Bild: Unterhalb des Babin Zub mit Blick auf Sarajevo
Vor mehr als 8 Monaten habe ich Bern verlassen, mit dem Ziel, zu Fuss nach Istanbul zu gelangen. Zuerst war eine Reise von einem halben Jahr geplant, im Dezember des vergangen Jahres wollte ich ursprünglich in Istanbul ankommen. Nun, nach mehr als 8 Monaten, bin ich seit über drei Monaten in Sarajevo. Mit Nataša bin ich hier angekommen, es war Mitte November, wunderschönes Wetter und halb Sarajevo sass draussen beim bosnischen Kaffee. Inzwischen ist es Herbst und dann Winter geworden. Schnee ist gefallen und Schnee ist geschmolzen. Den ganzen Januar über war es grau hier, nebelverhangen und kalt.
Nun ist es Frühling geworden. Er ist langsam gekommen als ich einen Monat lang bei Nataša in Maribor war und beschaut man heute die steilen Hänge rund um Sarajevo herum, so ist vom Winter bereits nichts mehr übrig geblieben. In den Kaffees der Baščaršija sitzen die Menschen wieder draussen, genau wie Mitte November als wir hier angekommen sind.
Baščaršija; dieses Wort war Mitte November noch ein Rätsel für mich. Ich wusste nicht was es bedeutet und erst gar nicht wie man es schreibt. Natasa hat es mir erklärt und heute, drei Monate später, spreche ich es wohl richtig aus.
Morgen will ich die Wanderung fortsetzen. Via Jahorina in Richtung Montenegro.
Wenn ich nachts aufwache, dann denke ich mit Respekt an die kommende Zeit. Es ist dann kalt in der Wohnung und dunkel und ich werde mir bewusst, dass ich, wenn ich morgen weiter wandere, diese Kälte und Dunkelheit bald wieder als stetige Begleiter haben werde. Aber gegen Kälte kann man sich schützen und nach der Dunkelheit kommt der morgen und mit etwas Glück auch die Sonne. Ich habe es immer genossen, das Zelt morgens aufzumachen und den Kopf in die kühle Frische hinaus zu strecken. Mit Genugtuung durfte ich in den vergangenen Sommer- und Herbstmonaten immer wieder sagen; es ist ein schöner Tag zum Wandern.
Die Reise habe ich mit dan und Pintaš begonnen und auch mit Nataša, ob sie mitwanderte oder nicht. Nataša war dabei, in Gedanken oder auch in echter Begleitung. Nur wenige Abschnitte bin ich ganz alleine gewandert. In Italien über die Orobiten, von Venedig nach Triest oder ab und zu auf einer der vielen dalmatischen Inseln in Kroatien. Immer war die Begleitung und eine erneute Begegnung mit bekannten Menschen voraussehbar. Immer war die Einsamkeit absehbar und berechenbar. Trotzdem; nicht immer war sie leicht zu ertragen. Vielleicht habe ich deshalb auch gelernt auf die Menschen einzugehen, sie um Rat und Hilfe zu fragen und vorallem auch ihre Gastfreundschaft dankend entgegen zu nehmen. Dass dies etwas ist was man durchaus lernen muss, wurde mir mit einem Besuch aus der Schweiz in Sarajevo bewusst. Für mich längst schon eine wunderschöne Selbstverständlichkeit von fremden Menschen eingeladen zu werden, an ihrem Tisch mich niederzulassen oder in ihrer Nähe zu übernachten, war eben dies für meine Besucher nicht selbstverständlich. Einfach nur zu nehmen ohne zu geben ist kein Leichtes. Aber vielleicht gibt man ja auch wenn man meint dass man nichts gibt. Schliesslich war jede Begegnung ein Austausch und schliesslich kommt es auf die Dankbarkeit an, die man dem Spender entgegen bringt.
Ich habe ein Vertrauen in die Umwelt gewonnen in den letzten Monaten. In die Menschen rund um mich herum und auch ein Vertrauen gegenüber dem Unbekannten, Fremden. Dies mag daran liegen, dass niemand mir je schlecht wollte oder das ich Glück hatte, das alles wie „am Schnürchen“ lief. Man könnte nun sagen, dass dies nicht immer so weitergehen wird. Dass ich auch einmal Pech haben könnte. Beispiele, in welchen Menschen, die alleine herumzogen, Schlechtes wiederfahren ist gibt es ja genügend. Doch soll dies ein Grund dafür sein zukünftig in Angst seines Weges zu gehen?
