Mittwoch, 17. März 2010

Etwas Neues


Vor einigen Tagen habe ich das Buch "Wesire und Konsuln" (auch bekannt unter dem Titel "Travniker Chroniken") zu Ende gelesen. Ivo Andric beschreibt in diesem Buch das Schiksal seiner bosnischen Heimatstadt Travnik im frühen 19. Jahrhundert, als neben dem türkischen Wesir zwei Konsuln der österreichischen und französischen Grossmächte ihre Einflüsse auszuüben versuchen.
Was ich an diesem Buch, und überhaupt an dem was ich bisher von Andric gelesen habe mag, ist seine detailhaftigkeit und die Fähigkeit eine Erzählung des Weltgeschehens auf einzelne Schiksale runterzubrechen. Er braucht den Leser nicht an tausend Schauplätze zu geleiten um ihm weltpolitische Ereignisse vor Augen zu führen.
Immer wieder kommen in seinen Büchern alte Menschen zu Wort. Menschen die oftmals lange Zeit schweigen bevor sie den Mund aufmachen und ihre Meinung sagen. Mit dem Resultat, dass dann alle Anwesenden ihnen zuhören. Meistens bleiben ihre Aussagen unerwidert und im Buch "Wesire und Konsuln" bringen die Worte des alten Hamid-Beg die Geschichte zu einem vorläufigen Ende, auf jeden Fall stehen sie am Ende des Romans.

"Sieben Jahre", sagte Hamid-Beg versonnen, jede Silbe dehnend, "sieben Jahre! Und erinnert ihr euch, was für Trubel und Aufregung wegen diesen Konsuln herrschte und wegen jenes... jenes... Bunaparte? Bunaparte hier, Bunaparte dort. Und dies wird er tun, dies unterlassen. Die Welt war ihm zu eng geworden, für seine Kraft gab es kein Mass und nichts Gleichwertiges. Und unser einheimisches Ungläubigenpack erhop sein Haupt wie ein tauber Weizenhalm. Die einen klammerten sich dem französischen, die anderen dem österreichischen Kosuln an die Rockschösse, und die dritten warteten auf den moskowitschen. Die Rajah verlor richtig den Verstand und wurde geradezu toll. Und sieh da, auch das ging vorbei. Die Kaiser erhoben sich und zerbrachen den Bunaparte . Die Konsuln werden sich aus Travnik davonmachen. Ein paar Jahre wird man sie noch erwähnen. Die Kinder werden am Ufer Konsul und Kawass spielen, auf hölzernen Stangen reiten, aber auch sie werden die Konsuln vergessen, als hätte es sie nie gegeben. Alles wird wieder so sein, wie es nach Gottes Willen von jeher war."
Hamid-Beg stockt in seiner Rede, denn der Atem verlässt ihn. Die anderen schweigen. Sie warten, was der Greis noch zu sagen hat, und schmauchend geniessen alle die behagliche, sieghafte Stille.
Als wir im letzten Monate daran waren den Laden zu renovieren, als wir geschliffen, gehämmert und gemalt haben, sind immer wieder Leute am Geschäft vorbei spaziert und manche haben neugierig durch die offene Türe geschielt und manchmal auch gefragt was wir hier machen. Die Idee eines Fair Trade Ladens fanden die meisten genial und viele haben ihren zukünftigen Besuch versprochen. Einige Passanten erkundigten sich auch ob sie die Holzresten vor der Türe zu eigenen Bastelarbeiten verwenden dürften.

Heute, kurz vor Feierabend, machte ein alter Mann vor dem Laden Halt. Als die Bohrmaschine ihre Arbeit kurz unterbrach meinte er mit leiser Stimme: "Etwas Neues". Das war alles und noch kaum hatte er diesen knappen Satz zu Ende gemurmelt ging er auch schon weiter seines Weges.

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