Sonntag, 28. Februar 2010

Visoko!


Bild: Kein Bau einer Pyramide aber ein Bau einer Kirche in Bosnien-Hercegowina

Ha, Visoko ist nicht irgend ein verschlafenes Provinznest im nordwesten Bosniens! Visoko war einmal vielleicht das Epizentrum einer mächtigen und grossartigen Kultur, die mit ihren Bauwerken Zeugnisse für die Ewigkeit abgelegt hat. Vielleicht wird genau dieses Visoko, wenn es nach den führenden Archäologen vor Ort geht, bald wieder in seinem alten Glanz erstrahlen; dann nämlich wenn man in mühsamer Kleinarbeit die drei kolossalen Pyramiden freigelegt hat und damit den Beweis erbringen kann, dass es sie auch wirklich gibt. Denn genau daran zweifeln die meisten Menschen heute und auch Wikipedia tut es.

Vor meinem Aufenthalt in Bosnien habe ich noch nie etwas von den Pyramiden von Visoko gehört. Vielleicht hätte ich im Mistery-Park des Herrn von Däniken besser hinschauen sollen, denn bestimmt hat er sie dort in irgend einem Zusammenhang erwähnt. Bestimmt verkörpere ich nicht die Regel, denn wahscheinlich gibt es viele Menschen in der Schweiz, denen die Visoko-Pyramiden ein Begriff sind.

In nächster Nähe des kleinen Städtchens Visoko, welches am Ende des 30 Kilometer langen Autobahnabschnittes liegt (des einzigen Autobahnabschnittes in ganz Bosnien) ragen drei pyramidenförmige Hügel mehr als 200 Meter hoch in den Himmel. Leider war dieser Himmel nebelverhangen und regnerisch als ich im Januar an diesen Hügeln vorbei gefahren bin. Trotzdem konnte ich die Form der Pyramiden genau erkennen und muss ehrlich sagen, dass ich über deren Exaktheit in der Form verblüfft war. Es sind tatsächlich Pyramiden, grasbewachsen und an einigen Stellen scheinen sie eingebrochen, alles in allem aber sind es Pyramiden.

Laut dem Autor und Geschäftsmann Semir Osmanagić sind die Pyramiden Zeugnisse einer um 12'000 v. Chr. exisitierenden Kultur. Im April 2006 begann ein internationales Team von Ärchäologen mit den Ausgrabungen an den Pyramiden, Ausgrabungen die selbstverständlich bis heute nicht abgeschlossen sind. Würde die Existenz der Pyramiden von Visoko gesichert werden, so gehörten sie wohl zu den bedeutendsten und ältesten erhaltenen Bauwerke aus menschlicher Hand. Die Pyramiden von Gyzeh erhielten ernsthafte Konkurenz.

Spricht man die Menschen in Bosnien-Hercegowina auf die Existenz der Pyramiden von Visoko an, so kann man die kuriosesten Erfahrungen machen. Da gab es zum Beispiel den ehemaligen Geschichts Lehrer, welcher nun im Despica Kuca Führungen anbietet. Auf die Pyramiden angesprochen legt er schnell den Zeigefinger auf seine Lippen und gab uns damit zu verstehen, dass dieses Thema hier und jetzt nicht angesprochen werden soll. Andere Menschen, auf die Pyramiden angesprochen, beginnen laut zu lachen und wischen mit einer einzigen Handbewegung die ganze Geschichte vom Tisch. Wieder andere sind von der Existenz der monumentalen Bauwerke überzeugt; so zum Beispiel ein Fahrer des Roten Kreuzes welcher mir versicherte, sollte ich im Sommer einmal nach Bosnien kommen, würde er mir eine Besichtigung des Pyramiden Inneren organisieren, denn er hat einen Freund, der als Portier bem Pyramideneingang arbeitet.

Wie auch immer es sein mag, ob die Pyramiden nun existieren oder nicht. Eins ist Visoko sicher: es besitzt die besten Čevapis im ganzen Land.

Samstag, 27. Februar 2010

Pohorje- Areh


Mit den von Marko selber gebauten Schlitten gings heute zügig über den letzten Schnee auf dem Pohorje, dem Hausberg von Maribor.

Bereist war der junge Vollmond zu sehen. Wenn ich mich nicht verzählt habe, dann ist es der achte seit dem Beginn der Reise.

Freitag, 26. Februar 2010

Visoko?

Bild: Slovenische Čevapis

Ich weiss nicht ob es stimmt, aber anscheinend heissen die Wiener Würstchen in Wien Frankfurter Würstchen und in Frankfurt kennt man die gleiche Fleischspeise unter dem Namen Wiener Würstchen. In Berlin wird man in einer Bäckerei fragend angeschaut, wünscht man einen süssen Berliner zur Nachspeise, denn dort heissen diese Dinger Krapfen.
In Sarajevo gibt es viele orientalische Restaurants mit klingenden Namen aber keines dieser Lokale wirbt schlicht und einfach mit dem Namen der Stadt: Sarajevo (wobei aber die Namen „Banja Luka“ oder „Višegrad“ durchaus tauglich sind).
In Slovenien kann man das. So zum Beispiel finden hungrige Menschen in Ljubljana ein Restaurant mit dem Namen „Stari Sarajevo“ (Altes Sarajevo). Dabei handelt es sich um eine wirklich gute Čevapčinica, in welcher ich auf dieser Reise meine erste Dekade bosnischer Würste vertilgt habe. Aber auch in Maribor gibt es ein wirklich schönes und gutes bosnisches Restuarant, welches sich ganz einfach „Sarajevo“ nennt. Auf der Speisekarte findet man im „Sarajevo“ Pitas aller Art, den bosnischen Eintopf und natürlich auch die Čevapis mit Lepinja und Kajmak.
In Sarajevo selber war ich oft beim Döner „Istanbul“ zu Gast, denn für mich gab es im „Istanbul“ die besten Döner in Sarajevo, handelt es sich hierbei doch um eine türkisch stämmige Speise. Demnach sollte es doch im „Sarajevo“ in Maribor auch die besten Čevapis geben; ich muss es noch ausprobieren.

Mit Fuad hege ich den Wunsch eines Tages eine Čevapčinica in Bern zu eröffnen. Sie dann nicht nach der Hauptstadt Bosnien-Hercegowinas zu benennen wird schwierig sein, in Anbetracht dessen was ich in Sarajevo aber vernommen habe unumgänglich: Die besten Čevapis gäbe es nämlich nicht in Sarajevo, sondern in einem beinahe unauffindbaren Grill Restaurant im kleinen Städtchen Visoko. Aber wer zum Teufel kennt schon Visoko?

Donnerstag, 25. Februar 2010

Schicksalshafte Orte oder Wo Menschen leben

Bild: unterhalb des Učka, Istrien

„Travinik! Travinik!“ Er wiederholte das Wort halblaut vor sich hin wie den Namen einer geheimnisvollen Krankheit, wie eine magische Formel, die man sich einprägt und leicht vergisst. (...) Diese Formel enthält für ihn jetzt mehr, als er sich früher jemals unter der ganzen Welt hat vorstellen können. Das ist nicht ein zufälliges Wort, der dumpfe, kalte Name eines entlegenen Städtchens, das ist nicht Travnik, sondern für ihn ist das jetzt Paris und Jerusalem, die Hauptstadt der Welt und der Mittelpunkt des Lebens. So träumt man seit der Kindheit von grossen Städten und berühmten Schauplätzen, aber die wirklichen und entscheidenden Schlachten um die Behauptung der eigenen Persönlichkeit und die Verwirklichung alles dessen, was sie in sich birgt, werden dort ausgetragen, wohin das Schicksal den einzelnen wirft, auf Gott weiss welchem entlegenen, namenlosen Raum bar allen Glanzes und aller Schönheit, ohne Zeugen und ohne Richter.