Ich habe Respekt vor der Natur. Vielleicht war ich in den letzten Monaten nicht immer vorsichtig genug, vielleicht hatte ich wirklich manchmal Glück das mir nichts passiert ist. Im Grossen und Ganzen glaube ich aber, dass mich ein gesunder Respekt immer schon auf der Reise begleitet hat. Ich glaube meine Kräfte zu kennen und weiss, dass man diese erst kennen lernt, wenn es darauf ankommt, dass dies auch nötig ist. Ich suche keine Gefahren doch gehe ich ihnen auch nicht unnötig aus dem Wege.
Nataša und ich kamen in den italienischen Bergen einmal in ein Gewitter. Das heisst, das Gewitter kam zu uns. Denn als wir uns abend müde ins Zelt legten war der Himmel noch wolkenlos und nichts deutete darauf hin, dass einige Stunden später orkanartige Böen über unser Zelt hinweg fegen würden und Wasser kübelweise aufs Plastikdach trommeln sollte. Wir hatten Angst in dieser Nacht, alleine in den Bergen, das Zelt immer wieder erhellt von starken Blitzen, nur Bruchteile einer Sekunde später ein Donnern das die Erde erzittern liess. Vielleicht eine halbe Stunde sassen wir wach in unserem Zelt, ich hielt die Zeltstangen fest, damit diese unter dem Druck des Windes nicht brechen würden. Wir warteten, wir hofften und wir beteten. Ich kann mich noch ziemlich genau an die Gedanken erinnern, die mir in jener Nacht durch den Kopf gingen; sollten wir dieses Gewitter überstehen würde es nicht wieder sein wie vorher! Dies mag völlig übertrieben tönen, aber es entspricht meiner Wahrheit. Auch wenn uns vielleicht keine unmittelbare Gefahr gedroht hatte, fühlten wir uns doch irgendwie dem Leben sehr nahe. Irgendwann zog das Gewitter vorüber, der Regen wurde schwächer und trommelte nunmehr ruhig und gleichmässig auf unser Zelt. Darüber schliefen wir ein. Als wir am nächsten Morgen in einem nassen Zelt aufwachten, erschienen uns die Erlebnisse der vergangenen Nacht wie ein Traum. Bereits schien wieder die Sonne und das Wasser glitzerte und funkelte im Gras, vereinzelt zogen noch ein paar Wolkenschwaden über den sauber geputzten Himmel. Ein neuer Tag war angebrochen.
Was sich seit jener Nacht verändert hat kann ich nicht genau sagen. Eigentlich war alles wie zuvor und doch nicht ganz. Dies beweist ja schon, dass ich immer wieder an jene Nacht zurückdenken muss, dass ich mich ihrer erinnere; nicht mit Schrecken und Angst, sondern irgendwie mit einer Art Dankbarkeit.
Ein Abschnitt des Weges lang waren wir zu viert unterwegs. Nataša, ich, mein Freund Heinrich und Pintaš der treuherzige Hund. Wir waren ein spezielles Grüppchen und viele Menschen denen wir begegneten schienen dies auch zu merken.
