegowina ein kleines Wunder. In knapp 40 Jahren modernisierten sie das Land dermassen, dass es zu einem grossen Anziehungspunkt für Reisende wurde. Ob auf dem Dampfschiff die Neretva hoch oder in läppischen 10 Stunden in einer bequemen Pferdekutsche; von der Adria herkommend liess sich via Metkovic das schöne Städtchen Mostar gut erreichen. Kaiser Franz-Joseph liess sich diese Gelegenheit nicht entgehen und besuchte 1910, die vor zwei Jahren annektierten „Neuen Reichstheile“. Mit erhabenem Gang überschritt er damals die mit kostbaren Teppichen ausgelegte „Stari Most“. Knapp 100 Jahre später besuchte der englische Thronfolger Prinz Charles die nach der vollständigen Zerstörung wiederaufgebaute Brücke in Mostar.
Doch der „Flammenschein kommender Zeiten“ traf 1914 in Sarajevo ein. Mit dem Attentat auf den Thronfolger Franz Ferdinand ging die Österreichisch-Ungarische Besetzung des Landes ihrem Ende entgegen.
Von allen Bewohnern Sarajevos, hat sich für die Muslime damals die Situation am weitgreifendsten verändert. Sie verloren ihre führende Stellung in der Gesellschaft. Die folgenden Jahre erforderten von den Österreichisch-Ungarischen Behörden ein grosses Fingerspitzengefühl um die religiösen und gesellschaftlichen Gefühle nicht zu stark zu verletzen.
Bosnien-Hercegowina befand sich nach der Okkupation in der Situation eines Entwicklungslandes. In den letzten Jahrzehnten der osmanischen Herrschaft wurden zahlreiche Reformen vernachlässigt und so machten sich die österreichisch-ungarischen Beamten emsig an die Arbeit diese Missstände auszubessern. Unter der einheimischen Bevölkerung waren diese Beamten rasch dafür bekannt, dass sie ihre Arbeiten bis ins kleinste Detail genau planten und pflichtgemäss durchführten. So machten sie sich denn auch daran, eine Hauszählung durchzuführen und gaben den Befehl heraus, dass alle Häuser mit einer Hausnummer beschriftet werden mussten. Den einheimischen Bewohner Sarajevos kam das aber äusserst suspekt vor, hatten sie doch keine Ahnung wozu eine solche Nummerierung dienen sollte. So wurden dann die Hausnummern auch kurzerhand wieder von den Hausbewohnern entfernt. Ein Akt des passiven Widerstandes, der ebenfalls in anderen Orten des Landes praktiziert wurde. Zum Beispiel in Visegrad, wie es Ivo Andric im Buch "Die Brücke über die Drina" beschreibt. Auch die Einrichtung einer obligatorischen Schulpflicht war im neu besetzten Land mit grösseren Schwierigkeiten verbunden. Vor dem Einmarsch der k.u.k. Armee beschränkte sich die Schulbildung oftmals auf das auswändig Lernen von Koran-Zitaten. Nun sollten die muslimischen Eltern ihre Kinder auf einmal in eine fränkische Schule schicken, wo sie von raubeinigen Offizieren unterrichtet wurden.
Doch der Österreichisch-Ungarischen Verwaltung gelang in Bosnien-Hercegowina ein kleines Wunder. In knapp 40 Jahren modernisierten sie das Land dermassen, dass es zu einem grossen Anziehungspunkt für Reisende wurde. Ob auf dem Dampfschiff die Neretva hoch oder in läppischen 10 Stunden in einer bequemen Pferdekutsche; von der Adria herkommend liess sich via Metkovic das schöne Städtchen Mostar gut erreichen. Kaiser Franz-Joseph liess sich diese Gelegenheit nicht entgehen und besuchte 1910, die vor zwei Jahren annektierten „Neuen Reichstheile“. Mit erhabenem Gang überschritt er damals die mit kostbaren Teppichen ausgelegte „Stari Most“. Knapp 100 Jahre später besuchte der englische Thronfolger Prinz Charles die nach der vollständigen Zerstörung wiederaufgebaute Brücke in Mostar.
Doch der „Flammenschein kommender Zeiten“ traf 1914 in Sarajevo ein. Mit dem Attentat auf den Thronfolger Franz Ferdinand ging die Österreichisch-Ungarische Besetzung des Landes ihrem Ende entgegen.
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