Aus „Wesire und Konsuln“ von Ivo Andrić

Otok Korčula- Otok Australia

Als ich im Oktober letzten Jahres auf der Insel Korčula unterwegs war, ertönten Stimmen aus allen Olivenhainen, die Ernte war in vollem Gange und sie versprach reichlich zu werden. Manchmal schlich ich mich ungesehen an den Menschen vorbei, die auf den hohen Leitern standen oder sich daran machten die bitter-harten Oliven vom Boden aufzulesen. Immer wieder aber „musste“ ich stehen bleiben, denn die Menschen wollten mit mir sprechen, sich nach meinem Weg erkundigen, wissen weshalb ich zu Fuss unterwegs sei. Neugierig fragten sie mich woher ich käme und wohin ich ginge. Fast nie rückte ich mit der Wahrheit heraus, denn ich hatte die Erfahrung gemacht, dass sie auf die Leute einen seltsamen Eindruck machte. So nannte ich dann meistens als Ausgangspunkt einen grösseren Ort im Norden des Landes (Rijeka zum Beispiel) und gab als Ziel den südlichen Zipfel Kroatiens an, Dubrovnik.
Auf der Insel Korčula machte ich einmal mehr unter einem Olivenbaum Halt, wo ein älterer Mann mir ein Glas Bevanda angeboten hatte, Rotwein mit Wasser vermischt. Er sprach fliessend englisch, denn wie viele andere Menschen aus der Ortschaft Blato, war er in den 70er Jahren mit seinen Eltern nach Australien ausgewandert. Vor einigen Jahren ist er mit seiner eigenen Familie zurückgekehrt, hat sich auf Korčula ein Haus gebaut und pflegt nun die Olivenbäume, welche vielleicht von seinem Urgrossvater eigenhändig gepflanzt worden waren. So hat dieser Mann also der dalmatischen Insel Korčula während einigen Jahrzehnten wegen einer etwas grösseren Insel den Rücken gezeigt.
Als mir der Mann seine Geschichte erzählte, während dem wir im Schatten des Olivenbaumes die Bevanda tranken, versuchte ich mir vorszutellen, wie viel Mut und Vertrauen es damals wohl brauchte, nach diesem Australien auszuwandern. Was wusste man denn schon was einem dort erwarten würde. Mein Olivenbauer aus Korčula wurde von Australien nicht enttäuscht, denn er fand dort rasch eine Arbeit und lebte fortan in ziemlichen Wohlstand. Und trotzdem sitzt er jetzt im Herbst, zur Zeit der Olivenernte, wieder unter seinen Bäumen, an welche er in Australien oft gedacht hatte.

Tetovo, Mazedonien – Mala Učka, Istria

Anfang Oktober war ich in Istrien unterwegs und bestieg dort den Učka, den höchsten Berg der Halbinsel, von welchem aus, so wurde mir versichert, die Aussicht über weite Teile Istriens und auf die dalmatische Küste eine der schönst möglichen sei. Bei guten Wetter wäre dies bestimmt auch so gewesen, nur leider kam ich in immer dichter werdenden Nebel und als ich auf der Bergspitze angekommen war, konnte ich das istrische Tiefland unter mir nur gerade erahnen. Mir blieb nichts anderes übrig, als unverrichteter Sicht, den Abstieg auf der anderen Bergseite zu beginnen, den mittlerweile war es später Nachmittag geworden. In einem der Dörfer etwas unterhalb des Gipfels beschloss ich die Nacht zu verbringen und hielt Ausschau nach einem bewohnten Haus. Zwar bestand das Dorf aus mehreren Häusern, doch den Rauchfahnen nach zu urteilen, die gemächlich aus den Kaminen in den kühlen Herbsthimmel hochstiegen, waren nur gerade noch zwei Häuser bewohnt. Noch bevor ich an die Türe eines dieser Häuser klopfen konnte, sprach mich ein junger Mann an. Wie sich später herausstellte, beherschte er die kroatische Sprache nicht viel besser als ich damals, denn er war ein Albaner aus Mazedonien und erst seit zwei Monaten in Istrien wohnhaft. Er versicherte mir, dass es kein Problem sei, mein Zelt im Garten seines Arbeitgebers aufzustellen und so begann ich beim Eindunkeln, mein Nachtlager aufzubauen. Noch bevor ich damit fertig war, erschien der junge Mann wieder, in der Hand eine đezva und zwei Kaffetassen. Er gab mir zu verstehen, dass ich mich nicht weiter einrichten solle, da sein Chef wünsche, dass ich in seinem Haus übernachte.
So fand ich mich dann kurze Zeit später in einem der einfachen Steinhäuser wieder und erlebte zum ersten Mal auf meiner Reise, was albanische Gastfreundschaft bedeuten kann. Der Patron lebt seit 13 Jahren zusammen mit seiner Frau in diesem Dorf, wo er sich gleich nach der Ankunft 200 Schafe gekauft hat. Diese Tiere sind nun sein ganzes Vermögen, sein Besitz und seine Sicherheit. Nachdem die einheimische Bevölkerung Istriens das abgelegene Dorf verlassen hatte, baute er sich hier sein neues Leben auf. Ein Leben, so ganz anders als dasjenige, welches er zwischen 1974 und 1978 in Deutschland zugebracht hatte. Der junge Mann, welcher seit enigen Monaten als Schafhirte unterhalb des Uckas arbeitet, kommt ebenso wie das Ehepaar aus Tetovo in Mazedonien.
Zum Nachtessen gab es gefüllte Peperoni und frischen Schafskäse. Das Essen wurde vor dem Fernseher in der kahlen Wohnstube serviert, wobei nur gerade ich und der Patron auf dem Sofa Platz fanden. Seine Frau und der junge Hirte machten es sich auf leeren Kisten gemütlich. Nach dem Essen lernte man mich meine ersten Worte albanisch und ich übersetzte sie auf deutsch. Der Patron, welcher ein bisschen deutsch sprach, klärte mich auf, dass der junge Mann, der neben mir auf der Kiste sass, ohne Papiere von Mazedonien nach Istrien gekommen sei und dass er nun wohl für längere Zeit in diesem Dorf bleiben werde, denn viele andere Möglichkeiten gab es nicht.
Der junge Schafhirte ist gleich alt wie ich, er schläft in einem Zimmer ohne Einrichtung und er hat auf seinem Mobiltelefon albanische Musik gespeichert, welche er mir vor dem Einschlafen vorspielt. Er steht jeden Morgen um halb sechs auf, trinkt eine Schale Tee, nimmt seinen Rucksack und öffnet dann das Gehege, in welchem die Schafe die Nacht verbrachten.
Ich verliess zusammen mit ihm das Haus des Patrons, wir gaben uns in der Dämmerung die Hand und ich sah ihm noch einige Zeit nach, wie er mit seinen 200 Schafen langsam im Nebel verschwand.

Mittwoch, 24. Februar 2010

Trimlini - Harmasmalom

Neues Kulturzentrum in Lendava/ Lendva

Mit Nataša war ich am letzten Wochenende in Trimlini, Harmasmalom, ein Dorf in nächster Nähe des kleinen Städtchens Lendava, an der kroatisch-ungarisch-österreichisch-slovenischen Grenze. Noch vor einigen Jahren wälzten sich alle Lastwagen, die Waren von Westeuropa nach Osteuropa transportierten auf der Hauptstrasse durchs kleine Zentrum Lendavas. Diese Strasse war der schnellste Verbindungsweg zwischen Spanien und Russland sowie allen Ländern, welche dazwischen liegen. Heute umfährt eine mehrspurige Autobahn das Städtchen, dank welcher wieder etwas mehr Ruhe eingekehrt ist. Als wir einmal bei einer Tankstelle vor Lendava Halt gemacht haben, kam es mir vor, als sei ich am Pier eines riesigen Hafens; da standen unzählige Laster aus ganz Europa und ich sah damals vielleicht zum ersten Mal ein Registrationsschild von Moldawien oder Russland.

Natašas Grossmutter, welche vor etwas mehr als einem Jahr gestorben ist, stammt aus Lendava und auch die Mutter Natašas ist dort aufgewachsen. Natašas Grossmutter, Anyuka, hatte ungarische Wurzeln und sprach, wie noch viele Menschen in Lendava, diese Sprache fliessend. So lernte auch Nataša bereits früh von Anyuka wie man sich auf ungarisch verständigt.

