Bild: unterhalb des Učka, Istrien
„Travinik! Travinik!“ Er wiederholte das Wort halblaut vor sich hin wie den Namen einer geheimnisvollen Krankheit, wie eine magische Formel, die man sich einprägt und leicht vergisst. (...) Diese Formel enthält für ihn jetzt mehr, als er sich früher jemals unter der ganzen Welt hat vorstellen können. Das ist nicht ein zufälliges Wort, der dumpfe, kalte Name eines entlegenen Städtchens, das ist nicht Travnik, sondern für ihn ist das jetzt Paris und Jerusalem, die Hauptstadt der Welt und der Mittelpunkt des Lebens. So träumt man seit der Kindheit von grossen Städten und berühmten Schauplätzen, aber die wirklichen und entscheidenden Schlachten um die Behauptung der eigenen Persönlichkeit und die Verwirklichung alles dessen, was sie in sich birgt, werden dort ausgetragen, wohin das Schicksal den einzelnen wirft, auf Gott weiss welchem entlegenen, namenlosen Raum bar allen Glanzes und aller Schönheit, ohne Zeugen und ohne Richter.
Aus „Wesire und Konsuln“ von Ivo Andrić
Otok Korčula- Otok Australia
Als ich im Oktober letzten Jahres auf der Insel Korčula unterwegs war, ertönten Stimmen aus allen Olivenhainen, die Ernte war in vollem Gange und sie versprach reichlich zu werden. Manchmal schlich ich mich ungesehen an den Menschen vorbei, die auf den hohen Leitern standen oder sich daran machten die bitter-harten Oliven vom Boden aufzulesen. Immer wieder aber „musste“ ich stehen bleiben, denn die Menschen wollten mit mir sprechen, sich nach meinem Weg erkundigen, wissen weshalb ich zu Fuss unterwegs sei. Neugierig fragten sie mich woher ich käme und wohin ich ginge. Fast nie rückte ich mit der Wahrheit heraus, denn ich hatte die Erfahrung gemacht, dass sie auf die Leute einen seltsamen Eindruck machte. So nannte ich dann meistens als Ausgangspunkt einen grösseren Ort im Norden des Landes (Rijeka zum Beispiel) und gab als Ziel den südlichen Zipfel Kroatiens an, Dubrovnik.
Auf der Insel Korčula machte ich einmal mehr unter einem Olivenbaum Halt, wo ein älterer Mann mir ein Glas Bevanda angeboten hatte, Rotwein mit Wasser vermischt. Er sprach fliessend englisch, denn wie viele andere Menschen aus der Ortschaft Blato, war er in den 70er Jahren mit seinen Eltern nach Australien ausgewandert. Vor einigen Jahren ist er mit seiner eigenen Familie zurückgekehrt, hat sich auf Korčula ein Haus gebaut und pflegt nun die Olivenbäume, welche vielleicht von seinem Urgrossvater eigenhändig gepflanzt worden waren. So hat dieser Mann also der dalmatischen Insel Korčula während einigen Jahrzehnten wegen einer etwas grösseren Insel den Rücken gezeigt.
Als mir der Mann seine Geschichte erzählte, während dem wir im Schatten des Olivenbaumes die Bevanda tranken, versuchte ich mir vorszutellen, wie viel Mut und Vertrauen es damals wohl brauchte, nach diesem Australien auszuwandern. Was wusste man denn schon was einem dort erwarten würde. Mein Olivenbauer aus Korčula wurde von Australien nicht enttäuscht, denn er fand dort rasch eine Arbeit und lebte fortan in ziemlichen Wohlstand. Und trotzdem sitzt er jetzt im Herbst, zur Zeit der Olivenernte, wieder unter seinen Bäumen, an welche er in Australien oft gedacht hatte.