Eines Tages ereigneten sich so viele glückliche Erlebnisse, eines nach dem andern, dass wir es des abends kaum für möglich gehalten haben. Es begann damit, dass wir nach einem langen Weg einfach nichts zu essen bei uns hatten, aber dringend eine Pause brauchten. So erreichten wir wie per Zufall einen Fruchthain, an einem wunderschönen Fluss gelegen, der unseren Appetit fürs erste stillen sollte. Dank Natasa haben wir uns dort nieder gelassen und das Geschenk der Natur genossen; wäre es nämlich nach den beiden Männern gegangen, wären wir noch weiter gezogen bis zum ersten kühlen Bier. Am Nachmittag erreichten wir eine kleine Stadt, gönnten uns in einer Pizzeria ein verspätetes Mittagsmahl, welches uns von der Besitzerin kurzerhand spendiert wurde, so toll fand sie das seltsame Grüppchen, welches sich bei ihr eingefunden hatte. Des nachmittags machten wir uns auf die Suche nach Brot und Wasser für den Abend, fanden aber alle Läden geschlossen. Eine arabisch aussehende Frau öffnete die Türe und ohne dass wir danach fragten, bot sie uns frisch gebackenens Fladenbrot und kühles Quellwasser an. Bei der Suche nach dem Nachtlager, schien unser Glück erschöpft zu sein; ein Gewitter war im Anmarsch und weit und breit kein Waldrand oder ein anderer versteckter Ort um unsere Zelte aufzuschlagen. Schon wollten wir uns neben der Kirchmauer nieder lassen als ein Auto anhielt und nach unserem Begehren fragte. Der Fahrer bot uns an, wir könnten bei seinem Bauernhof übernachten, wo wir auch kurze Zeit später unsere Zelte aufgestellt hatten. Kaum war dies geschehen rief man uns dazu auf, mit der Familie am Abendbrot teilzuhaben, ein Essen welches äusserst ausgiebig war. Auch zum Frühstück am nächsten Morgen sassen wir gemeinsam mit der Bauernfamilie zu Tische. Das Fladenbrot verzehrten wir schliesslich zum Mittagessen.
Einen Tag lang nur Gastfreundschaft erlebt zu haben fassten wir als ein gutes Omen für unser sonderbares Grüppchen auf und beschlossen gemeinsam bis nach Venedig weiter zu wandern. Ich, der am Anfang immer ungeduldig war, dem es nie genug rasch vorwärts ging, musste einsehen, dass alles ganz genau so verlief wie es anscheinend sollte. Es gab keinen Zeitplan und auch wenn es einen gegeben hätte, wir hätten sowieso nichts davon wissen können.
In den letzten Monaten habe ich gelernt, dass sich nicht alles planen und organisieren lässt. Ich habe gelernt, dass es viele Dinge gibt die stärker sind als unser Wille oder unsere Wünsche.
In mir ist ein Gefühl für die Umwelt gewachsen und damit meine ich nicht was man gewöhnlich unter Umwelt versteht. Ich sehe die Menschen und auch die Natur verbundener als noch vor einigen Monaten. Denn schliesslich wird einem wenn man zu Fuss unterwegs ist bewusst, dass es keine natürlichen Grenzen gibt. Alles ist ein fliessender Übergang. Die Umwelt ist mir begehbar geworden und ich kann mein Glück nach dem Aufenthalt in Bosnien nur erahnen, welches mir zuteil geworden ist, von dieser Begehbarkeit auch gebrauch machen zu können. Die Bewohner dieses Landes stossen nämlich sehr rasch schon an die von Menschen geschaffenen Grenzen; ein Schritt reichte aus sie zu überschreiten, doch fehlt ihnen dazu das nötige Papier.
Die Welt ist mir ersichtlicher geworden in den letzten Monaten und damit ist auch meine Neugierde gewachsen. Beim Anblick von Bergen und Hügeln will ich nun die Landschaften sehen, die sich dahinter verbergen. Dass dieser Neugierde von der Natur her kaum ein Ende gesetzt werden kann bin ich mir bewusst. Ich werde diese Neugierde eines Tages in Zaum halten müssen.
Und dann ist auch dieser Wunsch in mir gewachsen die Geschichte eines Ortes zu verstehen. Dass das Zeit braucht habe ich hier in Sarajevo gelernt. Auch dass sich Geschichte aus Geschichten zusammensetzt, glaube ich nun zu wissen. Sie lässt sich nicht aus einem Buch erfahren. Geschichte kann auch durchaus widersprüchlich sein, das macht sie deshalb nicht unwahrer.
Mit einer gewissen Verlegenheit überlege ich mir dann was ich von der Geschichte meines Heimatortes weiss. Könnte ich ebenso fasziniert über einzelne Strassen, Gebäude oder Menschen dort sprechen? Dass ich das Interesse an der Geschichte nicht fallen lasse ist mir ein grosser Wunsch und dass ich mit derselben Neugierde und Aufmerksamkeit eines Tages durch Bern oder irgendwo sonst spazieren werde ein Begehren.
