Montag, 6. Februar 2012

zeitlose Uhr





Mein Freund dan hat mir zu meinem letzten Geburtstag ein wunderschönes Geschenk gemacht. Es war dies eine Sammlung aller Texte und Textchen, die im Rahmen von gehcrew während der letzten zwei Jahre entstanden sind. Obwohl die Texte und die dazugehörigen Bilder zwar im Internet abrufbar sind, habe ich mich vor knapp einem Jahr dermassen über das Geschenk gefreut, dass ich es immer wieder in die Hände nehmen musste. Es ist ein Ringordnerbuch, A4 Grösse, mit grünem Einband und ohne Seitenzahlen. Es müssten aber um die 200 Seiten sein, so schätze ich. Jedes Bild, jeder Text in diesem Buch war mir wohlbekannt und hat beim erneuten Lesen ein Teil jener Gefühle in mir hochgerufen, die ich empfunde haben musste, als ich diese Texte schrieb. Es sind nicht die überragende literarische Qualitäten des Geschriebenen, nicht die brisanten Ideen oder Gedankengänge weswegen mir dieses Buch so viel bedeutet, es ist nur meine persönliche Verbundenheit mit jedem einzelnen Erlebnis aus diesem Buch. Einige davon habe ich mit anderen geteilt. Sei es mit Menschen unterwegs, sei es mit Menschen, die aus irgend einem Grund, irgendeinmal einen Text gelesen oder sich ein Bild angeschaut haben. Diese Momente von knapp zwei Jahren in einem Buch gebündelt vor mir zu haben, hat mich, ich kann es nicht anders sagen, tief gerührt. Dan versprach mir eine Fortsetzung zu meinem nächsten Geburtstag und ich meinte, das ich mein Bestes dafür geben würde.
Nun, bald ein Jahr später, wäre Band zwei meines Buches, würde man es wirklich erstellen, wohl keine 20 Seiten stark. Eine Hand voll Einträge innerhalb eines Jahres, daraus lässt sich kein zweiter Band erstellen. Mehrmals habe ich während des letzten Jahres versucht mich hinzusetzen und etwas davon in Worte zu fassen, was mir auf der Zunge lag. Und zwar auf jener Zunge, die nicht zum sprechen gemacht ist. Eine Zunge, welche Gedanken erst in Sprache verwandelt, wenn man sich für sich selbst Zeit nimmt, in sich hört und so tut, als könnte man für eine kurze Weile die Welt um sich herum vergessen. Die Welt um sich herum vergessen, das gelingt einem wahrscheinlich am einfachsten, wenn man nicht zu Hause ist, wenn man unterwegs ist und sich der Umgebung und den Menschen, die sie bewohnen, nicht verpflichtet fühlt. Natürlich ist es eine falsche Annahme wenn man davon ausgeht, dass ein Mensch, ist er nicht zu Hause, sich seiner Verantwortung gegenüber der Umwelt und den Menschen entziehen kann. Aber das Gefühl auf sich selbst gestellt zu sein und weitgehend nur sich selbst Rechenschaft zu schulden, kommt bestimmt auf Reisen eher auf als im Alltag.

Und was gibts Neues bei uns?

Jurij; an erster Stelle steht bestimmt unser Sohn Jurij. In etwas mehr als zwei Wochen wird er seinen ersten Geburtstag hier in Maribor feiern. Am 18. Februar 2012 wird er den 365. Tag hier bei uns beginnen. Dankbar sind Natasa und ich für die Tatsache, dass wir alle in diesem ersten Jahr viel Zeit miteinander verbringen konnten. Kurz vor Jurijs Geburt begann ich eine Arbeit als Deutschlehrer bei der Sprachschule Berlitz. Im Verlauf des letzten Jahres hatte ich selten mehr als 10 Stunden Arbeit pro Woche. Doch gemeinsam mit dem Geld für Natasas Mutterschaftsurlaub schafften wir es finanziell einigermassen über die Runden zu kommen. Dankbar war ich aber jedes Mal, wenn mich der Gemüsebauer wieder nach Golaten rief, weil ihm die Petruschkas oder der Blaukabis buchstäblich bis zum Hals standen. Dort verdiente ich den Gastarbeiter-Lohn, jenes Geld, das seinen echten Wert erst dann entfaltet, wenn man es ins Ausland exportiert. Zum Beispiel nach Slowenien. Dass die Arbeit auf dem Gemüsebetrieb mir nicht nur Geld sondern auch ein Haufen lehrreiche Momente beschert hat, habe ich bereits mehrmals erwähnt.

Als Deutschlehrer für dir Sprachschule Berlitz komme ich viel in der Umgebung herum. Ich unterrichte Gruppen und Privatschüler in Maribor und fahre auch immer wieder zu Firmen. Gerade diese Firmenbesuche sind für mich fantastisch. Dadurch erhalte ich einen interessanten Einblick in die slowenische Arbeitswelt. Sei es bei der Toilettenpapier Fabrik Paloma, beim Hydraulik-König Bijol oder in der IT-Abteilung eines Haushaltgeräte Herstellers. Dass ich mir langsam wie eine Audio-Kassette vorkomme kann ich dank diesen Erfahrungen guten Mutes zur Seite schieben.

Seit Januar 2012 arbeite ich auch zwei Tage in der Woche in einem Kinderdorf in Graz. Hier bin ich als Sozialpädagoge angestellt und kümmere mich um alles was im meist hitzigen Verlauf eines Tages so anfällt: Hausaufgaben durchpauken, Mittag- und Abendessen herrichten, Fussball spielen, Windeln wechseln, Kinder zu den Eltern fahren, Streite schlichten und den Fernseher leiser stellen... Ich lerne, dass ein „fesches Dirndl“ kein Schimpfwort ist, sondern ein braves, steirische Mädchen meint. Ich muss einsehen, dass eine „gleitende Jause“ in einem hektischen Alltag vielleicht die geeignetere Form des Mittagessens ist und dass auch halb gefrorenes Toastbrot essbar ist. Zudem weiss ich nun, dass tiefgefrorene „Hendl“, direkt in die heisse Bratpfanne geworfen, bereits nach 15 Minuten serviert werden können. Ich lerne einen Haufen wunderbarer Menschen kennen und werde in jeder Stunde, die ich im Kinderdorf verbringe um viele Erfahrungen (und der ersten weissen Haare) reicher.

Mit ganz herzlichen Grüssen aus dem tief verschneiten Maribor!