Das malerische Städtchen am Rand der grossen Ebene hinter dem Fluss Mura liegt zu Füssen zahlreicher Rebbergen, welche das Land wie mit einem Gürtel gegen das heutige Ungarn abschliessen. Das Königreich-Österreich Ungarn hielt das Gebiet Prekmurije, im Nordosten Sloveniens, Jahrzehnte lang unter ihrer Verwaltung. Erst nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, als Österreich-Ungarn zerbrach und die Versailler Verträge die Grenzen Europas neu definierten, entstand Slovenien mehr oder weniger in seiner heutigen Form, damals aber noch als Teil des Königreiches der Serben, Kroaten und Slovenen. Doch die ungarische Sprache und Kultur liessen sich nicht gänzlich durch einen Vertrag aus dem heutigen Slovenien vertreiben. Hartnäckig hält sich das kulturelle Erbe der Banffys und Ezterhazys in Schnabel des Landes fest. Dieser ungarischen Hartnäckigkeit habe ich es zu verdanken, kann ich heute im Banffy Zentrum in Lendava meine Ezterhazy Torte geniessen.

Lendava und einige angrenzende Gemeinden gelten heute in der Republik Slovenien als offziell zweisprachig. In der Schule werden beide Sprachen gleichwertig behandelt und alle Ortsschilder sind in ungarischer und slovenischer Sprache verfasst. So heisst dann auch das Dorf, in welchem Natašas Eltern wohnen, Trimlini – Harmasmalom, was soviel bedeutet wie „Drei Mühlen“. Will man als Lehrer in einer Schule in Lendava Arbeit finden, so ist es unerlässlich, dass man slovenisch und ungarisch spricht. Dass diese Politik gerade für slovenische Schulkinder nicht immer Freude hervorruft kann ich mir dank den Schilderungen Natašas gut vorstellen. Denn schliesslich wurden auch alle offiziellen Mitteilungen zweisprachig verlesen, was zur Folge hatte, dass nach einer langweiligen Maturitätsrede des Rektors auf slovenisch, die nachfolgende ungarische Übersetzung erst recht auf taube Ohren stiess. So stehen denn gerade junge Menschen, die in Lendava geblieben sind und dort leben und arbeiten, nicht immer in besten Beziehungen mit ihren ungarischen Mitbewohnern. Die ungarische Bevölkerung beanspruche viel Geld; Geld welches selbstvertändlicherweise aus slovenischen Steuergeldern stammt. Das interessante Kulturzentrum in Lendava führt zwei Veranstaltungsreihen durch, eine slovenische und eine ungarische. Zu ungarischen Veranstaltungen kommen oft Besucher aus den Ortschaften jenseits der Grenze, denn ein vergleichbares Angebot gibt es in nächster ungarischer Nähe nicht.

Es sind keine ethnischen Spannungen, die sich hier im slovenisch-ungarischen Grenzraum zusammen brauen, aber es sind Ansätze zu Konflikten, die auf solch überschaubarem Raum, bestimmt interessante Beobachtungen zuliessen. Denn schliesslich stellt sich doch überall die gleiche Frage: Wie gehen Menschen damit um, dass sie das Schicksal immer wieder an Orte spühlt, die sie sich selber nicht ausgewählt haben, welche sie sich dann aber versuchen so gut als möglich zu eigen zu machen. Dieser Versuch der Beschlagnahmung kann aber immer nur ein vorübergehender sein, denn in der Ferne bäumt sich jeweils bereits die nächste Welle auf, die neue Menschen an denselben schicksalshaften Ort verschlagen wird. Und so wechseln sich die Menschen ab, geben das Land und die kulturellen Einrichtungen von einer Hand in die andere und erzürnen sich nicht selten daran, dass ihre Vorgänger nicht vollständig die Wohnung verlassen und nur unsorgfältig den Boden gewischt haben.

Ehemaliger Tito dom in Lendava/ Lendva



Sonntag, 21. Februar 2010

Pintaš in "Moj Pes"







Heroj Pintaš

Hier in Slovenien wartete eine Ueberraschung auf mich. Pintaš ist nun in aller Munde, denn er ist ein bekannter Zeitungs-Hund geworden. Seine Reise von Bern nach Venedig ist nun nachzulesen in der Zeitschrift "Moj Pes" - "Mein Hund". Bereits munkelt man über Gespräche bezüglich der Filmrechte der Geschichte. Pintaš lässt dies vorläufig kalt; er geniesst die Ruhe in Lendava und träumt noch ab und zu von seinem grossen Abenteuer.


Freitag, 19. Februar 2010

Bosnischer Kaffee in Maribor


Beim Schreiben dieser Zeilen sitze ich in einem orientalischen Kaffee in der Altstadt von Maribor. Vor mir steht dasselbe bosnische Kaffeegeschirr, die kupferne Đezva und das süsse Ratluk, ein Gebäck welches traditionellerweise jedem Kaffee beigelegt wird. Bosnische Musik, diese melancholisch verspielten Melodien, tönen aus dem Lautsprecher. Auf dem Tisch die Getränkekarte; hier wird Sarajevsko Pivo ausgeschenkt. Zum Rauchen geht man raus auf die Terrasse, auf welcher Wolldecken über die Plastikstühle gelegt wurden, zum Schutz gegen die Kälte.

Eine ungewisse Wehmut begleitet mich seit der Abreise aus Sarajevo. Ich merke, wie ich mich an das Leben in Bosnien gewöhnt habe. An mein Leben in Bosnien, welches natürlich in riesigen Gegensätzen zu demjenigen vieler meiner Freunde dort steht. Hier in Slovenien tauche ich erneut in eine andere Welt ein, eine Welt die mir eigentlich näher steht. Aber doch mag sie mich nun zu befremden (dabei ist Slovenien noch nicht die Schweiz). Bosnien liegt eigentlich nicht weit von Slovenien entfernt und doch trennen sich Welten zwischen diesen beiden Ländern.

Ich erinnere mich, mit welch grossen Augen Nataša und ich Mitte März in Mostar eingetroffen sind. Auf einmal fanden wir uns nach über fünf Monaten Reise in einer orientalischen Welt wieder. Doch das orientalische an dieser Welt liegt nicht an der Existenz von Moscheen oder türkischen Kaffees. Die Besonderheit liegt im Wesen der Menschen dort, an ihrem Lebensstil, der ihnen vielleicht aus geschichtlichen und heute wirtschaftlichen Gründen augezwungen scheint, den sie aber mit einer wunderbaren Selbstverständlichkeit und Einfachheit praktizieren.

Es mag zu simpel klingen, aber vielleicht ist Bosnien wirklich ein Land, dessen Bewohner bereits zu oft zu viel verloren haben, als dass sie sich heute unsinnig viele Fragen über ihr Leben stülpen wollen.
Man muss aufpassen, dass man nicht einer blöden Nostalgie verfällt, hat man nach längerem Aufenthalt Bosnien verlassen. Aber ich denke, dass man dieses Land vielleicht noch mehr lieben lernt, wenn man es sich bei einem türkischen Kaffee in Slovenien wieder in Gedanken ruft.

Donnerstag, 18. Februar 2010

Sarajevo - Maribor

Es ist nicht leicht sich von Sarajevo zu verabschieden, denn bei jeden Abschied heisst es; aber so kannst du nicht gehen, komm morgen nochmals, dann gehen wir Kaffee trinken.

Und doch sass ich dann plötzlich gegen Mitternacht im Warteraum von Zidani Most in Slovenien und wurde mir gewahr, wie viele Sachen sich in den letzten drei Monaten angehäuft haben.

Nur noch knapp schaff ich es alles alleine zu tragen. So werde ich in Zukunft auf der Hut sein müssen, will ich nicht die Bewegungsfreiheit einbüssen.

Herzliche Grüsse von Nataša und Pintaš, dem slovenischen Teil der Gehcrew!