Vor mehr als 8 Monaten habe ich Bern verlassen, mit dem Ziel, zu Fuss nach Istanbul zu gelangen. Zuerst war eine Reise von einem halben Jahr geplant, im Dezember des vergangen Jahres wollte ich ursprünglich in Istanbul ankommen. Nun, nach mehr als 8 Monaten, bin ich seit über drei Monaten in Sarajevo. Mit Nataša bin ich hier angekommen, es war Mitte November, wunderschönes Wetter und halb Sarajevo sass draussen beim bosnischen Kaffee. Inzwischen ist es Herbst und dann Winter geworden. Schnee ist gefallen und Schnee ist geschmolzen. Den ganzen Januar über war es grau hier, nebelverhangen und kalt.
Nun ist es Frühling geworden. Er ist langsam gekommen als ich einen Monat lang bei Nataša in Maribor war und beschaut man heute die steilen Hänge rund um Sarajevo herum, so ist vom Winter bereits nichts mehr übrig geblieben. In den Kaffees der Baščaršija sitzen die Menschen wieder draussen, genau wie Mitte November als wir hier angekommen sind.
Baščaršija; dieses Wort war Mitte November noch ein Rätsel für mich. Ich wusste nicht was es bedeutet und erst gar nicht wie man es schreibt. Natasa hat es mir erklärt und heute, drei Monate später, spreche ich es wohl richtig aus.
Morgen will ich die Wanderung fortsetzen. Via Jahorina in Richtung Montenegro.
Wenn ich nachts aufwache, dann denke ich mit Respekt an die kommende Zeit. Es ist dann kalt in der Wohnung und dunkel und ich werde mir bewusst, dass ich, wenn ich morgen weiter wandere, diese Kälte und Dunkelheit bald wieder als stetige Begleiter haben werde. Aber gegen Kälte kann man sich schützen und nach der Dunkelheit kommt der morgen und mit etwas Glück auch die Sonne. Ich habe es immer genossen, das Zelt morgens aufzumachen und den Kopf in die kühle Frische hinaus zu strecken. Mit Genugtuung durfte ich in den vergangenen Sommer- und Herbstmonaten immer wieder sagen; es ist ein schöner Tag zum Wandern.
Die Reise habe ich mit dan und Pintaš begonnen und auch mit Nataša, ob sie mitwanderte oder nicht. Nataša war dabei, in Gedanken oder auch in echter Begleitung. Nur wenige Abschnitte bin ich ganz alleine gewandert. In Italien über die Orobiten, von Venedig nach Triest oder ab und zu auf einer der vielen dalmatischen Inseln in Kroatien. Immer war die Begleitung und eine erneute Begegnung mit bekannten Menschen voraussehbar. Immer war die Einsamkeit absehbar und berechenbar. Trotzdem; nicht immer war sie leicht zu ertragen. Vielleicht habe ich deshalb auch gelernt auf die Menschen einzugehen, sie um Rat und Hilfe zu fragen und vorallem auch ihre Gastfreundschaft dankend entgegen zu nehmen. Dass dies etwas ist was man durchaus lernen muss, wurde mir mit einem Besuch aus der Schweiz in Sarajevo bewusst. Für mich längst schon eine wunderschöne Selbstverständlichkeit von fremden Menschen eingeladen zu werden, an ihrem Tisch mich niederzulassen oder in ihrer Nähe zu übernachten, war eben dies für meine Besucher nicht selbstverständlich. Einfach nur zu nehmen ohne zu geben ist kein Leichtes. Aber vielleicht gibt man ja auch wenn man meint dass man nichts gibt. Schliesslich war jede Begegnung ein Austausch und schliesslich kommt es auf die Dankbarkeit an, die man dem Spender entgegen bringt.
Ich habe ein Vertrauen in die Umwelt gewonnen in den letzten Monaten. In die Menschen rund um mich herum und auch ein Vertrauen gegenüber dem Unbekannten, Fremden. Dies mag daran liegen, dass niemand mir je schlecht wollte oder das ich Glück hatte, das alles wie „am Schnürchen“ lief. Man könnte nun sagen, dass dies nicht immer so weitergehen wird. Dass ich auch einmal Pech haben könnte. Beispiele, in welchen Menschen, die alleine herumzogen, Schlechtes wiederfahren ist gibt es ja genügend. Doch soll dies ein Grund dafür sein zukünftig in Angst seines Weges zu gehen?
