Samstag, 30. Januar 2010

Der Ungare in Sarajevo

Ich weiss nicht ob ich ihn nochmals sehen werde. Ich weiss zwar wo er wohnt und ich stand auch bereits in der Hoffnung ihn zu treffen vor seinem Haus. Irgend etwas hielt mich aber immer davon ab, dort anzuklopfen. Wir sind uns bisher nur über den Weg gelaufen und dabei möchte ich es auch belassen. Ich hoffe, dass wir uns nochmals über den Weg laufen werden.

Es ist für mich aber auch vorstellbar, dass wir uns nie mehr sehen werden. Ja dass dieser Ungare gar nicht mehr in Sarajevo lebt, dass er sich wieder auf den Weg gemacht hat um anderswo sein Glück zu suchen und vielleicht noch eine weitere Sprache zu lernen; zu den zehn Sprachen, die er bereits fliessend spricht.

Ich weiss wenig von ihm, nicht einmal seinen Namen kenne ich. Er hat ihn mir zwei Mal gesagt. Aber es ist ein ungarischer Name und ungarische Namen sind wie ungarische Wörter; sehr lang und für einen nicht Ungaren schwer auszusprechen.
Ich weiss wenig von ihm aber ich wüsste gerne mehr. Ja, ich gebe es zu, ich möchte mehr über das Leben dieses Ungaren wissen. Möchte wissen weshalb er zehn Sprachen fliessend spricht, weshalb er als Lockvogel der Konoba „Kod Keme“ so entertainermässig auf einen einsprechen kann. Sein Gesicht ist dann ein einziges Strahlen, seine kleinen Augen funkeln, sinken jedoch in dem Moment, wenn er sich unbeobachtet fühlt, wieder in eine Tiefe Traurigkeit hinab. Ein Ort an dem sie zu Hause sind, wie ich nun zu wissen glaube.

Auf der Strasse vor der Konoba „Kod Keme“ sind Nataša und ich ihm zum ersten Mal begegnet. Er sprach uns auf englisch an, wollte wissen ob wir hungrig seien und zeigte uns die schlechte Menukarte des Restaurants. Sofort kam die Frage nach unserer Sprache. Als er erfuhr dass ich aus der Schweiz komme, sprach er zuerst französisch und dann, nachdem ich ihm gesagt hatte, dass ich aus Bern sei, auf deutsch. Mit Natasa sprach er slovenisch und wechselte im selben Satz auf ungarisch, weil sie ihm erklärte, dass sie nahe der ungarischen Grenze gelebt habe.
Sein Charme brachte uns dazu, bei „Kod Keme“ ein Bier zu trinken. Unter der ständigen Beobachtung des Chefs unterhielten wir uns dort noch eine Weile. So erfuhren wir eben dass er Ungare sei, in Skopje aufgewachsen war, einige Jahre in Wien gelebt und zur Zeit Jugoslawiens in einer der damals berühmtesten Rockbands gespielt hatte. Als wolle er seine Aussage unter Beweis stellen, nahm er eine Gitarre, die in einer Ecke des Restaurants gestanden hatte und begann den Song „Wild Thing“ zu spielen. Der Chef verschränkte die Arme vor seinem dicken Bauch und lächelte gezwungen. Nach dieser kleinen Darbietung stellte er die Gitarre wieder in die Ecke, verabschiedete sich von uns und verliess das Restuarant.

Zum zweiten Mal begegnete ich ihm beinahe zwei Monate später.
Es war am Neujahrstag; ein windiger Tag und es war vorauszusehen, dass er nicht ohne Regen bleiben würde. Ich wollte auf den Trebevič steigen, nahm jedoch nicht den direkten Weg aus der Stadt hinaus und lief deshalb ganz zufällig ans Restaurant „Babin“ heran, welches zu meinem Erstaunen am Vormittag des Neujahrstages bereits geöffnet hatte. Das Restauant „Babin“ liegt am oberen Stadtende und von der Terrasse aus hat man einen fantastischen Blick auf das alte sowie auch auf das neue Sarajevo.
Obwohl sich die Wolken verräterisch schnell zusammen zogen, entschloss ich mich, auf der Terrasse einen Kaffee zu trinken. In dem Moment als ich meinen Kaffee serviert bekam, sah ich unseren Ungaren, wie er sich torkelnden Schrittes dem Restaurant näherte. Trotz des kühlen Wetters war er nur spärlich gekleidet, trug eine schmutzige Jeanshose und Lederhalbschuhe ohne Schnürsenkel, was sie wie Finken aussehen liessen. Ich stand auf und ging auf ihn zu. Er hielt inne, schaute mich zuerst fragend an, doch als ich ihm erkärte woher wir uns kennen, hellte sich sein Gesicht auf. Lachend legte er die Arme um meine Schultern. Auf meine Frage, ob er mit mir einen Kaffee trinken wolle, meinte er, einen Kaffee nicht aber ein Bier. Auf Grund des immer stärker werdenden Windes entschlossen wir uns ins Restaurant rein zu gehen. Doch mein Ungare sollte sein Bier nicht so leicht bekommen. Der Oberkellner weigerte sich zuerst standhaft ihm ein solches zu geben. Es schien mir als hätte der Ungare im „Babin“ eine Art Hausverbot. Nachdem er ein Fünfmark-Stück theatralisch zu Boden geschmissen hatte, entschloss sich der Kellner, wahrscheinlich in weiser Voraussicht, dem Ungare sein Bier trotzdem zu geben. Dieser konnte nun nicht damit aufhören von der Ignoranz der Bosnier zu sprechen. Auf gut wienerisch verfluchte er dieses Land. Manchmal rutschte ihm auch ein englisches „I will fuck them all“ über die Lippen. Unser Gespräch war nur kurz, er schien es eilig zu haben, und beschränkte sich auf nichts anders als die „bosnische Ignoranz“, die ich zu ergründen suchte. Bald musste er wohl wieder, betrunken wie er noch war, bei „Kod Keme“ antraben. Doch zuvor sollte anscheinend noch etwas erledigt werden. Er bat mich mit ihm nach Hause zu kommen, denn er wolle mir dort eine Überraschung zeigen. Mir wäre es lieber gewesen, wir hätten uns bei einer anderen Gelegenheit wieder getroffen, wenn er ausgeschlafen und nüchtern wäre. Doch mein Ungare liess sich von seinem Vorhaben, mir seinen Wohnort zu zeigen, nicht abbringen.

Es stellte sich heraus, dass sein Haus direkt neben dem „Babin“ steht. Ein grosser erdiger Vorplatz gibt dem ganzen etwas ländliches und wären nicht all die Häuser ringsherum, man würde nicht denken dass man hier in Sarajevo sei. Das Haus meines Ungaren war eigentlich eher ein Schuppen. Ein kleiner Raum, übersät mit Unrat, Schmutz und alten Zeitungen, ein Bett, einen Holzofen, einen Stuhl. Das sei wie er lebe, meinte der Ungare und war sichtlich den Tränen nahe. Dann sagte er noch, bereits wieder etwas gefasster: „Das ist Bosnien.“
Aber nun müsse er mir noch die Überraschung zeigen und wie ein Kind voller Vorfreude nahm er mich am Arm und führte mich ins Erdgeschoss des grossen Hauses hinüber, welches direkt neben seinem Schuppen steht. Bereits von aussen nahm ich den warmen Tiergeruch wahr der mir entgegen trat. Hinter der Tür befand sich ein regelrechter kleiner Zoo; Ziegen, Schafe, ein Hund, zwei Esel und ein Pferd schauten uns alle ziemlich im gleichen Moment entgegen. Er sorge zu diesen Tieren, meinte der Ungare und er liebe sie sehr. Nun schien er es aber wieder eilig zu haben, denn er trippelte von einem Bein aufs andere. So verliessen wir die Tiere und verabschiedeten uns vor dem Haus.
Das Gesicht des Ungaren zeigte nun keine Maske mehr, nur noch diese tiefe Trauigkeit, die ich an ihm bereits bei der ersten Begegnung wahrgenommen habe. Wir würden uns wiedersehen, meinte ich. Ich kann mich nicht errinnern was er darauf geantwortet hat.

Bei „Kod Keme“ habe ich ihn seither nie wieder gesehen und auch bei „Babin“ war ich mehrmals erfolglos.
An die Türe seines Schuppens zu klopfen habe ich bisher unterlassen.

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