Volvo-Oldtimer-Team


Es ist selten, dass Schweizer nach Bosnien fahren um sich dort ein Auto zu kaufen. Und doch; mein Bruder und Yeboaa haben genau dies gemacht und sind nun stolze Besitzer eines Volvos Jahrgang 1976.
Alles hat damit angefangen, dass die Beiden zu Weihnachten ein Bild des wunderschönen Autos in die Finger bekamen. Als ich ihnen sagte, dass mir der Besitzer desselben mitgeteilt hatte, er würde das Auto gerne verkaufen, nahm der Handel seinen Lauf.
So reisten sie kurzerhand per Zug und Bus nach Sarajevo und nahmen das Fahrzeug unter die Lupe. Aber es gab kein langes Fackeln; sie schlossen den Oldie sofort ins Herz und bereiteten ihn darauf vor, dass er bald eine Heimreise antreten werde. Es gilt nämlich zu sagen, dass dasselbe Auto vor 34 Jahren in Möriken, Kanton Zürich, gekauft worden war. Geschichten, wie sie das Leben halt so schreibt, brachten es nach Bosnien-Hercegowina. Die Strassen Sarajevos kennt der Volvo nun so gut wie jeder einheimische Yugo.
Gestern sind wir schliesslich alle drei gemeinsam von Sarajevo weggefahren. Mit Stefan, Yeboaa und dem Volvo gings für mich bis Zagreb. Von dort per Zug weiter nach Maribor zu Nataša.
Vidimo se Sarajevo!

Dienstag, 16. Februar 2010

Ziegenbrücke



Wenn man der Milijacka entlang geht und ihr nordwärts aus der Stadt hinaus folgt, verschwinden die Häuser Sarajevos rasch hinter den Hügelkuppen, welchen der Stadt wie riesenhafte Wächter vorstehen. Man gelangt zuerst auf die Ambassadoren-Allee, ein Fussweg entlang des Flusses, welcher bestückt ist mit jungen Bäumen, die persönlich von den Botschaftern aus aller Welt gepflanzt wurden. Auf dem Hügel rechterhand zieht sich die Hauptstrasse entlang, die Sarajevo mit Pale verbindet und über welche man auch auf den Berg Jahorina gelangen kann. Irgend einmal ändert diese Strasse aber ihre Richtung und fortan findet man sich auf dem Fussweg in völliger Ruhe wieder; die Geräusche aus der Stadt und von der Strasse her hinter sich lassend nimmt man endlich das Rauschen der Milijacka wahr.

Bereits einmal bin ich diesen Weg gegangen. Es war im November mit Natasa und Amela. Unser Ziel war die Ziegenbrücke und wir genossen spazierend einen wunderschönen, verspäteten Herbsttag. Die Ziegenbrücke liegt knapp eine halbe Stunde von der Bascarsija, dem alten Stadtzentrum Sarajevos, entfernt. Es ist eine der ältesten Brücken Sarajevos aus osmanischer Zeit. Diese Osmanischen Bauherren verstanden es tatsächlich einen Brückenschlag zu mehr als einem rein zweckmässigen Unterfangen zu machen. Das Verbinden der Ufer verstand sich immer auch als Kunstwerk. Auch die Ziegenbrücke ist ein solches Kunstwerk; in einem Bogen spannt sie sich über die knapp 20 Meter breite Milijacka. Im mächtigen Brückenbogen wurden zwei grosse Kreise ausgespart, welches der Brücke eine grosse Eleganz verleiht.

Bei der Ziegenbrücke gibt es eine Informationstafel, mit welcher ich zu meiner Freude erfahren habe, dass diese Brücke ein letztes Bauwerk war, welches den Karawanenzüge, die aus Istanbul herkamen ermöglichte, wohlbehalten in Sarajevo anzukommen. Hier, und nur hier, zogen die Händler, Wesire, Bauern, Krieger und Reisende hinüber, die sich aus dem Herzen des Osmanischen Reiches aufgemacht hatten nach Sarajevo und vielleicht noch weiter nach Dubrovnik zu ziehen. Auf dieser Brücke haben sich tausende von Pferdehufen eingeschlagen und mancher der sie überquerte mochte wohl erleichtert aufgeatmet haben; war doch eine erschwehrliche Reise bald an einem vorläufigen Ende angekommen. Mit etwas Glück erwartete einen in Sarajevo die Wohltat eines türkischen Bades, guten Essens und die Freude in bekannte Gesichter zu blicken. Bei wichtigen Besuchen liessen es sich die Sarajeli nicht nehmen, ihre Gäste persönlich bei der Ziegenbrücke abzuholen. Dergestalt wurden die ersten Händel wahrscheinlich bereits abgeschlossen, bevor die Karawane die Stadttore des Vratnik passiert hatte.

Im November, die Geschichte dieser Brücke lesend, wurde ich mir gewahr, dass ich mich auf dem richtigen Weg befinde. Ohne es geplant zu haben erreichte ich unversehrt die Hauptstrasse nach Istanbul. Eine Hauptstrasse, die es so nicht mehr gibt, die aber, davon bin ich überzeugt, jene Reisende weiterhin sicher durchs Land geleitet, welche versuchen auf ihr zu gehen.

Vor zwei Tagen, kurz vor meiner Abreise aus Sarajevo nach Slovenien, besuchte ich die Ziegenbrücke erneut. Sie war schneebedeckt und die Milijacka unter ihr floss gemächlich in Richtung Sarajevo. Noch einmal überquerte ich sie und beschaute mir auf der anderen Seite den steilen Weg, welcher sich stetig dem Berg entlang zieht. Man hat mir gesagt, dass dieser Weg irgendwo aufhört, vielleicht bereits nach Pale, und dass es fortan unsicher sei, ob ein solcher Weg Richtung Visegrad weiter existiere.
Als ich mich vor zwei Tagen auf den Rückweg nach Sarajevo gemacht hatte, schaute ich mich nochmals nach der Ziegenbrücke um und liess ihr durch meine Gedanken Folgendes sagen: Sollten wir uns in einem Frühjahr wieder sehen, wenn der Schnee geschmolzen ist, werde ich erneut über dich hinwandern und den Berg hochsteigen um dich irgendwann später von weit oben nochmals zu schauen, ich werde mich von dir erst dann verabschieden und dich und Sarajevo hinter mir lassen.

Montag, 15. Februar 2010

Bilder aus Sarajevo

Es gibt ein neues Album auf der Bildgalerie: Sarajevo im Februar

Max Frisch und seine Liebe zum Kopftuch


Die anderen Mädels aber, wenn sie ausgebackfischt haben, müssen nun den schwarzen Schleier anziehen und diese eigentümliche Kleidung, welche auch den Körper verbirgt. Solche Vermummung erhöht naturgemäss den Reiz, indem sie uns den Ergänzer und Erdichter weckt, der sich flugs eine Schönheit hinter jedes Tuch malt. Denn nie ist eine Mode weniger verführerisch und damit ihrem teuflischen Zwecke zuwiederlaufend, als wenn sie heikle Halsausschnitte und schamlose kurzröcke pflegt, so dass der Mann, der immer ein Träumer ist, dadurch bestohlen wird um alles Erahnen. Und Überschätzen. Wenn aber alles vermummt ist, so gibt sich der Mann mit dem wenigsten zufrieden;

dann läuft vielleicht ein Türkenkind
mit feinem Schleier durch den Wind;
und oh: ein bisschen Kinn!
Und ach: schon ist man hin. –

Indessen gibt es auch Türkinnen, deren Schönheit nicht bloss eine vermutliche ist und nicht eine ungewisse bleiben mag, so dass sie manchmal ganz dünne Schleier tragen. Dann schimmert das weisse Antlitz hindurch, und man sieht nun feuchte Lippen und den Weissglanz von Augen, und falls Sie ein Glückspilz sind, vielleicht auch ein elfenbeinernes Lächeln. Aber es haben diese Gesichter etwas Merkwürdiges: sie sind irgendwie in der Ferne, gleichsam nur erinnerungshaft oder wie in einem Helldunkelgemälde: So ist es: gemäldehaft sind sie; entrückt und entsinnlicht, fast feierlich und wie bei Madonnen: Mit Beglückung ohne Verliebtheit –
Max Frisch

Ausschnitt aus Wenn Frauen verhüllt sind – Brief aus Sarajewo

Freitag, 12. Februar 2010

Gedanken

Arbeiten in Bosnien

Die sicherste Art, in Bonien später einmal eine Arbeit zu haben, ist es wohl, sich zum Iman ausbilden zu lassen. Ich kenne einen jungen Mann, der dies im Moment macht. Gerade war er zu Prüfungzwecken drei Tage lang in Sarajevo. Zuvor besuchte er während drei Jahren eine Medresa, eine Koranschule, in Mostar. Dies ist eine Art Gymnasium und nebst dem Studium der arabischen Sprache, der Geschichte des Korans und seines Propheten Mohammed werden dort so ziemlich alle anderen Fächer auch gelernt. Nach dem Studium wird er in irgend einem Dorf oder am Rande einer kleinen Stadt die Gläubigen fünf Mal pro Tag zum Gebet aufrufen. Er ist dann verantwortlich für eine kleine Djamija, eine Moschee.

Sein Bruder ist vor zwei Wochen nach Sarajevo gekommen um nach fünf Jahren Arbeitslosigkeit in der Hercegowina eine Anstellung in einem Call-Center anzunehmen. Vor einer Woche hat er seinen Arbeitsvertrag unterschrieben, vor zwei Tagen wurde ihm gekündigt. Gründe wurden keine angegeben. Anscheinend hat sich die Firma verschätzt und kann doch nicht so viele Call-Agenten brauchen wie sie kurzerhand eingestellt hatte.

In Bosnien ist es verdammt schwer eine Arbeit zu finden, aber es ist sehr leicht diese zu
verlieren.

Ghazi Husrev-Bey Moschee

Es ist vorgekommen, dass Fuad und ich gegen Abend, wenn es dunkel wurde, in unserer Wohnung sassen und uns einen Film anschauten. Auf einmal rief der Muezzin von der Djamija unserem Haus gleich gegenüber, zum letzten Gebet des Tages auf. Nun stürmte Fuad ins Badezimmer um sich Hände, Füsse, Ohren, Nase und Stirn zu waschen. Er träufelte etwas Parfum auf seinen Pulli und eilte in die Moschee. Dort versammeln sich fünf Mal pro Tag ein paar Menschen zum Gebet. Als Fuad zum ersten Mal die Moschee in der Logavina besuchte, stellte er sich der eingesessenen Runde vor und meinte er werde in den nächsten zwei Wochen wohl ab und zu mal aufkreuzen, er wohne zur Zeit hier, inshalla.

Fuad besuchte seither weit öfters die Ferhadija, die Ghazi Husrev-Bey Moschee im Herzen der Bascarsija. Sie ist die berühmteste und wohl auch schönste Moschee in Sarajevo. Voller Begeisterung schilderte er mir die Eindrücke von seinem ersten Besuch dort während des Abendgebetes. Jeden Abend ist die Moschee bis auf die letzten Plätze ausgefüllt und in schier endlosen Reihen neigen sich die Körper der Männer und Frauen im Rhythmus des Gebetes Richtung Mekka.

Zusammen mit Fuad besuchte auch ich eines vormittags die Ferhadija. Zu diesem Zeitpunkt war sie, ausser der für die Reinigung der vielen Teppiche zuständigen Frau, leer. Mit grossen Augen bestaunte ich die wunderschöne Kuppel, die elegante Architektur und die mir so völlig unverständlichen arabischen Schriftzeichen an den Wänden. Ich überlegte mir wie verloren ich wohl in der Menge der betenden Muslime wäre, würde ich mich während des Abendgebetes unauffällig unter sie mischen. Aber es reizt mich sehr.

Und wie wäre es Fuad zu mute, eine Sonntagspredigt in der Münsterkirche beizuwohnen?



Donnerstag, 11. Februar 2010

Bosnische Geschichte, Teil 3

„Die Geschichte lehrt uns, dass Bosnien niemals von grösseren Mächten kontrolliert oder davor bewahrt werden musste, sich selbst zu zerstören. Vielmehr trifft das Gegenteil zu: Was Bosnien stets in Gefahr brachte, waren nicht interne Spannungen, sondern der Ehrgeiz stärkerer Mächte und benachbarter Staaten.“

Noel Malcolm, Bosnia- A short history

Mit den tödlichen Schüssen auf den Thronfolger Franz Fredinand am 28. Juni 1914 begann auch der Niedergang der Österreich-Ungarischen Macht in Bosnien-Hercegowina. Gavrilo Princip, der Attentäter, ein Student aus Serbien, wurde ein paar Monate später vor Gericht gestellt und begnadigt; er erhielt lebenslängliche Gefängnisstrafe. Ein volles Auskosten derselben blieb dem Jüngling aber erspart; noch während des Krieges starb er dort in Folge schwerer Krankheit.
In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an die Aussage eines Sarajeli, welcher mir erzählte, dass er früher als junger Mann zu Zeiten Titos in Sarajevo Stadtführungen angeboten habe. In jenen Jahren galt Gavrilo Princip noch als Nationalheld dem man gebührende Ehren entgegen zu bringen hatte. Dementsprechend tadelte er dann auch vor einer Gruppe ausländischer Besucher die damals saumässig schlechten Bedingungen in den Österreichisch-Ungarischen Gefängnissen an, weswegen der Held sterben musste. Diese Aussage stiess bei den ausländischen Besuchern auf Unverständnis und der Sadtführer unterliess solches Gerede zukünftig.

Nach dem Attentat gab es schwere Vergeltungsmassnahmen gegen die serbische Bevölkerung Bosnien-Hercegowinas und deren Land wurde häufig beschlagnahmt oder die Güter zerstört. Österreich-Ungarn beschuldigte Serbien der passiven Unterstützung am Attentat. Ende Juli wurde Serbien den Krieg erklärt. Mit der Kriegserklärung begann ein kompliziertes Bündnissystem sein Wirken und im Verlaufe der nächsten vier Jahre wurden zahlreiche Länder in den Strudel des Ersten Weltkrieges gerissen.

Die männlichen bosnischen Staatsbürger kämpften vorerst an der Seite der Österreichisch-Ungarischen Armee und galten bald als einige der besten Soldaten weit und breit. Die Gastgeber-Armee tat ihr mögliches um auch während der Kriegszeiten den religiösen Bedürfnissen der Muslime gerecht zu werden. Wenn immer möglich war es ihnen erlaubt, ihre fünf täglichen Gebete auszuführen und anstelle der üblichen Militärkappen erkannte man die muslimische Streitmacht bereits von weitem am Tragen des Fez; der türkischen Kopfbedeckung.

Der Krieg endete für Österreich-Ungarn mit einer bitteren Niederlage was dazu führte, dass bereits im Oktober 1918 ein neues Nationalkomitee für Bosnien-Hercegowina aufgestellt wurde. Im selben Jahr verliessen die letzten Beamten der alten Besatzungsmacht das Land und Ende des Jahres wurde ein neues Königreich ausgerufen, welches bis zum nächsten grossen Krieg über Bosnien-Hercegowina regieren sollte; das Königreich der Serben, Kroaten und Slovenen.
Für die muslimische Bevölkerung des Landes begann eine schwierige Zeit. Sie wurden immer ärmer, ihre Ländereien wurden beschlagnahmt und ihre Rechte zurück gebunden. Die vorher blühende Hauptstadt als kulturelles und administratives Zentrum wurde zunehmends margialisiert. Ein grosser Teil der muslimischen Bevölkerung wanderte in die Türkei oder in den Sanjak aus, ein von Muslimen bewohnter Landstrich in Serbien.

Im Jahre 1921 zählte Sarajevo 66'317 Einwohner.

Das Königreich der Serben, Kroaten und Slovenen überstand den Zweiten Weltkrieg nicht.
Am 6. April 1941 bombardierten deutsche Kampfflugzeuge die Stadt Sarajevo und nur zwei Tage später flohen der König und das Jugoslawische Parlament von Belgrad nach Sarajevo, von wo aus sie wenig später nach England emmigrierten.
Die Kapitulation des Jugoslawischen Königreiches hatte eine Besetzung des Landes durch die faschistische NDH Regierung des „unabhängigen“ Kroatiens zur Folge. In der Folge kam es zu Massenvernichtungen und Deportationen der bosnischen Juden und auch der Serben. Die Ustasa, so wurde die mit den deutschen kooperierende kroatische Armee genannt, baute zahlreiche Konzentrationslager, in welchen in den folgenden Jahren zehntausende Menschen den Tod fanden. Tausende Juden wurden in Sarajevo verhaftet und in die Konzentrationslager in ganz Europa verfrachtet.