Ich habe Respekt vor der Natur. Vielleicht war ich in den letzten Monaten nicht immer vorsichtig genug, vielleicht hatte ich wirklich manchmal Glück das mir nichts passiert ist. Im Grossen und Ganzen glaube ich aber, dass mich ein gesunder Respekt immer schon auf der Reise begleitet hat. Ich glaube meine Kräfte zu kennen und weiss, dass man diese erst kennen lernt, wenn es darauf ankommt, dass dies auch nötig ist. Ich suche keine Gefahren doch gehe ich ihnen auch nicht unnötig aus dem Wege.
Nataša und ich kamen in den italienischen Bergen einmal in ein Gewitter. Das heisst, das Gewitter kam zu uns. Denn als wir uns abend müde ins Zelt legten war der Himmel noch wolkenlos und nichts deutete darauf hin, dass einige Stunden später orkanartige Böen über unser Zelt hinweg fegen würden und Wasser kübelweise aufs Plastikdach trommeln sollte. Wir hatten Angst in dieser Nacht, alleine in den Bergen, das Zelt immer wieder erhellt von starken Blitzen, nur Bruchteile einer Sekunde später ein Donnern das die Erde erzittern liess. Vielleicht eine halbe Stunde sassen wir wach in unserem Zelt, ich hielt die Zeltstangen fest, damit diese unter dem Druck des Windes nicht brechen würden. Wir warteten, wir hofften und wir beteten. Ich kann mich noch ziemlich genau an die Gedanken erinnern, die mir in jener Nacht durch den Kopf gingen; sollten wir dieses Gewitter überstehen würde es nicht wieder sein wie vorher! Dies mag völlig übertrieben tönen, aber es entspricht meiner Wahrheit. Auch wenn uns vielleicht keine unmittelbare Gefahr gedroht hatte, fühlten wir uns doch irgendwie dem Leben sehr nahe. Irgendwann zog das Gewitter vorüber, der Regen wurde schwächer und trommelte nunmehr ruhig und gleichmässig auf unser Zelt. Darüber schliefen wir ein. Als wir am nächsten Morgen in einem nassen Zelt aufwachten, erschienen uns die Erlebnisse der vergangenen Nacht wie ein Traum. Bereits schien wieder die Sonne und das Wasser glitzerte und funkelte im Gras, vereinzelt zogen noch ein paar Wolkenschwaden über den sauber geputzten Himmel. Ein neuer Tag war angebrochen.
Was sich seit jener Nacht verändert hat kann ich nicht genau sagen. Eigentlich war alles wie zuvor und doch nicht ganz. Dies beweist ja schon, dass ich immer wieder an jene Nacht zurückdenken muss, dass ich mich ihrer erinnere; nicht mit Schrecken und Angst, sondern irgendwie mit einer Art Dankbarkeit.
Ein Abschnitt des Weges lang waren wir zu viert unterwegs. Nataša, ich, mein Freund Heinrich und Pintaš der treuherzige Hund. Wir waren ein spezielles Grüppchen und viele Menschen denen wir begegneten schienen dies auch zu merken.
