Dienstag, 4. Oktober 2011

Figge Müli

Auf Sloweniens Grossbaustellen wird noch immer zu einem grossen Teil in der vormals jugoslawischen Landessprache gesprochen. Viele Bauarbeiter kommen aus Bosnien-Hercegowina.

Sie hantierte mit den Putzeimern im Erdgeschoss des Bürogebäudes in welchem auch die Berlitz Schule untergebracht ist. Es war acht Uhr abends und ich hatte eben meine wenigen Deutschstunden an diesem Tag beendet. Ich kannte sie bereits. Wir hatten einige Male zuvor miteinander gesprochen. Ich wusste dass sie deutsch sprach, denn vor zwei Wochen hat sie mich gefragt, ob der Begriff Wachfrau auf deutsch existiere. Dies sei nämlich eigentlich ihr Beruf. Ich wusste damals keine Antwort. Wachmann war mir ein Begriff. Aber Wachfrau? Erst zwei Tage später, als ich sie im Bürogebäude wiedertraf, sagte ich ihr, dass sie wahrscheinlich mit Wachpersonal am besten durchkomme. Wachpersonal also, okay, vielen Dank.
Sie ist eine Frau vielleicht Mitte Vierzig. Eigentlich habe sie zwei Berufe meinte sie gestern zu mir: Lebensmittelingenieurin und seit wenigen Monaten eben Wachpersonal. Für den letzteren Beruf habe sie eine Ausbildung besucht, die sie Tausend Euro gekostet habe. Dort lernte man Sicherheistanlagen zu bedienen, Alarmanlagen aus und einzuschalten. Ich stelle mir vor, dass dieser Berruf etwas Ähnliches ist wie bei uns in der Schweiz die Securitas. Doch irgendwie habe ich so ein ganz anderes Bild der Securitas vor mir. Ich sehe einen älteren, hochgewachsenen Herrn mit grossem Schnurrbart vor mir, der mit Tausend Schlüsseln und einer übergrossen Taschenlampe bestückt, die er im Notfall auch als Schlagstock einsetzen kann, nächtlich durch leere Bürogebäude wandelt. Aber ob es das hier in Slowenien auch gibt? Als Wachpersonal hat die Frau, die nun eben als Putzfrau arbeitet, keine Arbeit gefunden. Der Gedanke plagt sie, ob sie nicht vielleicht die Tausend Euro in den Sand gesteckt hat. Doch jeden Abend schalte sie zu Hause den Computer ein und suche nach Arbeitsstellen. Für Dutzende habe sie sich bereits beworben.
Als ich im letzten Februar hier in Maribor endlich eine Arbeit gefunden hatte, war ich darob überglücklich. Es schien fast wie ein kleines Wunder, sprach ich doch damals noch viel weniger slowenisch als heute. Doch ehrlich gesagt machte sich bald darauf auch etwas Ernüchterung breit. Denn mit den acht Euro, die ich pro Lektion verdiene, schaffte ich es monatlich auf Durchschnittlich 400 bis 500 Euro. Zudem verbrachte ich in den ersten Monaten pro Woche rund fünf Stunden im Auto um zu meinen Studenten zu fahren. Die Fahrkosten konnte ich zwar in Rechnung stellen, die Zeit jedoch nicht. Bald werde ich wohl ein anständiges Pensum kriegen und so vielleicht an die dreissig Stunden pro Woche arbeiten können. Ich werde dann knapp Tausend Euro pro Monat verdienen und damit einen überdurschnittlich hohes Gehalt haben!
Die Putzfrau im Bürogebäude, in welchem auch die Sprachschule Berlitz untergebracht ist, verdient netto 700 Euro. Ob sie alleine mit diesem Monatslohn durchkommen muss weiss ich nicht. Ich weiss aber, dass in Slowenien sehr viele Menschen von Monatslöhnen unter Tausend Euro leben müssen und leben können. Bedenkt man, dass eine durchschnittliche Wohnung gut und gerne 300 bis 400 Euro kostet und dass die Lebensmittel im Supermarkt in etwa gleich teuer sind wie diejenigen in der Schweiz, so gleicht dies einem kleinen Wunder. Dies bestätigte mir auch ein Sozialarbeiter aus der Stadt Ruse, mit welchem ich kürzlich ein längeres Gespräch geführt habe. Für ihn ist es ein Wunder, wie Menschen hier in Slowenien mit diesen kleinen Monatslöhnen durchkommen.
Eines ist sicher: Sparen liegt unter diesen Umständen nicht drin. Das Wachpersonal, das Lebensmitteltechnik studiert hat und nun als Putzmannschaft in Bürogebäuden arbeitet, hat am Ende des Monats bestimmt nichts auf der Seite. Man lebt, man überlebt bestimmt sehr gut, aber viel mehr auch nicht.
Sparen. Das ist etwas was den Menschen in der Schweiz irgendwie in die Wiege gelegt wurde. Das Sparen ermöglicht uns erst Dinge zu tun, die über den gängigen Alltag hinaus gehen. Sparen ermöglicht uns erst zu Reisen, neue Länder, Menschen und Kulturen kennen zu lernen; all diese Dinge zu tun die für mich persönlich einen sehr hohen Stellenwert haben. Mit meinem Gehalt hier in Slowenien werde ich bestimmt nicht sparen können. Dafür muss ich immer mal wieder in die Schweiz reisen um dort zu arbeiten. Im Müli Spiel nennt man diese Situation doch „Figge-Müli“, nicht?


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