Im Nationalmuseum in Banja Luka, Hauptstadt der Republika Srpska in Bosnien-Hercegowina, besuchte ich eine Ausstellung über die Zeit während dem Zweiten Weltkrieg. Schwerpunkt der Ausstellung war die Massenvernichtung der serbischen Bevölkerung durch die kroatische Ustasa. Beim Besuch dieser Ausstellung wurde mir bewusst, welche tiefen Wunden diese Zeit ins „Gedächtnis“ der serbischen Bevölkerung Jugoslawiens gerissen hatte. Genau diese Wunden brachen 1991 wieder auf, als der Krieg zwischen Serbien und Kroatien losbrach. Viele serbische Soldaten sahen darin wohl auch eine Vergeltung der erlittenen Übel zwischen 1941 und 1945.
Interessant fand ich, dass im Nationalmuseum in Banja Luka aber kein einziges Wort über den Krieg verloren wurde welcher zwischen 1992 und 1996 im Land herrschte.

Ist es noch zu wenig lang her? Ist es noch nicht Geschichte?

Am 6. April, genau vier Jahre nach der Bombardierung Sarajevos befreite die Partisanenarmee unter der Führung des Generals Tito die Stadt Sarajevo. Diesem Tag zu Ehren wurde das Ewige Feuer im Zentrum Sarajevos errichtet, eine Flamme die danach ständig brannte bis zur abermaligen Besetzung der Stadt durch serbische Truppen; dem Ewigen Feuer ging damals das Gas aus.
Im Jahre 1955 zählte Sarajevo bereits 167'000 Einwohner und bereits sechs Jahre später waren es über 213'000. Die Stadt erhielt ihre frühere Bedeutung zurück, nun im Staatenbund der Jugoslwischen Republiken.
In den 60er und 70er Jahren entstanden in Sarajevo zahlreiche Wohngegegnden, es wurden Hotels und Spitäler gebaut und die Infrastruktur der Stadt wurde modernisiert.

Die 14. Olympischen Winterspiele wurden 1984 in Sarajevo ausgetragen, eine Stadt welche damals bereits mehr als 400'000 Einwohner zählte. Mit diesem grossen Ereignis rückte Sarajevo in den Fokus der Weltgemeinschaft und wurde bekannt als Stadt des Friedens, der Liebe und der Prosperität. Die Bürger und Bürgerinnen dieser Stadt durften sich zu den glücklichen Bewohner einer blühenden Metropole Europas zählen. Der Zukunft schaute man voller Optimisimus entgegen.

Ich habe mit einem Mann, welcher heute fürs Rote Kreuz arbeitet, über jene Zeit gesprochen. Er besass damals ein grosse Gasfirma kurz "Hassan-Gas" genannt. Er beschäftigte über 100 Arbeiter und seine Firma machte dermassen hohe Gewinne, dass er mit seiner Familie regelmässig in der Welt herum gereist ist. In die Schweiz kam er zum Ski fahren, die Türkei besuchte er wenn er sich am Meer ausspannen wollte. Dann kam der Krieg. Hassan verlor alles! Seine Firma wurde buchstäblich dem Erdboden gleich gemacht, er rechnet mit einem Verlust von 5 Millionen Euro. Aber Hassan klagt nicht. Für ihn und seine Familie sei der Krieg glücklich vorüber gegangen, niemand musste in ihm sein Leben lassen.
Heute arbeitet Hassan fürs Rote Kreuz und dank Wohnungen die er vermietet ist es ihm wieder gelungen Ersparnisse anzulegen. Als ich mit ihm im Auto war hielt er bei einem Wohnblock kurz an, stieg aus und drückte einer alten Frau, welche gebückt im Hauseingang gestanden hatte, eine Geldnote in die Hand. Zurück im Wagen sagte er mir, dass er dieser Frau, welche seit dem Krieg ganz alleine in der Welt stehe, regelmässig Geld gebe. Heute seien es 50 Mark gewesen, zu viel hätte die Frau gesagt, aber Hassan hat ihr nur die schwache Hand über der Geldnote geschlossen.

Als der Krieg losbrach konnten die meisten Bewohner dieser Stadt nicht glauben, dass er lange dauern sollte. War es doch schlicht unmöglich, dass die Weltgemeinschaft, welche acht Jahre zuvor nur lobende und zukunftsträchtige Worte für Sarajevo übrig hatte, die Stadt und deren Bewohner im Stich lassen würde. Es würde etwas geschehen, es würde geholfen werden, man würde Sarajevo nicht einfach ihrem Schicksal überlassen.
Vier Jahre lang wurde Sarajevo von der serbischen Armee eingekesselt und ausgeblutet. Während dieser ganzen Zeit hatte die UNO eine Schutztruppe in Sarajevo stationiert. Doch es stellte sich bald heraus, dass diese ihrer Aufgabe nicht gewachsen war. Unter dem Auge der UNPROFOR Soldaten wurden täglich Zivilisten von Granaten oder Heckenschützen umgebracht. Während den vier Jahren war jeder Tag im Leben eines Sarajeli ein Überlebenskampf.
Nachdem im August 1995 eine Granate auf dem Marktplatz im Stadtzentrum 37 Menschen getötet hatte, schien es einmal mehr soweit, als hätte alles Reden und Verhandeln keinen Sinn gehabt. Die Bewohner der Stadt hatten es unterdessen längst schon aufgegeben, den Verhandlungen irgend eine Bedeutung beizumessen. Und doch; am 14. Dezember 1995 wurde in Dayton das Abkommen unterzeichnet, welches die Kämpfe endlich einstellte.




Montag, 8. Februar 2010

Pionirka Titi



Auf dem Bild: Meine Draga als Titos Pionierin 1985
An diesem historischen Tag musste sie folgendes Bekenntnis ablegen:

Deutsch:

Heute, wo ich Pionier werde
Gebe ich mein pionierisches Wort
Dass ich sehr brav lernen werde und arbeiten
Dass ich meine Eltern und ältere Leute respektieren werde
Dass ich ein treuer und ehrlicherer Freund sein werde
Der hält, was er wersprochen hat.

Dass ich auf den Weg der Besten gehen werde
Dass ich berühmte Arbeit der Partisanen und der
Nach vorwärts schauenenden Leute
respektieren werde
Welche die Freiheit und Ruhe wollen.

Dass ich mein Heimat lieben werde
Und alle ihre brüderlichen Nationen,
Dass ich neue Leben bauen werde
Die auf Glückseeligkeit und Freude ruhen.

Slovensko:

Danes ko postajam pionir
dajem častno pionirsko besedo,
da se bom pridno učil in delal,
da bom spoštoval starše in starejše ljudi,
da bom zvest in iskren tovariš,
ki izpolnjuje dano besedo.

Da bom hodil po poti najboljših,
cenil slavno delo partizanov in naprednih ljudi sveta,
ki želijo svobodo in mir.

Da bom ljubil svojo domovino,
vse njene bratske narode,
da bom gradil novo življenje
polno radosti in sreče.

Schon und lustig, gaeu? Und so lebe ich, hehe :)

Umarmung, N

Sonntag, 7. Februar 2010

Revolutionsmuseum



Das Revolutionsmuseum hat geöffnet. Widersprüchliche Meldungen vernahm ich in den letzten Monaten über dieses Gebäude, das als angeschossener Kubus, in modernster Weise neben dem aus austro-ungarischer Zeit stammenden Nationalmuseum steht; einen Steinwurf weit von der neuen amerikanischen Botschaft entfernt. Die letztere gleicht einer mittelalterlichen Festung, mit meterdicken Mauern, Burggräben und Stallungen für die teuren Autos. Die rumänische Botschaft kommt im Vergleich einem Bedienstetenhäuschen gleich; doch das zu erwähnen ist ja müssig.

