Montag, 15. Februar 2010

Max Frisch und seine Liebe zum Kopftuch


Die anderen Mädels aber, wenn sie ausgebackfischt haben, müssen nun den schwarzen Schleier anziehen und diese eigentümliche Kleidung, welche auch den Körper verbirgt. Solche Vermummung erhöht naturgemäss den Reiz, indem sie uns den Ergänzer und Erdichter weckt, der sich flugs eine Schönheit hinter jedes Tuch malt. Denn nie ist eine Mode weniger verführerisch und damit ihrem teuflischen Zwecke zuwiederlaufend, als wenn sie heikle Halsausschnitte und schamlose kurzröcke pflegt, so dass der Mann, der immer ein Träumer ist, dadurch bestohlen wird um alles Erahnen. Und Überschätzen. Wenn aber alles vermummt ist, so gibt sich der Mann mit dem wenigsten zufrieden;

dann läuft vielleicht ein Türkenkind
mit feinem Schleier durch den Wind;
und oh: ein bisschen Kinn!
Und ach: schon ist man hin. –

Indessen gibt es auch Türkinnen, deren Schönheit nicht bloss eine vermutliche ist und nicht eine ungewisse bleiben mag, so dass sie manchmal ganz dünne Schleier tragen. Dann schimmert das weisse Antlitz hindurch, und man sieht nun feuchte Lippen und den Weissglanz von Augen, und falls Sie ein Glückspilz sind, vielleicht auch ein elfenbeinernes Lächeln. Aber es haben diese Gesichter etwas Merkwürdiges: sie sind irgendwie in der Ferne, gleichsam nur erinnerungshaft oder wie in einem Helldunkelgemälde: So ist es: gemäldehaft sind sie; entrückt und entsinnlicht, fast feierlich und wie bei Madonnen: Mit Beglückung ohne Verliebtheit –
Max Frisch

Ausschnitt aus Wenn Frauen verhüllt sind – Brief aus Sarajewo

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