Tetovo, Mazedonien – Mala Učka, Istria
Anfang Oktober war ich in Istrien unterwegs und bestieg dort den Učka, den höchsten Berg der Halbinsel, von welchem aus, so wurde mir versichert, die Aussicht über weite Teile Istriens und auf die dalmatische Küste eine der schönst möglichen sei. Bei guten Wetter wäre dies bestimmt auch so gewesen, nur leider kam ich in immer dichter werdenden Nebel und als ich auf der Bergspitze angekommen war, konnte ich das istrische Tiefland unter mir nur gerade erahnen. Mir blieb nichts anderes übrig, als unverrichteter Sicht, den Abstieg auf der anderen Bergseite zu beginnen, den mittlerweile war es später Nachmittag geworden. In einem der Dörfer etwas unterhalb des Gipfels beschloss ich die Nacht zu verbringen und hielt Ausschau nach einem bewohnten Haus. Zwar bestand das Dorf aus mehreren Häusern, doch den Rauchfahnen nach zu urteilen, die gemächlich aus den Kaminen in den kühlen Herbsthimmel hochstiegen, waren nur gerade noch zwei Häuser bewohnt. Noch bevor ich an die Türe eines dieser Häuser klopfen konnte, sprach mich ein junger Mann an. Wie sich später herausstellte, beherschte er die kroatische Sprache nicht viel besser als ich damals, denn er war ein Albaner aus Mazedonien und erst seit zwei Monaten in Istrien wohnhaft. Er versicherte mir, dass es kein Problem sei, mein Zelt im Garten seines Arbeitgebers aufzustellen und so begann ich beim Eindunkeln, mein Nachtlager aufzubauen. Noch bevor ich damit fertig war, erschien der junge Mann wieder, in der Hand eine đezva und zwei Kaffetassen. Er gab mir zu verstehen, dass ich mich nicht weiter einrichten solle, da sein Chef wünsche, dass ich in seinem Haus übernachte.
So fand ich mich dann kurze Zeit später in einem der einfachen Steinhäuser wieder und erlebte zum ersten Mal auf meiner Reise, was albanische Gastfreundschaft bedeuten kann. Der Patron lebt seit 13 Jahren zusammen mit seiner Frau in diesem Dorf, wo er sich gleich nach der Ankunft 200 Schafe gekauft hat. Diese Tiere sind nun sein ganzes Vermögen, sein Besitz und seine Sicherheit. Nachdem die einheimische Bevölkerung Istriens das abgelegene Dorf verlassen hatte, baute er sich hier sein neues Leben auf. Ein Leben, so ganz anders als dasjenige, welches er zwischen 1974 und 1978 in Deutschland zugebracht hatte. Der junge Mann, welcher seit enigen Monaten als Schafhirte unterhalb des Uckas arbeitet, kommt ebenso wie das Ehepaar aus Tetovo in Mazedonien.
Zum Nachtessen gab es gefüllte Peperoni und frischen Schafskäse. Das Essen wurde vor dem Fernseher in der kahlen Wohnstube serviert, wobei nur gerade ich und der Patron auf dem Sofa Platz fanden. Seine Frau und der junge Hirte machten es sich auf leeren Kisten gemütlich. Nach dem Essen lernte man mich meine ersten Worte albanisch und ich übersetzte sie auf deutsch. Der Patron, welcher ein bisschen deutsch sprach, klärte mich auf, dass der junge Mann, der neben mir auf der Kiste sass, ohne Papiere von Mazedonien nach Istrien gekommen sei und dass er nun wohl für längere Zeit in diesem Dorf bleiben werde, denn viele andere Möglichkeiten gab es nicht.
Der junge Schafhirte ist gleich alt wie ich, er schläft in einem Zimmer ohne Einrichtung und er hat auf seinem Mobiltelefon albanische Musik gespeichert, welche er mir vor dem Einschlafen vorspielt. Er steht jeden Morgen um halb sechs auf, trinkt eine Schale Tee, nimmt seinen Rucksack und öffnet dann das Gehege, in welchem die Schafe die Nacht verbrachten.
Ich verliess zusammen mit ihm das Haus des Patrons, wir gaben uns in der Dämmerung die Hand und ich sah ihm noch einige Zeit nach, wie er mit seinen 200 Schafen langsam im Nebel verschwand.
Donnerstag, 25. Februar 2010
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