Im Revolutionsmuseum gibt es keinen Strom und keine Heizung. Das Dach hat ein Loch, es tropft auf den glatten Steinboden und die Wasserlache gefriert dort zu einer kleinen Eisbahn. Im oberen Stockwerk gibt es wenige Fenster, demenstpreched wenig Licht und es ist also kein Leichtes die Texte zu lesen und sich die zahlreichen Bilder über die Belagerung Sarajevos anzuschauen. Alles in ein Dämmerlicht und in eine durchdringende Kälte getaucht, wie sie nur in steinigen, seit langer Zeit ungeheizten Gemäuern vorkommt. Im Erdgeschoss befindet sich eine Ausstellung über Tito; den Partisanen, das Staatsoberhaupt und den Freund aller Jugoslawen. Mit Vergnügen schaute ich mir die kunstvoll verzierten Stäbe der Tito-Staffette an.

Bereits bei seinem ersten Geburtstag nach dem Zweiten Weltkrieg, am 25. Mai 1945, wurden Tito 10 solche Stäbe ausgehändigt. Symbol der sechs Republiken Yugoslawiens: Serbien, Montenegros, Kroatien, Sloevnien, Macedonien, Bosnien-Hercegowina. Ein weiterer Stab kam damals noch aus dem heutigen Trieste.
Seit 1945 wurde der 25. Mai, Titos Geburtstag, in Jugoslawien als der Tag der Jugend gefeiert. Wochen zuvor begann jeweils die Staffette, welche die Läufer durch alle Republiken und vorbei an allen wichtigen Kriegsschauplätzen führte. Titos Geburtstag schliesslich war ein Volksfest sondergleichen, denn Tito war damals gleichbedeutend mit Jugoslawien.

Natasa hat mir erzählt, wie sie als Pionierin der Tito-Jugend als kleines Mädchen im Monat Mai am Strassenrand gestanden ist, Blumen in den Händen haltend, die sie dem edlen Läufer entgegenwerfen sollte. Sie beschrieb mir wie nervös sie damals war und welche Angst sie verspürte nicht alles genau richtig zu machen. Aber sie erinnert sich auch noch an das grossartige Gefühl Teil eines wichtigen, historischen Moments gewesen zu sein. Als Mädchen hatte sie freilich keine Ahnung weshalb dieser Läufer nun durch Slovenien gerannt kam und wohin er gehen wollte. Was spielte das auch für eine Rolle; war man doch Teil des farbenprächtigen Blumenmeeres.

Zum letzten Mal erhielt Tito 1979 in Belgrad den Stab ausgehändigt. 1980 startete die Staffette zu ihrer üblichen Tour, wurde aber am 4. Mai unterbrochen, als der Tod des Joseph Broz Tito bekannt wurde. In der Ausstellung sind Bilder von weinenden Menschen auf der Strasse zu sehen, sogar eine ganze Fussballmannschaft bricht im Stadion in Tränen aus. Noch während den nächsten acht Jahren versuchte man den Tag der Jugend am Leben zu erhalten, doch mit dem Tod Titos verlor auch dieser immer mehr an Bedeutung. Nur wenige Jahre nach der offiziellen Abschaffung des einst wichtigtsen Volskfestes Jugoslawiens, brach Titos Staatsgebilde auseinander.

Die Staffeten-Stäbe stehen nun in verschiedenen Museen in den ehemaligen Republiken Jugoslawiens. Die meisten im Nationalmuseum in Belgrad und enige eben auch im eisig kalten Revolutionsmuseum in Sarajevo.




Freitag, 5. Februar 2010

Wie weiter?

Zwei Mal war ich diese Woche im Sekretariat des Roten Kreuzes um zusammen mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Organisation einen kleinen Bericht über die Küche auf dem Kosevsko Brdo zu verfassen. Es geht darum, einen Spendenbeitrag aus der Schweiz zu erhalten, damit ein neuer Kühlraum eingerichtet werden kann. Dieser ist dringend notwendig, denn momentan muss gegen viel Entgeld bereits eingekauftes Fleisch beim Lieferanten „Dayton“ gelagert werden.

Vom Sekretariat des Roten Kreuzes wurde ein Schreiben verfasst über die allgemeine sozial-wirtschaftliche Situation in Sarajevo. Es stellte sich heraus, dass allein im letzten Jahr die Anzahl an Menschen, die von der Rot-Kreuz Küche „abhängen“, jeden Monat merklich gestiegen ist. Heute sind es knapp 1700 Menschen, Tendenz steigend. In ganz Sarajevo benötigen 9000 Menschen täglich das Angebot einer Volksküche.

Ich habe nun auch erfahren, dass jene Menschen, die dieses Angebot nutzen können, tatsächlich auf der untersten wirtschaftlichen Stufe stehen. Sie besitzen keine zwei Euro um damit ihr tägliches Essen zu kaufen.
Man benötigt viele Papiere und Nachweise, damit man dazu berechtigt ist in einer Volksküche Essen zu beziehen. Man muss wirklich sehr arm sein um dort sein tägliches Brot zu finden. Meine bekannte Familie im Bistrik gehört zum Beispiel nicht zu jenen Menschen; trotzdem ist ihr Kühlschrank immer auffallend leer und trotzdem sitzen sie manchmal frierend in ihrer Wohnung, da sie kein Geld für Holz mehr haben.

Die Einrichtung einer „Armenküche“ wurde nach dem Krieg als vorübergehendes Mittel zur Krisenbewältigung vorgestellt. Sie sollte dazu dienen, den mittellosen Menschen in der Zeit beizustehen, in welcher sich das Land neu aufbauen und organisieren muss. Sobald als möglich sollten aber geeignetere Mittel zur Verfügung stehen und die Leute sollten sich ihr Brot auch wieder selber verdienen können.

Die Realität sieht heute ganz anders aus. Das Land kommt aus der wirtschaftlichen Krise nicht hinaus, es fehlt an Infrastruktur, an sinnvollen und nachhaltigen Investitionen und vorallem auch an Hoffnung. In Bosnien liegt die Arbeitslosigkeit bei durchschnittlich 70 Prozent.



Mittwoch, 3. Februar 2010

Heinrich Heine; ein bosnischer Liedermacher


Der Asra

Täglich ging die wunderschöne
Sultanstochter auf und nieder
Um die Abendzeit am Springbrunn,
Wo die weissen Wasser plätschern.

Täglich stand der junge Sklave
Um die Abendzeit am Springbrunn,
Wo die weissen Wasser plätschern;
Täglich ward er bleich und bleicher.

Eines Abends trat die Fürstin
Auf ihn zu mit raschen Worten:
„Deinen Namen will ich wissen,
deine Heimat, deine Sippschaft!“

Und der Sklave sprach: „Ich heisse
Mohamet, ich bin aus Yemmen,
Und mein Stamm sind jene Asra,
Welche sterben, wenn sie lieben.“

Check this out:http://www.youtube.com/watch?v=d7KE5Qrwfmg

Dienstag, 2. Februar 2010

Bosnische Geschichte Teil 2


„Dort, neben der alten Steinbrücke „des Seher-Cejaha“, irgend eines Bürgermeisters steht der dreieckige, maurische Prachtbau des Rathauses. Vor ihm bewegt sich zwischen Steinmauern die Miljacka wie schmelzendes, geläutertes Metall. Und alles ringsum wie aus dem Traume gerufen, wie von der Erinnerung an eine versunkene Zeit gesehen. Gleissende Kuppeln und die weissen Palmenschäfte der Minarets, hochragend über die im Gartengrün sich duckenden, flachdachigen Häuser mit rebenumsponnenen Erkern und dichtvergitterten Fenstern. Alles gedämpft, leisumschattet. Eine andere Seele spricht hier zu uns. Mag das moderne Sarajevo immerhin weiter drängen und wachsen, immer weiter hinaus ins niedere Land; dieses hier greift, das Lärmen des nichtigen Weltgetriebes fliehend, hoch hinauf an die Kämme des Felsenrundes, an dessen Riffen und Zacken das alte Festungsgemäuer hängt, gleich einem Hochzeitskranz über einem schönen Antlitz, das den Flammenschein kommender Zeiten wie eine Vision erblickt.“

Aus „Die Bosnische Staatsbahn“, 1908

Ich staune mit welch wunderschöner Sprache um die Jahrhundertwende das bereits seit 30 Jahren okkupierte Sarajevo beschrieben wird. In einem Buch mit alten Texten von k.u.k. Abgesandten und Bosnien-Reisenden finden sich zahlreiche solche Beschreibungen und zusammen mit den alten Fotografien versuche ich mir das damalige Bild der Stadt vor Augen zu führen. Die erwähnte „andere Seele“ dieser Stadt spricht noch heute zu uns. Auch wenn die Carsija, der türkische Markt, heute nicht mehr demjenigen gleicht, welcher die Österreichisch-Ungarischen Soldaten bei der Besetzung der Stadt 1878 vorgefunden haben, streichen in diesem Teil der Stadt noch immer die alten Geschichten über die ausgetretenen Pflastersteine.

Bis zur Okkupation galt Bosnien in Europa als ein Land, das irgendwo „hinten in der Türkei“ liegt. Der Einmarsch der zweiten fremden Armee und die in den folgenden Jahren eintretenden Reformen rückten das unbekannte Land ans bekannte Europa heran. Österreich-Ungarn veränderte das Land in einem rasend schnellen Tempo, dem die ursprünglichen Bewohner nicht gewachsen waren und die sie auch oft bewusst von sich wiesen. Beschaut man das Land in seinem heutige Zustand, so erscheint die Epoche zwischen 1878 und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges wie ein märchenhaftes Intermezzo. Die Prachtbauten, die Villen und die damals erstellten Verkehrswege sind dabei in den Wellen der Zeit zu versinken, vielleicht langsamer als sie entstanden sind, aber trotzdem unaufhaltbar.

Der „kranke Mann am Bosporus“, wie das langsam zerfallende Osmanische Reich auch genannt wurde, musste sich 1875 seines äussersten Teils entledigen. Überall in diesem riesigen Reich traten Spannungen auf und im erwähnten Jahr entluden sie sich in Unruhen, denen schliesslich der Aufstand der christlichen Bevölkerung gegen das von ihnen als drückend empfundene „osmanische Joch“ folgte. Im Juni 1878 wurde in Berlin die „Orientalische Frage“ auf einem Kongress der europäischen Mächte wie Folgt gelöst: Österreich-Ungarn erhielt das Mandat für die Okkupation Bosnien-Hercegowinas. Bis zur Vollständigen Anexion 1908 behielt aber der Sultan in Stambul formell die Oberhoheit über das Land. Eine komplizierte Situation, die nicht unblutig in die Wege geleitet werden konnte.

Mochten sich die Generäle der k.u.k Monarchie die Besetzung des Landes auch noch so leicht vorgestellt haben, die Realität sah freilich anders aus. In Sarajevo wurden sie nicht mit Blumen empfangen. Das noch rund 90.000 Mann starke türkische Heer leistete der ungenügend ausgerüsteten Armee zwar keinen erbitterten Widerstand, doch kam es zur Gegenwehr, wenn sie in ein Gefecht verwickelt wurden.

Der wahre Feind für die k.u.k. Truppen waren die aus der einheimischen Bevölkerung rekrutierten Kämpfer. In einer Art Guerillia-Krieg lieferten sie der fremden Armme erbitterten Widerstand. Vorallem in Sarajevo kam es zu heftigen Kämpfen. Eine Handvoll intellektueller und religiöser Führer gründeten kurz vor dem Einmarsch der feindlichen Truppen ein neues Nationales Komitee. Sie versuchten einen Widerstand zu organisieren, der jedoch bald einmal an der Übermacht der 300'000 Mann starken k.u.k Truppe zerbrach.



Bekannt sind die Geschichten von Frauen und Kindern, die, aufgehetzt von religiösen Führern, die Minarette erkletterten und von oben Steine auf die Eindringlinge warfen. Der Feldzug dauerte ganze vier Monate und erst im Oktober 1878 wehte die k.u.k Fahne auf der Burg, hoch über dem türkischen Markt Sarajevos.

Von allen Bewohnern Sarajevos, hat sich für die Muslime damals die Situation am weitgreifendsten verändert. Sie verloren ihre führende Stellung in der Gesellschaft. Die folgenden Jahre erforderten von den Österreichisch-Ungarischen Behörden ein grosses Fingerspitzengefühl um die religiösen und gesellschaftlichen Gefühle nicht zu stark zu verletzen.

Bosnien-Hercegowina befand sich nach der Okkupation in der Situation eines Entwicklungslandes. In den letzten Jahrzehnten der osmanischen Herrschaft wurden zahlreiche Reformen vernachlässigt und so machten sich die österreichisch-ungarischen Beamten emsig an die Arbeit diese Missstände auszubessern. Unter der einheimischen Bevölkerung waren diese Beamten rasch dafür bekannt, dass sie ihre Arbeiten bis ins kleinste Detail genau planten und pflichtgemäss durchführten. So machten sie sich denn auch daran, eine Hauszählung durchzuführen und gaben den Befehl heraus, dass alle Häuser mit einer Hausnummer beschriftet werden mussten. Den einheimischen Bewohner Sarajevos kam das aber äusserst suspekt vor, hatten sie doch keine Ahnung wozu eine solche Nummerierung dienen sollte. So wurden dann die Hausnummern auch kurzerhand wieder von den Hausbewohnern entfernt. Ein Akt des passiven Widerstandes, der ebenfalls in anderen Orten des Landes praktiziert wurde. Zum Beispiel in Visegrad, wie es Ivo Andric im Buch "Die Brücke über die Drina" beschreibt. Auch die Einrichtung einer obligatorischen Schulpflicht war im neu besetzten Land mit grösseren Schwierigkeiten verbunden. Vor dem Einmarsch der k.u.k. Armee beschränkte sich die Schulbildung oftmals auf das auswändig Lernen von Koran-Zitaten. Nun sollten die muslimischen Eltern ihre Kinder auf einmal in eine fränkische Schule schicken, wo sie von raubeinigen Offizieren unterrichtet wurden.

Doch der Österreichisch-Ungarischen Verwaltung gelang in Bosnien-Hercegowina ein kleines Wunder. In knapp 40 Jahren modernisierten sie das Land dermassen, dass es zu einem grossen Anziehungspunkt für Reisende wurde. Ob auf dem Dampfschiff die Neretva hoch oder in läppischen 10 Stunden in einer bequemen Pferdekutsche; von der Adria herkommend liess sich via Metkovic das schöne Städtchen Mostar gut erreichen. Kaiser Franz-Joseph liess sich diese Gelegenheit nicht entgehen und besuchte 1910, die vor zwei Jahren annektierten „Neuen Reichstheile“. Mit erhabenem Gang überschritt er damals die mit kostbaren Teppichen ausgelegte „Stari Most“. Knapp 100 Jahre später besuchte der englische Thronfolger Prinz Charles die nach der vollständigen Zerstörung wiederaufgebaute Brücke in Mostar.

Doch der „Flammenschein kommender Zeiten“ traf 1914 in Sarajevo ein. Mit dem Attentat auf den Thronfolger Franz Ferdinand ging die Österreichisch-Ungarische Besetzung des Landes ihrem Ende entgegen.

Montag, 1. Februar 2010

Ewiges Feuer



Es ist ein Treffpunkt im Zentrum Sarajevos.

Hier, genau zwischen der Bašcaršija und der Einkaufsstrasse im Zentrum brennt seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein Feuer. Nach der Befreiung der Stadt 1945 wurde an dieser Stelle ein Denkmal für die Opfer des Krieges geschaffen. Damals wurde auch die Flamme entzündet, welche bis zum nächsten Krieg 1992 ohne Unterbruch brannte. Zwischen 1992 und 1995, als die Stadt vollständig belagert wurde, gab es kein Gas mehr und die Flamme erlosch.

Im Winter ist es ein Ort, an welchem zu jeder Tages- und Nachtzeit sich Menschen die Hände wärmen. Man trifft sich bei der ewigen Flamme (vatre), denn sollte sich eine Partei verspäten, kann die andere zwischenzeitlich am Feuer stehen.

Ich und Fuad schlossen beim ewigen Feuer die ewige Freundschaft. Fuad teilt seit einer Woche die Wohnung mit mir. Er kommt aus Livno und hat nun in Sarajevo eine Arbeit gefunden. Da er jedoch von der Altstadt aus eine Stunde Fahrzeit zur Arbeit braucht, wird er wohl bald eine andere Bleibe finden müssen.