Eines Tages ereigneten sich so viele glückliche Erlebnisse, eines nach dem andern, dass wir es des abends kaum für möglich gehalten haben. Es begann damit, dass wir nach einem langen Weg einfach nichts zu essen bei uns hatten, aber dringend eine Pause brauchten. So erreichten wir wie per Zufall einen Fruchthain, an einem wunderschönen Fluss gelegen, der unseren Appetit fürs erste stillen sollte. Dank Natasa haben wir uns dort nieder gelassen und das Geschenk der Natur genossen; wäre es nämlich nach den beiden Männern gegangen, wären wir noch weiter gezogen bis zum ersten kühlen Bier. Am Nachmittag erreichten wir eine kleine Stadt, gönnten uns in einer Pizzeria ein verspätetes Mittagsmahl, welches uns von der Besitzerin kurzerhand spendiert wurde, so toll fand sie das seltsame Grüppchen, welches sich bei ihr eingefunden hatte. Des nachmittags machten wir uns auf die Suche nach Brot und Wasser für den Abend, fanden aber alle Läden geschlossen. Eine arabisch aussehende Frau öffnete die Türe und ohne dass wir danach fragten, bot sie uns frisch gebackenens Fladenbrot und kühles Quellwasser an. Bei der Suche nach dem Nachtlager, schien unser Glück erschöpft zu sein; ein Gewitter war im Anmarsch und weit und breit kein Waldrand oder ein anderer versteckter Ort um unsere Zelte aufzuschlagen. Schon wollten wir uns neben der Kirchmauer nieder lassen als ein Auto anhielt und nach unserem Begehren fragte. Der Fahrer bot uns an, wir könnten bei seinem Bauernhof übernachten, wo wir auch kurze Zeit später unsere Zelte aufgestellt hatten. Kaum war dies geschehen rief man uns dazu auf, mit der Familie am Abendbrot teilzuhaben, ein Essen welches äusserst ausgiebig war. Auch zum Frühstück am nächsten Morgen sassen wir gemeinsam mit der Bauernfamilie zu Tische. Das Fladenbrot verzehrten wir schliesslich zum Mittagessen.
Einen Tag lang nur Gastfreundschaft erlebt zu haben fassten wir als ein gutes Omen für unser sonderbares Grüppchen auf und beschlossen gemeinsam bis nach Venedig weiter zu wandern. Ich, der am Anfang immer ungeduldig war, dem es nie genug rasch vorwärts ging, musste einsehen, dass alles ganz genau so verlief wie es anscheinend sollte. Es gab keinen Zeitplan und auch wenn es einen gegeben hätte, wir hätten sowieso nichts davon wissen können.
In den letzten Monaten habe ich gelernt, dass sich nicht alles planen und organisieren lässt. Ich habe gelernt, dass es viele Dinge gibt die stärker sind als unser Wille oder unsere Wünsche.
In mir ist ein Gefühl für die Umwelt gewachsen und damit meine ich nicht was man gewöhnlich unter Umwelt versteht. Ich sehe die Menschen und auch die Natur verbundener als noch vor einigen Monaten. Denn schliesslich wird einem wenn man zu Fuss unterwegs ist bewusst, dass es keine natürlichen Grenzen gibt. Alles ist ein fliessender Übergang. Die Umwelt ist mir begehbar geworden und ich kann mein Glück nach dem Aufenthalt in Bosnien nur erahnen, welches mir zuteil geworden ist, von dieser Begehbarkeit auch gebrauch machen zu können. Die Bewohner dieses Landes stossen nämlich sehr rasch schon an die von Menschen geschaffenen Grenzen; ein Schritt reichte aus sie zu überschreiten, doch fehlt ihnen dazu das nötige Papier.
Die Welt ist mir ersichtlicher geworden in den letzten Monaten und damit ist auch meine Neugierde gewachsen. Beim Anblick von Bergen und Hügeln will ich nun die Landschaften sehen, die sich dahinter verbergen. Dass dieser Neugierde von der Natur her kaum ein Ende gesetzt werden kann bin ich mir bewusst. Ich werde diese Neugierde eines Tages in Zaum halten müssen.
Und dann ist auch dieser Wunsch in mir gewachsen die Geschichte eines Ortes zu verstehen. Dass das Zeit braucht habe ich hier in Sarajevo gelernt. Auch dass sich Geschichte aus Geschichten zusammensetzt, glaube ich nun zu wissen. Sie lässt sich nicht aus einem Buch erfahren. Geschichte kann auch durchaus widersprüchlich sein, das macht sie deshalb nicht unwahrer.
Mit einer gewissen Verlegenheit überlege ich mir dann was ich von der Geschichte meines Heimatortes weiss. Könnte ich ebenso fasziniert über einzelne Strassen, Gebäude oder Menschen dort sprechen? Dass ich das Interesse an der Geschichte nicht fallen lasse ist mir ein grosser Wunsch und dass ich mit derselben Neugierde und Aufmerksamkeit eines Tages durch Bern oder irgendwo sonst spazieren werde ein Begehren.
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