Donnerstag, 4. März 2010

Alles eine Frage des Inventars

Bild: Pfarrkirche in Pécs
Pécs, diese kleine Studentenstadt im Südwesten Ungarns, ist dieses Jahr zusammen mit Istanbul Kulturhauptstadt Europas. Ich habe Pécs einige Tage vor der grossen Eröffnungszermonie am 31. Dezember einen zwei tägigen Besuch abgestattet. Denke ich heute an Pécs zurück, so kommt mir immer wieder die Pfarrkirche auf dem Széchenyi, dem Hauptplatz der Stadt in den Sinn. Sie hat eine wahrhaft sonderbare Geschichte und beim Lesen des Buches „Wesire und Konsuln“ von Ivo Andrić werde ich erneut an das Schicksal dieser Kirche erinnert, auch wenn sie im Buch nirgends erwähnt wird.

Wenn Sie wieder einmal durch die Čaršija gehen, verweilen Sie ein wenig an der Jeni-Moschee. Eine hohe Mauer umgibt das ganze Grundstück. Darin befinden sich unter gewaltigen Bäumen Gräber, von denen niemand mehr weiss, wer in ihnen ruht.

Die Geschichte dieses Ortes geht weit in der Zeit zurück, als das Christentum noch als eine Sekte verfolgt und vom Römischen Reich, welches sich damals über das Gebiet des heutigen Ungarn erstreckte, unterdrückt wurde. So wurde in nächster Nähe der heutigen Pfarrkirche die heute von der UNESCO geschützte Nekropolis Sophiae des nachts im Geheimen ausgehoben. Heutzutage kann man diese unterirdische Gräberwelt besichtigen. Im hermetisch abgeschlossenen Untergrund blieben die Wandmalereien im Laufe der letzten 1700 Jahre so gut erhalten, dass auch heute noch kleine Details sichtbar sind.

Von der Moschee weiss man im Volk, dass sie ehedem, bevor die Türken kamen, die Kirche der heiligen Katharina war. Und das Volk glaubt, es befinde sich noch heute in einer Ecke die Sakristei, die niemand, selbst wenn er es mit Gewalt versuchte, öffnen könne. Wenn Sie sich die Steine, der altertümlichen Mauer etwas genauer besehen, werden Sie erkennen, dass sie von römischen Ruinen und Grabdenkmälern stammen.

Als das Christentum schliesslich vom Römischen Reich als Staatsreligion anerkannt wurde, geriet die Nekropolis völlig in Vergessenheit, doch auf dem Széchenyi Platz, dem Handelszentrum der prosperierenden Stadt, wurde um die Mitte des 13. Jahrhunderts die Bartholomäus Kirche erbaut. Als die Kirche um die Mitte des 14. Jahrhunderts niederbrannte, zögerte man keine Sekunde damit, sie schöner und grösser wieder aufzubauen, denn längst war Pécs eine berühmte Universitätsstadt geworden. Im Frühjahr 1456 strömten riesige Menschenmengen nach Pécs um die leidenschaftlichen Predigten von Johannes Kapistran zu hören, der auf Grund der anbrechenden Türkengefahr der Beginn eines Kreuzzuges verkündigte. Doch alle Reden halfen nichts, denn am 22. Juli 1543 geriet Pecs in türkische Hand.

(...) Und tief darunter, in den unsichtbaren Fundamenten, liegen riesige Blöcke roten Granits, Überreste eines noch viel älteren Kults, eines ehemaligen Heiligtums des Gottes Mithras. (...) Und wer weiss was sich noch in der Tiefe verbirgt, unter den Fundamenten dort. Wer weiss, wessen Anstrengungen dort begraben und welche Spuren für immer verwischt sind. Und das alles liegt – in diesem weltabgelegenen Städtchen – auf einem winzigen Flecken Erde. (...)

Auf den Befehl des Sultans Suleiman hat man auf der Kirchtumspitze kurzerhand den Halbmond gesetzt und die ganze Kirche wurde zu einem mohamedanischen Tempel umgewandelt. Es war nur eine Frage der Zeit bis der Pascha Gasi Kasim, Statthalter von Pécs, die Bartholomäus Kirche abtragen liess und an deren Stelle den Bau einer prachtvollen Djamija anordnete. Die ganze Djamija war mit einem breiten Hof umgeben, der auf den Grundmauern der abgerissenen mittelalterlichen Kirche gebaut wurde.
Doch es kam wie es kommen musste und am 14. Oktober 1686 wurde Pécs nach eineinhalb Jahrhunderten Türkenherrschaft befreit. Die vom Angriff stark zerstörte Djamija wurde den Jesuiten geschenkt und deren Pater Ignaz Kék liess das türkische Heiligtum ausräumen und in der provisorisch eingerichteten Kirche einen Dankesgottestdienst abhalten. Der Halbmond auf dem Dach der mächtigen Kuppel wurde wohl als einer der ersten Sanierungsakte durch ein metallenes Kreuz ersetzt, welches noch heute dort steht, allen Stürmen zum trotz. Im Laufe der nächsten Jahrzehnten wurde die Kirche immer wieder unmgestaltet und ausgebaut, die typische Form der Djamija sowie zahlreiche Relikte und Verzierungen aus der Zeit als die Kirche noch eine Moschee war, wurden jedoch beibehalten. So findet man beim Besuch der Kirche noch heute einige verwaschene türkische Aufschriften an den Kirchenwänden. Auch die reich verzierte Mihrab Nische, welche den Muslimen die Richtung nach Mekka anzeigt, ist bis heute unbeschädigt erhalten geblieben. Nur dass in dieser Nische nun nicht mehr auf den Boden gekniet werden kann, denn dort steht heute ein Taufbecken.

Sie verstehen. Alles ist ineinandergefügt, miteinander verflochten und scheint nur auf den ersten Blick verloren und vergessen, planlos und verstreut. Alles strebt, auch ohne es zu ahnen, einem Ziel zu wie konvergente Strahlen auf einen fernen, unbekannten Brennpunkt.

Die Pfarrkirche von Pécs scheint mir ein schönes Beispiel der Wandelhaftigkeit von Gebäuden und irgendwie halte ich sie auch für ein Symbol dafür, dass Religionen so verschieden vielleicht gar nicht sind; ist es doch nur eine Frage des Inventars.

Wir dürfen nicht vergessen, dass es im Koran ausdrücklich heisst: „Vielleicht wird Gott eines Tages euch und eure Gegner aussöhnen und Freundschaft zwischen euch herstellen. Er ist mächtig, milde und barmherzig.“ Also besteht Hoffnung, und wo Hoffnung besteht... Sie verstehen?

Aus „Wesire und Konsuln“, Ivo Andrić


Bild: Pfarrkirche in Pécs

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen